Bereits über eine Million Personen sind in den vergangenen Tagen aus der Ukraine geflüchtet, grösstenteils nach Polen, wo sie mehrheitlich Schutz in privaten Unterkünften gefunden haben. Die Uno rechnet mit bis zu 4 Millionen Flüchtlingen aus der Ukraine, aber es könnten noch mehr sein. In ganz Europa ist eine grosse Solidarität zu spüren.

In der Schweiz dürften Flüchtlinge aus der Ukraine vorerst den bisher noch nie angewandten Status S (Schutzbedürftige) erhalten. Ihre Aufnahme würde ohne Asylverfahren rasch erfolgen und gelten, bis der Schutzbedarf entfällt. Es handelt sich um eine befristete humanitäre Aufnahme von Gruppen, bei denen die Flüchtlingseigenschaft nicht überprüft wird.

Diese Aufenthaltsbewilligungsform sieht die Möglichkeit einer Erwerbstätigkeit nach den ersten drei Monaten vor – der Bundesrat schlägt für die aktuelle Situation eine Anpassung vor, sodass Ukrainerinnen und Ukrainer bereits nach einem Monat erwerbstätig sein dürften. Jeder Stellenantritt und -wechsel bedarf einer vorgängigen Bewilligung durch die Behörden. Es gelten die spezifischen Bedingungen des Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG). Konkret heisst dies, dass die Stelle nur dann angetreten werden darf, wenn keine Schweizerinnen und Schweizer oder Niedergelasse gefunden werden konnte (Inländervorrang). Hinzu kommen Einschränkungen zur interkantonalen Berufsmobilität: einst von einem Kanton aufgenommen, dürfen die Schutzbedürftigen nur in diesem Kanton arbeiten. Weitere kantonale Sonderregelungen sind zudem möglich. Eine selbständige Erwerbstätigkeit ist untersagt.

«Gut gemeinte» Einschränkungen – aber wirken sie?

All diese Restriktionen sind nachvollziehbar: man möchte einerseits Verdienstmöglichkeit der Flüchtlinge unterstützen, andererseits verhindern, dass die Löhne der Einheimischen – insbesondere der gering Qualifizierten – unter Druck kommen. Dies erklärt die Kontrollen und das Verbot der Selbständigkeit, denn dieser Status liegt ausserhalb der Reichweite des Arbeitsgesetzes und seiner detaillierten Regeln betreffend Arbeitsbedingungen und Arbeitszeit. Die Einschränkung der interkantonalen Mobilität will zudem verhindern, dass sich die Flüchtlinge in den Grossstädten konzentrieren – da wo die informellen Netzwerke unter Flüchtlingen am dichtesten sind und die potenzielle Arbeitsnachfrage der Unternehmen eher elastisch ist.

Ukrainische Flüchtlinge können in den Schweizer Arbeitsmarkt integriert werden. (Screenshot aus einer Reportage von «10 vor 10», SRF News)

Sind aber die Befürchtungen begründet? Verdrängen Flüchtlinge die inländischen Arbeitskräfte? Dieser Frage geht eine breite Forschungsliteratur nach, angefangen bei der Studie des letztjährigen Nobelpreisträgers David Card, der die Auswirkungen auf Löhne und Beschäftigte einer kubanischen Flüchtlingswelle im Jahr 1980 auf den Arbeitsmarkt von Miami untersuchte. Er kam damals zum Schluss, dass der Zustrom an Kubanern kaum Auswirkungen auf die Löhne und Arbeitslosenquote in Miami hatte – selbst nicht bei Jobs für Geringqualifizierte. Die Studienergebnisse sind nicht unumstritten, dennoch dienen solche «natürlichen Experimente» weiterhin oft als Grundlage für die Analyse der Auswirkungen von Migrationsströmen auf den Arbeitsmarkt.

3,6 Millionen syrische Flüchtlinge in der Türkei

Ein solches Beispiel ist der Zustrom an Flüchtlingen in die Türkei im Rahmen des syrischen Bürgerkriegs: Seit 2011 sind rund 3,6 Millionen Syrer in die Türkei geflüchtet, womit letztere zum weltweit grössten Aufnahmeland von Flüchtlingen wurde. Da den Flüchtlingen lange keine Arbeitsbewilligung gewährt wurde, hatten sie ausschliesslich Zugang zu informeller Beschäftigung (kein regulärer Arbeitsvertrag, nicht sozialversichert).

Eine Studie der Weltbank (2015) deutet einerseits darauf hin, dass der Flüchtlingsstrom zu einer Verdrängung von inländischen Beschäftigten in solchen informellen Arbeitsverhältnissen führte – insbesondere bei Frauen, Geringqualifizierten und Arbeitskräften in der Landwirtschaft. Gleichzeitig kam es aber auch zu einem flüchtlingsbedingten Anstieg der Beschäftigung türkischer Arbeitnehmer in höher bezahlten, formellen Berufen. Zudem wurde ein positiver Effekt der syrischen Flüchtlingswelle auf die Durchschnittslöhne festgestellt. Auch die Analyse von Tümen (2016) findet Verdrängungseffekte bei informellen Jobs und einen leichten Anstieg bei der formellen Beschäftigung. Jedoch konnten in dieser Studie keine signifikanten Effekte auf die Löhne nachgewiesen werden, weder für informelle noch für formelle Arbeit.

Insgesamt gibt es kaum Belege für eine signifikante Verdrängung durch neu auf dem Arbeitsmarkt ankommende Einwanderer. Die meisten Studien kommen zu dem Ergebnis, dass ein Anstieg des Anteils der Zuwanderer an der Erwerbsbevölkerung um 10 Prozentpunkte das Einkommen der Einheimischen zwischen minus und plus zwei Prozent verändert (Peri 2014). Auch wenn die Verlässlichkeit der meisten Studien in Frage gestellt werden kann, mangelt es an Belegen für grossen Pessimismus. Die Arbeitsmärkte der Zielländer sind flexibel genug, um Neuankömmlinge zu absorbieren, vor allem, wenn man ihnen die nötige Zeit dazu lässt.

Was bedeutet das für die Schweiz?

Bisher konnte die Schweiz mit der Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt nicht besonders brillieren: Die Erwerbsquote von Asylbewerbern und Flüchtlingen beträgt fünf Jahre nach deren Ankunft rund 40 Prozent. Damit liegt die Schweiz im europäischen Vergleich im Mittelfeld. Die niedrige Erwerbsbeteiligung kann mit vielen Faktoren zusammenhängen – etwa unzureichenden Qualifikationen oder dem Unbehagen der Arbeitgeber, einen Asylbewerber einzustellen.

Jedoch können auch institutionelle Hürden ausschlaggebend sein:  Eine lange Dauer der Asylverfahren wirkt sich negativ auf die zukünftige Beschäftigung aus, wie Hainmüller et al. (2016) anhand einer Analyse von Asylanträgen zwischen 1994 und 2014 zeigen. Sie kommen zum Schluss, dass jedes zusätzliche Jahr zu einem Rückgang der Beschäftigungsquote um 5 Prozentpunkte führt. Vor diesem Hintergrund ist die Einführung des Schutzstatus «S» und die damit verbundene rasche Integration der Flüchtlinge in den Schweizer Arbeitsmarkt zu begrüssen: Lassen wir sie kommen – und auch arbeiten.