In der Steuerpolitik geht es zurzeit Schlag auf Schlag. Nachdem im Februar die Abschaffung der Emissionsabgabe auf Eigenkapital abgelehnt worden ist, muss der Souverän im September über eine Reform der Verrechnungssteuer befinden, bevor aller Voraussicht nach im kommenden Juni eine weitere Unternehmenssteuerreform an die Urne kommt. Grund ist die von der OECD angestossene Reform der internationalen Unternehmensbesteuerung, die ab 2024 für Grosskonzerne weltweit dieselben Besteuerungsregeln vorsieht und der Avenir Suisse die neuste Publikation gewidmet hat.
Damit andere Staaten nicht einen Teil der hierzulande erwirtschafteten Gewinne besteuern können, schlägt der Bundesrat im Einklang mit den OECD-Vorgaben eine neue Steuer vor. Die sogenannte Ergänzungssteuer soll sicherstellen, dass alle betroffenen Konzerne den neuen Mindeststeuersatz von 15% erreichen. Künftig sollen ein Viertel der Einnahmen aus der Ergänzungssteuer an den Bund und drei Viertel an die Kantone fliessen.
Soweit – grob zusammengefasst – der Sachverhalt. Die Politik ist bereits einen Schritt weiter, denn wo mit neuen Einnahmen gerechnet werden kann, ist der Verteilkampf nicht weit. Endgültig lanciert hat ihn diese Woche die SP, die eine Studie zu den finanziellen Auswirkungen der Mindeststeuer in Auftrag gegeben hat. Während der Bund in der Vernehmlassung und der Botschaft die schweizweiten Einnahmen grob quantifizierte, schätzt diese Studie zusätzlich die Verteilung derselben auf die Kantone.
Anpassungseffekte lassen sich nicht ausklammern
Was sich interessant anhört, ist der Debatte aber abträglich. Denn auch dieser Studie unterliegt eine statische Betrachtung. Zwar betonen die Autoren an verschiedenen Stellen, dass sich ihre Berechnungen auf die kurze Frist beschränken. Ihre Auftraggeber unterschlagen aber geflissentlich, dass die für die Beurteilung entscheidenden mittel- bis langfristigen Anpassungseffekte unberücksichtigt bleiben.
Der Verzicht auf eine «dynamische» Schätzung, die die Reaktion der betroffenen Konzerne auf die Steuererhöhung berücksichtigt, hat Gründe. Im Fall der OECD-Mindeststeuer ist eine solche besonders anspruchsvoll, weil die Umsetzung einer weltweiten Reform beispiellos ist. Überdies umfasst sie nicht nur eine Anhebung der Steuersätze, sondern auch eine neue, einheitliche Bemessungsgrundlage.
Die SP entledigt sich der Komplexität, indem sie diese schlicht ausklammert. Das ist unredlich. Niemand würde annehmen, dass der Umsatz eines Restaurants bei einem Anstieg der Preise um 20% im gleichen Ausmass zunähme – selbst wenn der Preisanstieg die Folge einer vom Gastroverband ausgerufenen Mindestkonsumation in allen Restaurants wäre. Wer eine statische Berechnung der Auswirkungen zum Nennwert nimmt, verstrickt sich bei genauerer Betrachtung zudem bald in Widersprüche. Damit wird nämlich angedeutet, dass die steuerlich attraktiven Kantone in der Vergangenheit grundsätzlich gegen ihre fiskalischen Interessen gehandelt und mit deutlich höheren Steuern im gleichen Ausmass Unternehmen und Steuersubstrat angezogen hätten.
Nicht zu kümmern scheint auch der Umstand, dass die Studie etwa dem Kanton Zürich Mehreinnahmen im dreistelligen Millionenbereich verspricht, obwohl dessen effektiver Steuersatz heute über der 15%-Schwelle liegt. Der Hauptgrund dafür soll in der grosszügigen Ausgestaltung der Patentbox liegen. Ausgerechnet diese Gewinne sind aber hohen Steuererhöhungen unterworfen und folglich am stärksten von möglichen Verhaltensanpassungen betroffen.
Dem NFA macht Ungewissheit nichts aus
Die unsichere Datenbasis der Stude ist das eine, daraus politische Forderungen abzuleiten das andere. So propagiert die SP als Reaktion auf die Mindeststeuer einen gänzlich neuen Umverteilungsmechanismus zwischen Bund und Kantonen – ohne das wichtigste Umverteilungsinstrument in der Schweiz auch nur mit einem Wort zu erwähnen. Wohl im Wissen, dass der nationale Finanzausgleich (NFA) die Einnahmen bereits umverteilt. Dabei hätte der NFA einen entscheidenden Vorteil: Man ist gar nicht darauf angewiesen, Ungewisses zu prognostizieren. Er wirkt nämlich genau so, wie die zusätzlichen Einnahmen – oder die weniger wahrscheinlichen Verluste – effektiv anfallen.
Nur tut er dies verzögert. Dafür fehlt leider nicht nur der Linken die Geduld. Der Tritt gegen das föderale System könnte bis weit in die Mitte hinein Unterstützung finden – ausgerechnet auch von Kräften, die normalerweise für den Föderalismus einstehen. Aber in der Ära der «Zeitenwenden» ist die Wunschliste der Politik zu lang und der Handlungshorizont zu kurz, um institutionelle Prinzipien zu respektieren.
Die SP schafft im Verteilkampf Fakten mit Zahlen. Sie tut dies allerdings, ohne mögliche Verhaltensanpassungen seitens der betroffenen Konzerne nur im Ansatz zu berücksichtigen. Gute Politik würde anerkennen, dass es zurzeit keine verlässlichen Daten gibt, anhand derer die Auswirkungen der Mindeststeuer – besonders auf kantonaler Ebene – abgeschätzt werden können.
Weiterführende Informationen zum Thema finden Sie in der jüngsten Avenir-Suisse-Analyse: «Schöne neue Steuerwelt».