Der Service public gilt in der Schweiz als unantastbar. Es ist Zeit, den Begriff zu entmystifizieren. Die Infrastrukturen brauchen mehr Wettbewerb und privates Engagement.
Niemand hat etwas gegen Service public. Warum auch? Schliesslich handelt es sich um Leistungen zugunsten der Bevölkerung, vor allem jener, die aufgrund ihrer geographischen Lage irgendwie benachteiligt ist. Der Service public wird daher auch als Voraussetzung für den Zusammenhalt zwischen städtischen und ländlichen Regionen angesehen. Ausserdem hat sich der Service public als (ineffektives) Instrument zur Umverteilung etabliert: Auch weniger begüterte Personen sollen die Leistungen etwa der Post oder des öffentlichen Verkehrs günstig erhalten. Das alles scheint Grund genug zu sein, jeden Wettbewerb abzulehnen. Grundversorgung ist Sache des Staates. Die Liberalisierung und das Streben nach Gewinn – so die Meinung vieler – führen bloss zu höheren Preisen und hinterlassen ganze Landstriche ohne Versorgung.
Doch so einfach ist es nicht. Die Auffassung darüber, was Service public ist, geht weit auseinander. Die begriffliche Unschärfe eröffnet Interpretationsspielraum. Definition und Finanzierung des Service public werden zum Spielball von Interessengruppen wie Gewerkschaften oder öffentlichen Unternehmen, die sich den Grundversorgungsauftrag besonders grosszügig finanzieren lassen und von regulatorischen Vorteilen gegenüber Konkurrenten profitieren. Immer mehr Leistungen werden als Grundversorgung betrachtet, selbst wenn sich Technologien oder Präferenzen gewandelt haben. So transportiert die Post vor allem Massensendungen wie Kontoauszüge, während für Eiliges und Wichtiges längst der elektronische Weg gewählt wird. Die steigende Nachfrage nach Service public hat auch damit zu tun, dass viele Regionen darin ein Instrument im Standortwettbewerb sehen. Das gilt besonders, wenn sie dafür von einer höheren Staatsebene subventioniert werden. Bestes Beispiel ist der öffentliche Verkehr. Das rasante Kostenwachstum ist nicht etwa das Resultat einer wachsenden Erschliessung besonders abgelegener Regionen. Vielmehr verlangen immer mehr Agglomerationsgemeinden einen noch besseren Anschluss an die Zentren. Davon profitieren weniger die Pendler, sondern vor allem die Eigner von Immobilien, deren Wert mit der Verkehrsverbindung wächst. Ungewollte Umverteilung und wachsende Zersiedelung sind die Folgen.
Es ist Zeit, den Begriff des Service public zu entmystifizieren. Die stetig wachsenden Infrastrukturkosten und die Übernachfrage verlangen höhere Effizienz und mehr Benutzerfinanzierung. Doch Effizienz lässt sich nicht per Dekret verordnen. Vielmehr braucht es Wettbewerb und privates Engagement – das gilt auch bei den Infrastrukturen. Ein neues Buch von Avenir Suisse illustriert, dass nicht etwa die Liberalisierung die Grundversorgung bedroht, sondern dass umgekehrt die extensive Definition sowie die intransparente Finanzierung des Service public die eingeleiteten Marktöffnungen in Frage stellen.
Dieser Artikel wurde am 20. 2. 2012 in der Zeitschrift «Cigar» veröffentlicht.
Am Donnerstag, 23. Februar wird das neue Buch «Mehr Markt für den Service public -Warum die Schweizer Infrastrukturversorgung weniger Staat und mehr Wettbewerb braucht» im alten Tramdepot in Bern mit einer Podiumsdiskussion vorgestellt.