Kommunalmagazin: Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat das Vertrauen in die Marktwirtschaft nicht gerade gefördert. Derzeit werden wieder mehr Aufgaben dem Staat übertragen. Ist die Forderung nach mehr Markt noch zeitgemäss?
Urs Meister: Die gegenwärtige Krise stellt die Marktwirtschaft als solche nicht in Frage. Markt und Wettbewerb werden auch in Zukunft wesentliche Bausteine unseres Systems sein. Ein Teil der Krise lässt sich darauf zurückführen, dass diese Mechanismen zuwenig gespielt haben. Wir verlangen in unserem Buch, dass man konsequenter mit diesen Mechanismen umgeht, Wettbewerb schafft und den Staat reduziert auf jene Aufgaben, die er übernehmen muss. Das ist eine der Lehren aus der Krise.
Katharina Prelicz-Huber: Es ist nicht wahr, dass es zu wenig Markt gab, im Gegenteil: Es gab gerade in der Finanzwirtschaft zu viele Freiheiten, die genutzt wurden, um zu spielen. In der Schweiz hat man einer einzigen systemrelevanten Bank mit 68 Milliarden ausgeholfen, damit sie nicht zusammenbricht. Dieser Betrag übersteigt das Bundesbudget eines Jahres. Da noch zu behaupten, alles funktioniere bestens im freien Markt und man müsse noch mehr liberalisieren, ist blanker Zynismus.
Urs Meister: Liberalisierung bedeutet nicht die Aufhebung aller Regeln, im Gegenteil. Gerade in den Infrastruktursektoren geht es vielmehr um Re-Regulierung: Man schafft neue Regeln, die dafür sorgen sollen, dass der Markt überhaupt spielen kann. Der Wettbewerb soll dafür sorgen, dass die Preise sinken und die Qualität steigt.
Und dies soll nun auch für Service-public-Leistungen gelten?
Prelicz-Huber: Wasser, Erdgas, Erdöl, Boden – das sind natürliche Güter, die uns zur Verfügung stehen. Sie gehören allen und müssen unter allen verteilt werden. Niemand kann darauf einen Privatanspruch erheben, und niemand dürfte daraus Eigenprofit erzielen.
Meister: Trinkwasser oder Energie bereitzustellen, ist mit Kosten verbunden. Deshalb muss man darüber diskutieren, auf welche Art und Weise sie verteilt werden. Wir sind der Meinung, dass dies am besten durch Marktpreise oder mindestens kostendeckende Tarife
erfolgen soll. Güter und Dienstleistungen des Service public sind nicht geeignet, um Verteilungspolitik zu betreiben.
Prelicz-Huber: Wir machen keine Verteilungspolitik. Es geht vielmehr darum, dass alle Zugang zu den öffentlichen Gütern haben sollen. Es darf zum Beispiel keine Rolle spielen, ob jemand viel oder wenig Geld hat, um Trinkwasser oder eine gute Bildung zu bekommen. Das kann nur der Staat garantieren, der demokratisch Aufträge erteilt und demokratisch kontrolliert wird.
Meister: Wir sind auch nicht gegen den allgemeinen Zugang zu diesen Leistungen. Wir fragen uns aber, wie man sie anbieten kann, ohne dass der Staat den Wettbewerb verzerrt. Dabei geht es nicht nur um die Service-public-Sektoren im engeren Sinn, sondern auch um andere, eigentlich privatwirtschaftliche Märkte. Viele öffentliche Versorger expandieren mittlerweile in völlig neue Bereiche, zum Beispiel die Post mit elektronischen Patientendossiers und verschlüsselten E-Mails.
Prelicz-Huber: Der Service public muss mit der technischen Entwicklung Schritt halten. Wenn eine Technologie so wichtig wird, dass man ohne sie nicht gleichberechtigt leben kann, muss sie allen zur Verfügung stehen. Deshalb gehört heute beispielsweise auch der Zugang zum Internet zum Service public.
Meister: Ich halte es für problematisch, in diesem Zusammenhang von Rechten zu sprechen. Es ist doch paradox: Wir befürchten eine Stromlücke, gleichzeitig subventionieren wir Elektrizität, weil die Stromversorgung als Recht verstanden wird. Es wäre sinnvoller, für solche Leistungen konsequenter Marktpreise zu verlangen. Diese lenken die Nachfrage und sorgen für neue Investitionen und Innovationen. Gerade bei den Infrastrukturen nutzen wir diesen Preismechanismus noch viel zu wenig.
Die niedrigen Preise sollen jenen zugute kommen, die wenig verdienen.
Meister: Es lässt sich oft nicht genau sagen, wer effektiv profitiert. Aber es sind sicher nicht immer die Einkommensschwachen. Beim Wasser beispielsweise wird häufig argumentiert, es müsse günstig sein, damit grössere Familien nicht benachteiligt werden. Doch der Wasserkonsum korreliert positiv mit dem Einkommen: Wer einen Swimmingpool oder einen grossen Garten hat, braucht viel mehr Wasser. Das heisst, wir subventionieren mit den tiefen Wasserpreisen die Vermögenden. Ähnliches gilt beim öffentlichen Verkehr, wo sich bessere Verbindungen in den Bodenpreisen niederschlagen. Deshalb müssen wir weg von den subventionierten Tarifen.
Prelicz-Huber: Wir sind uns einig, dass der Mehrverbrauch der Reichen durch sie selbst bezahlt werden soll. Der Gewinn aber muss zum Staat zurückfliessen.
Meister: Wenn der Wettbewerb tatsächlich spielt, sind auch keine ungerechtfertigt hohen Gewinne zu erwarten. Vielmehr sollen Konsumenten von Innovationen und angemessenen Tarifen profitieren. Daher interessiert vor allem die Frage, wie man Grundversorgungsleistungen, zu denen möglichst alle Zugang haben sollen, mit einem funktionierenden Markt kombinieren kann.
Prelicz-Huber: Ihr Grundgedanke ist verkehrt. Es gibt Monopole, die nicht für Markt geeignet sind. Wasser ist doch kein Markt! Statt Deregulierung und Privatisierung zu fordern, muss man von der Bevölkerung und ihren Bedürfnissen ausgehen, die der Staat abdecken muss. Service public heisst: eine gute Bildung, Gesundheitsversorgung, soziale Sicherheit, öffentlicher Verkehr und so weiter für alle und nicht nur für wenige Reiche. Das sind wichtige Grundvoraussetzungen für gleiche Chancen, Wohlbefinden und sozialen Frieden in einem Land. Damit dies gelingt, braucht es gut ausgebildete, motivierte Leute, die diese Leistungen umsetzen.
Das wäre unter Marktbedingungen nicht möglich?
Prelicz-Huber: Dass es nicht klappt, sieht man bei den Betrieben, die ausgelagert wurden: Man hat den Markt eingeführt, weil angeblich alles zu schlecht und zu langsam funktionierte in der Verwaltung. Heute stellt man fest, dass die Leistungen nicht günstiger werden. Zudem lassen sich die privatisierten Firmen nicht mehr vom Staat dreinreden und berufen sich auf ihre eigene operative Kompetenz.
Meister: Die Art und Weise, wie Kantone und Bund ihre Unternehmen in die Selbstständigkeit entlassen haben, ist in der Tat problematisch. Man gab den Unternehmen grössere Eigenständigkeit, aber man vernachlässigte die Schaffung eines effektiven Wettbewerbs, beispielsweise bei der Post oder lange auch im Telekombereich.
Prelicz-Huber: Weil es kein Wettbewerb ist. Faktisch sind es Monopole.
Meister: Auch in den Netzsektoren lässt sich mit geeigneten institutionellen Regeln Wettbewerb etablieren. Man hat allerdings in der Schweiz alles Mögliche getan, um ihn zu verhindern. Dass es funktionieren kann, hat Europa vorgemacht.
Prelicz-Huber: Wo bitte hat Europa etwas vorgemacht? Ob in London, Paris oder Berlin, überall, wo staatliche Aufgaben privatisiert wurden, hat dies zu massiven Preiserhöhungen und Leistungsabbau geführt.
Wie schätzen Sie die aktuelle Situation in der Schweiz ein?
Meister: Wir sind auf halbem Weg stehen geblieben. Öffentliche Unternehmen agieren vermehrt gewinnorientiert, gleichzeitig profitieren sie von halben Marktöffnungen sowie von regulatorischen und finanziellen Vorteilen im Zusammenhang mit der Grundversorgung. Es braucht eine konsequentere Marktöffnung.
Prelicz-Huber: Sie blenden einen Aspekt aus: Ich kenne kein Beispiel, in dem sich durch die Privatisierung die Bedingungen für die Arbeitnehmenden mit tieferen Salären verbessert hätten. Die Angestellten des öffentlichen Diensts haben bei uns 4000 Franken Mindestlohn. Ich kenne wenig private Unternehmungen, die diesen Mindestlohn garantieren.
Meister: Sie unterstellen damit, dass die Effizienzgewinne der Liberalisierung vor allem durch Lohndumping entstehen. Das ist falsch. Solange sich die Gewerkschaften und die öffentlichen Unternehmen gegen den Wettbewerb stellen, wird es keinen Markt geben. Der Verlierer ist der Konsument, der die Leistungen bezahlen muss.
Prelicz-Huber: Werden die Unternehmen privatisiert, sind die Angestellten – mit Ausnahme der Chefs – die Verlierer. Wir könnten auf einem anderen Niveau diskutieren, wenn Mindestlöhne garantiert wären, sprich eine Existenzsicherung gewährleistet würde.
Der Service public gilt als teuer. Nehmen wir als Beispiel die Spitäler, von denen es angeblich zu viele gibt.
Prelicz-Huber: Wenn es zu viele Spitäler gibt, warum entstehen dann neben den öffentlichen noch private? Ohne die privaten hätte man gar keinen Überfluss!
Meister: Mit Spitälern wird eben oft nicht nur Gesundheitspolitik gemacht, sondern auch Standort- und Regionalpolitik.
Prelicz-Huber: Das ist auch richtig so. Es geht um die Versorgung der Bevölkerung vor Ort.
Meister: Nein, jemand muss das aufgeblähte Gesundheitswesen schliesslich bezahlen. Die Gesundheitspolitik sollte sich auf die Gesundheit konzentrieren. Heute kommen viele Spitäler nicht auf genügend Fallzahlen. Das macht die Leistung teuer, und auch die
Qualität stimmt nicht. Jetzt versucht man, mit den DRG, den diagnosebezogenen Fallgruppen, und mit den Fallpauschalen eine Art Liberalisierung zu erreichen. Aber man ist nicht konsequent genug, denn mit der Spitalplanung haben die Kantone noch immer die Möglichkeit, ihre eigenen Spitäler zu bevorzugen, etwa durch zusätzliche Regelungen wie maximale und minimale Fallzahlen und mit versteckten Subventionen für die eigenen Spitäler.
Prelicz-Huber: DRG machen Druck auf das Personal und bauen Pflegeleistungen für Patientinnen und Patienten ab. Wenn ein Privatspital zudem Grundversorgung anbietet, dann bekommt es genau die gleichen Leistungen wie ein öffentliches Spital. Das Wichtigste ist doch letztendlich, dass wir eine gute Versorgung haben. Patientenbefragungen haben gezeigt, dass 80 Prozent der Leute
sehr zufrieden sind.
Meister: Doch wegen der überdurchschnittlich wachsenden Gesundheitskosten sind Strukturbereinigungen nötig. Die kantonalen Spitalplanungen waren und sind auch künftig dazu nicht in der Lage. Vielmehr braucht es einen funktionierenden Wettbewerb, an dem auch private Akteure teilnehmen. Doch gerade die Spitalplanung behindert dies.
Private Anbieter gibt es mittlerweile auch im Postgeschäft. Allerdings verlangen diese etwa für den Versand eines Pakets deutlich mehr als die Post.
Meister: Und was könnte das bedeuten? Vielleicht ist die Post effizienter. Womöglich aber profitiert sie von einseitig vorteilhaften Regulierungen, dem Restmonopol bei den Briefen oder versteckten Quersubventionen.
Prelicz-Huber: Das Budget der Post ist sehr transparent. Das ist der grosse Vorteil der Demokratie. Sie macht sichtbar, was wie viel kostet.
Meister: Da bin ich anderer Ansicht. In vielen Fällen ist unklar, wie der Service public abgegolten wird. Wir geben der Post ja keinen Betrag für ihre Grundversorgungsleistungen. Wir geben ihr stattdessen die 50-Gramm-Grenze, ein Restmonopol, das sie entschädigen soll und dessen Wert sich nicht genau beziffern lässt. Ähnlich ist es mit dem Nachtfahrverbot bei den Lastwagen, das dem öffentlichen
Verkehr Vorteile verschafft, deren Wert sich kaum beziffern lässt.
Prelicz-Huber: Sie haben als Bürger die Möglichkeit, dem Bund diese Frage zu stellen und würden darauf auch eine Antwort bekommen. Wenn wir den Service public mit Subventionen finanzieren, dann haben Bürgerinnen und Bürger ein Recht darauf zu wissen, ob das Geld auch richtig eingesetzt wird. Bei einem privaten Unternehmen ist das nicht der Fall.
Meister: Das stimmt nicht. Der Kunde sieht auch bei einem Privaten, ob er den geforderten Service bekommt oder nicht.
Prelicz-Huber: Ein privates Unternehmen beharrt auf der Unabhängigkeit seines operativen Geschäfts. Deshalb sind nicht die gleichen Regulierungen und Kontrollen möglich wie bei einem öffentlichen Betrieb, der demokratisch gesteuert ist.
Ob die Leistungen vom Staat oder von Privaten bereitgestellt werden sollen, ist eine Frage. Eine andere ist es, welche Leistungen der Service public umfassen soll.
Meister: Die Unternehmen, die Servicepublic- Leistungen erbringen, expandieren mehr und mehr in Bereiche, die offensichtlich nicht mehr dazu gehören. Sie kompensieren so ein wegbrechendes Geschäft.
Prelicz-Huber: Man kann eben nicht die rentablen Teilbereiche privatisieren und gleichzeitig vom staatlich bleibenden Teil verlangen, neuen Gewinn zu erwirtschaften. Sonst passiert es eben, dass die Post auch Handys verkauft.
Meister: Sie haben recht. Durch die Marktöffnung haben die staatlichen Unternehmen einen viel stärkeren Fokus auf Gewinn. Der Stromsektor ist das beste Beispiel dafür, dass staatliche Unternehmen nun plötzlich in einem Markt mit hohem wirtschaftlichem Risiko investieren. Wir müssen einsehen, dass es die Eier legende Wollmilchsau nicht gibt: Ein Unternehmen kann nicht politische Ziele verfolgen, einen Grundversorgungsauftrag haben und gleichzeitig noch wahnsinnig viel Gewinn abwerfen. Sobald Marktpreise darüber bestimmen, welche Leistungen erbracht werden, dann nimmt die Möglichkeit der politischen Steuerung ab.
Nicht nur die Stromunternehmen expandieren, auch andere staatlich kontrollierte Betriebe wie die Post beschränken sich nicht mehr allein auf Grundversorgungsleistungen. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Prelicz-Huber: Die Post ist dazu da, eine Grundversorgung für die ganze Schweiz anzubieten. Dabei geht es nicht um Gewinnorientierung. Wir wollten nie, dass sie zu einem Gemischtwarenladen wird.
Meister: Aus diesem Grund muss der Grundversorgungsauftrag grundlegend überdacht werden. Die Kommunikation übers Internet hat massiv an Bedeutung gewonnen. Längst werden auch wichtige Dokumente wie Bewerbungen elektronisch versandt. Auf dem klassischen Postweg kommen hauptsächlich noch Rechnungen und Kontoauszüge. Solche Massensendungen sind häufig nicht zeitkritisch. Sie könnten auch nur zweimal die Woche ausgetragen werden.
Prelicz-Huber: Politisch wurde festgelegt, dass die Post täglich zugestellt wird, und deshalb soll es so sein.
Meister: Aber wäre es nicht besser, wenn nur die zahlen, die diesen Service wollen? Wieso muss er subventioniert werden?
Prelicz-Huber: Weil wir das miteinander demokratisch entschieden haben. Das ist die demokratische, solidarische Gesellschaft. Als Mitglieder müssen wir manchmal auch Dinge mitbezahlen, die uns nicht passen. So muss ich beispielsweise die Autobahnen mitfinanzieren, obwohl ich sie aktiv nie benutzen werde.
Randregionen befürchten einen Leistungsabbau, wenn der Service public sich verstärkt am Markt orientiert.
Meister: Tatsächlich gibt es Regionen, in denen gewisse Dienstleistungen nicht wirtschaftlich und kostendeckend angeboten werden können. Doch viele Gemeinden, die heute vom subventionierten Service public profitieren, sind nicht derart abgelegen, vielmehr sind sie Teil der Agglomerationen. Auch stellt sich grundsätzlich die Frage, ob durch Marktöffnungen ganze Landstriche ohne Versorgung dastehen würden. Erstens ist es für viele Unternehmungen aus strategischen Gründen sinnvoll, alle Regionen zu bedienen. Der Absender eines Briefes erwartet von der Post, dass sie diese überall zustellt. Zweitens können Preis- und Leistungsdifferenzierungen sinnvoll sein. Briefe in abgelegene Regionen könnten teurer sein oder weniger häufig zugestellt werden. Umgekehrt könnte ein Postunternehmen alternativ günstige elektronische Zustelllösungen anbieten.
Prelicz-Huber: Man will immer nur dort Markt, wo Gewinne zu erzielen sind. Beim Service public geht es aber darum, dass man alle Gebiete abdeckt. Auch das abgelegenste Dorf hat ein Anrecht darauf, zu den gleichen Konditionen einen Brief zugestellt zu bekommen wie die Stadt, wo man einen Gewinn erzielen kann.
Meister: Selbst wenn man überall die gleichen Tarife haben will, könnte man den Versorgungsauftrag ausschreiben. Das ist effizienter und transparenter als das heutige System mit Quersubventionen. Die Unterstützung abgelegener, strukturschwacher Regionen sollte vielmehr über den Finanzausgleich erfolgen. Es soll jeder Gemeinde offenstehen, wie sie dieses Geld verwendet, ob für zusätzliche Busverbindungen oder für ein Altersheim.
Prelicz-Huber: Die Realität sieht leider anders aus: Kleine Gemeinden können nicht zwischen Altersheim und Bus wählen. Ihnen fehlt für beides das Geld. Der Lastenausgleich bringt den Gemeinden in Kantonen wie Obwalden, Nidwalden oder Uri wenig.
Solche Überlegungen dürften bei der Strukturreform im Kanton Glarus eine Rolle gespielt haben. Wäre das Glarner Modell ein Lösungsansatz?
Prelicz-Huber: Mittlerweile fusionieren viele Gemeinden. Dadurch müssen sie nicht sämtliche Strukturen aufrechterhalten. Aber der Kanton wird durch Gemeindefusionen letztlich nicht reicher.
Meister: Die Leistungen für Randregionen sind nicht günstiger, wenn sie durch Quersubventionen statt direkte Abgeltungen finanziert werden. Allerdings sind damit gravierende Nachteile verbunden. Erstens profitieren auch Personen und Regionen, die keine Unterstützung bräuchten. Zweitens wird die Marktöffnung behindert. Um Rosinenpicken durch Konkurrenten zu verhindern, erhalten öffentliche Unternehmen Restmonopole, zusätzliche Subventionen oder andere regulatorische Vorteile. Tarifdifferenzierungen sind daher sinnvoll und auch nötig, um einen funktionierenden Wettbewerb zu schaffen.
Prelicz-Huber: Tarifdifferenzierung ist ein schönes Wort. Doch real bedeutet es weniger Lohn. Das haben wir bei den Busbetrieben gesehen. Solange der Staat der Arbeitgeber ist, können wir eine bessere Lohnentwicklung inklusive Mindestlöhnen gewerkschaftlich und politisch aushandeln. Private Anbieter zahlen schlechter!
Meister: Mindestlöhne sind grundsätzlich kritisch, da sie tendenziell mit höherer Arbeitslosigkeit einhergehen. Auch ist es sinnvoll, Angestellte öffentlicher Unternehmen eineitig besser zu stellen. Zudem ist der Spielraum für besonders tiefe Löhne begrenzt: Wenn der Staat Aufträge an Private vergibt, kann er einen gewissen Standard verlangen, etwa in Bezug auf Servicequalität und Sicherheit. Um das zu leisten, braucht ein Unternehmen gut ausgebildete Angestellte, und diese verlangen eine angemessene Entlöhnung.
Dieses Interview erschien im «Kommunalmagazin» vom 9. August 2012.