Migrationsströme sind schwer zu prognostizieren | Avenir Suisse

Obwohl die Zuwanderer in die Schweiz aus vielen Ländern stammen, sorgten in der öffentlichen Debatte doch zwei nationale Gruppen für besondere Aufmerksamkeit: Die Migranten aus Ex-Jugoslawien in den 1990er Jahren und jene aus Deutschland in den 2000er Jahren.

Wenn man sich die Wanderungsbewegungen dieser beiden Gruppen anschaut, zeigt sich eine erstaunliche Parallele (siehe Abbildung): Die Nettozuwanderung hatte einen fast identischen Kurvenverlauf – allerdings mit einer Zeitverschiebung von 15 Jahren. In beiden Fällen stieg die Zuwanderung innerhalb weniger Jahre rasant an, erreichte für ca. zwei Jahre eine Spitze von 30‘000 bis 35‘000 Personen pro Jahr und fiel dann fast ebenso schnell wieder auf ihr ursprüngliches Niveau zurück, wie sie gestiegen war. Die Einwanderung der Deutschen ab Mitte der 2000er Jahre verlief nach ähnlichem Muster. Der Vergleich mit drei anderen Beispielländern in der Grafik illustriert, wie sehr der Kurvenverlauf für Deutschland und Ex-Jugoslawien jeweils aus dem Rahmen fiel.

Ebenso markant wie die Parallelen sind jedoch auch die Unterschiede zwischen den beiden Migrationswellen:

  1. Das entscheidende Migrationsmotiv der Personen aus dem West-Balkan war der Bürgerkrieg, und die Menschen kamen als Flüchtlinge (Push-Migration). Das dominante Migrationsmotiv bei den Deutschen hingegen war die Erwerbstätigkeit. Der Haupttreiber dieser Zuwanderung war die hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland (Push) in Kombination mit einer hohen Arbeitskräftenachfrage in der Schweiz (Pull).
  2. Ein weiterer Unterschied ist das Qualifikationsniveau. Während viele Einwanderer aus Ex-Jugoslawien deutlich geringer qualifiziert waren als die Schweizer («unterschichtende Zuwanderung»), hatten viele deutschen Zuwanderer ein Qualifikationsniveau, das über dem Durchschnitt der Schweizer Bevölkerung lag («überschichtende Zuwanderung»). Über 60% der deutschstämmigen Erwerbstätigen in der Schweiz verfügen über einen tertiären Bildungsabschluss, bei jenen aus Ex-Jugoslawien sind es kaum 10%.
  3. Auch die Rolle der Migrationspolitik war bei beiden Wanderungswellen unterschiedlich. Bei der Zuwanderung aus Ex-Jugoslawien trug eine Verschärfung der Asylpolitik deutlich zum Rückgang bei, während bei den Deutschen mit der vollen Einführung der Personenfreizügigkeit eine migrationspolitische Weichenstellung eher das auslösende Moment war. Der anschliessende Rückgang der Zuwanderung war hingegen auf wirtschaftliche Faktoren zurückzuführen, insbesondere der verbesserten Arbeitsmarktlage in Deutschland.

Angesichts all dieser Unterschiede erscheint die fast identische Form des Kurvenverlaufs für die Nettozuwanderung von Deutschen und Personen aus Ex-Jugoslawien doch verblüffend. Die Volatilität der Wanderungsbewegungen in den beiden Fällen illustriert auch, wie schwer es ist, Migrationsströme zu prognostizieren und wie schnell sich der Schwerpunkt der migrationspolitischen Debatte verlagern kann.