Milizsystem in den Gemeinden: Eine Podiumsdiskussion bei Avenir Suisse

Das Milizsystem bedeutet der Schweizer Bevölkerung nach wie vor viel. Diesen Schluss liess auch das rege Interesse an der Podiumsdiskussion mit Prof. Andreas Ladner, Andreas Müller, Stefan Wirz, Angelica Venzin und Jörg Kündig (v.l.) zu.

«Es gibt keine Alternative zum Milizsystem in den Gemeinden»: Prof. Andreas Ladner (Universität Lausanne) beschäftigt sich seit Jahren mit der Gemeindepolitik. Sein Inputreferat an einer gemeinsamen Veranstaltung von Avenir Suisse und der Paulus-Akademie zum Thema «Milizsystem auf Gemeindeebene: Quo vadis?» steckte das Feld ab für die anschliessende Podiumsdiskussion: Nicht Alternativen zum Milizsystem seien gesucht, sondern Lösungen für dessen Wiederbelebung. Das Panel vervollständigten Angelica Venzin (Mitglied des Schulrates der Freien Katholischen Schulen Zürich), Jörg Kündig  (Präsident des Gemeindepräsidentenverband Kanton Zürich), Andreas Müller (Vizedirektor Avenir Suisse) und der Moderator Stefan Wirz (Studienleiter an der Paulus-Akademie).

Kein Masterplan notwendig

«Milizpolitik ist wertvolles Sozialkapital» und gemäss Ladner wichtig für das Funktionieren des ganzen Landes. Doch immer weniger Bürger lassen sich für ein Milizamt gewinnen. Gründe dafür sind: fehlende Zeit, steigende Anforderungen, ausbleibende Anerkennung, die Angst vor übermässiger Kritik und geänderte Lebensgewohnheiten. Eine Patentlösung, mit der sich sowohl Gemeinderäte in Berggemeinden wie auch Feuerwehrmänner für die Zürcher Goldküste gewinnen lassen, gibt es nicht. Ladner präsentierte jedoch verschiedene Massnahmen, die helfen, das feingliedrige kommunale System der Schweiz über Wasser zu halten.

Ein Weg ginge über eine breitere Rekrutierungsbasis, denn vor allem die jüngeren und älteren Generationen und die Frauen sind in der Gemeindepolitik untervertreten. (Vor diesem Hintergrund schlägt Avenir Suisse in einer neuen Publikation vor, das passive Stimmrecht für Ausländer auf Gemeindeebene einzuführen.) Auch mit materiellen Anreizen liesse sich das Image von Gemeindeämtern aufpeppen – oder dank mehr Transparenz bezüglich des Zeitaufwands. Ein Vorbild ist der Kanton Luzern, der Milizämter in Teilzeitstellen umgewandelt hat. Auch Gemeindefusionen und die interkommunale Zusammenarbeit können helfen. Eine gesamtschweizerische Radikallösung à la Kanton Glarus sei aber kaum realistisch. (Glarus hat seine ehemals 25 Ortsgemeinden zu drei Einheitsgemeinden fusioniert und deren Verwaltung professionalisiert.) Das hänge auch damit zusammen, dass die simple Gleichung «kleine Gemeinden gleich grosse Probleme» nicht zutreffe. Mittelgrosse Gemeinden haben gemäss Ladner grössere Sorgen als ganz kleine Gemeinden oder die Städte.

«Mit Milizarbeit bist auch Du gemeint»

«Es geht den Gemeinden wie den Vereinen – viele wollen helfen, aber keiner will Verantwortung übernehmen.» Jörg Kündig sieht in der befristeten Projektarbeit eine mögliche Lösung. Angelica Venzin empfiehlt, bereits in der Schule für das Milizsystem zu sensibilisieren. Ein Votum aus dem Publikum wies darauf hin, dass in den USA Freiwilligenarbeit (Volunteering) von den Unternehmen honoriert, ja oft sogar gefordert wird. In der Schweiz sei oft das Gegenteil der Fall: Gerade grössere Unternehmen stünden einem Engagement ihrer Mitarbeiter auf lokaler Ebene eher kritisch gegenüber, während Mandate auf nationaler Ebene durchaus gefördert würden.

Für Andreas Müller wäre der von Avenir Suisse im Buch «Bürgerstaat und Staatsbürger» (2015) vorgeschlagene allgemeine Bürgerdienst eine Art Ultima Ratio für die Zukunft, falls sich die Niedergangs-Szenarien bewahrheiten sollten. «Legitimiert» wird der Vorschlag durch mehrere Umfragen, die bestätigen, dass das Milizsystem der Schweizer Bevölkerung nach wie vor viel bedeutet. Diesen Schluss liess auch das rege Interesse an der Veranstaltung zu.