Auf kaum einen Ökonomen passt der Titel dieser Reihe so gut wie auf Milton Friedman. Er war ein bedeutender Forscher, 1976 geadelt mit dem Nobelpreis, im für diese Ehrung jungen Alter von 64 Jahren. Aber er war auch Berater, Aufklärer, Lehrer, Publizist – und für seine Zeit fast ein Medienstar. Ob er, wie der vor kurzem verstorbene Chicagoer Ökonom Gary Becker (auch er Nobelpreisträger) 2006 in einem Nachruf schrieb, der einflussreichste Wirtschaftstheoretiker des 20. Jahrhunderts war, muss offenbleiben – aber abwegig ist die Aussage nicht.
Friedman wollte die Welt nicht nur verstehen, sondern gestalten, und das hat er getan, mit Auftritten auf Konferenzen und im Fernsehen, Kolumnen in Zeitungen und Magazinen sowie Beratungstätigkeit weit über die Vereinigten Staaten hinaus. Zugleich war er Inspirator für unzählige Thinktanks. Sein wissenschaftliches Portfolio deckt viele Fragen der Wirtschaftspolitik ab, aber sein Hauptwerk ist die mit Anna Schwartz veröffentlichte, 8oo-seitige «Monetary History of the United States, 1867 – 1960». Sie machte ihn neben Karl Brunner und Allan Meltzer zum bedeutendsten Vertreter des Monetarismus – der eloquenteste war er ohnehin. Das Buch belegt, dass die Weltwirtschaftskrise nicht auf ein Versagen der Märkte zurückging, sondern fast ausschliesslich auf gravierende Fehler des intervenierenden Staates, nämlich auf eine Unterversorgung mit Geld. Die aus dieser Erkenntnis abgeleitete Regel, dass Notenbanken die Geldmenge im Gleichschritt mit der Entwicklung der Produktivität ausweiten sollten, ist heute nicht mehr so en vogue wie in den 1970er und 198oer Jahren, aber was bleibt, ist die Erkenntnis, dass Inflation ein rein monetäres Phänomen ist. Vielleicht gibt es in einigen Jahren, mit genügend Distanz zum Geschehen, in der Tradition Friedmans ein neues Standardwerk, das zeigt, dass auch die Finanzkrise der letzten Jahre nicht auf Markt-, sondern auf Staatsversagen beruht: auf einer Überversorgung mit Geld. Damit würde der Friedmansche Monetarismus der Österreichischen Schule der Ökonomie die Hand reichen.
Als Mensch wie auch in seinem Werk bleibt Friedman durch Kreativität, Konsequenz und Witz in Erinnerung. Die Kreativität zeigte sich in vielen Vorschlägen, die er in seinem in über zehn Sprachen übersetzten Bestseller «Capitalism and Freedom» zusammenfasste. Bei ihrer Lancierung tönten sie geradezu revolutionär, inzwischen sind sie in vielen Köpfen angekommen und zum Teil umgesetzt worden. Zuvorderst darf man die Idee der Bildungsgutscheine (Vouchers) zur Finanzierung der Schulen erwähnen. Das Konzept würde Eltern die freie Schulwahl erlauben und die Schulen dem Wettbewerb aussetzen. Friedman und seine Frau Rose, ebenfalls eine hervorragende Ökonomin, waren so überzeugt davon, dass sie dafür eine Stiftung schufen und sie entsprechend alimentierten. Auch den Vorschlag, die Alterssicherung mittels individueller Altersvorsorgekonten statt auf der Basis staatlicher Sozialversicherungen vorzunehmen, verdanken wir Friedman. Er wurde von Chile bis Singapur und von Grossbritanien bis Mexiko umgesetzt.
In jüngster Zeit wird Friedman oft als Vater der Idee einer negativen Einkommenssteuer zitiert, weil ihn Anhänger eines bedingungslosen Grundeinkommens als Kronzeugen missbrauchen. Dabei ging es Friedman nur darum, das heutige Wirrwarr von Unterstützungsbeiträgen durch eine einzige, gezielte Subvention für alle, die Unterstützung nötig haben, zu ersetzen. Zu Friedmans festen Überzeugungen gehörte, dass Menschen auf Anreize reagieren; ein «bedingungsloses» Einkommen passt daher sicher nicht zu dieser Überzeugung. Besonders viele Nachahmer konnte Friedman mit der Flat Tax gewinnen. Vor allem in Osteuropa fand sie nach der Wende grossen Anklang.
Friedman sprühte vor Ideen, es war eine Freude, mit ihm zu debattieren. Das Gespräch war aber zugleich fordernd, denn er argumentierte bis an die Schmerzgrenze konsequent. Viele empfanden dies als Arroganz, doch die meisten merkten mit der Zeit, dass der Mann im Gegenteil Loyalität und Wärme ausstrahlte. Am meisten spürte man es, wenn Milton und Rose Friedman zusammen auftraten – und das taten sie oft. Die Autobiographie der Friedmans «Two lucky people» beschreibt daher nicht nur den Aufstieg Milton Friedmans aus ärmlichen Verhältnissen einer jüdischen Einwandererfamilie aus dem Osten der Habsburgermonarchie zum Berater von Staatspräsidenten und Notenbankern, sondern auch eine bemerkenswert enge, fast 70 Jahre währende Ehe.
Seine messerscharfe Argumentation führte Friedman zu auch unter Liberalen umstrittenen Positionen. Freiheit war für ihn ein Ganzes, nie bloss auf die Wirtschaft beschränkt. So trat er für Drogenliberalisierung ein, gegen das Prostitutionsverbot und gegen die Militärpflicht. Dabei war er alles andere als ein libertärer Staatsabschaffer; diese Rolle übernahm sein Sohn David. Zum Feindbild wurde Friedman, als er das Pinochet-Regime in Chile beriet und einige Chicago Boys dort Minister wurden. Dabei folgte er nur der auch von Ordoliberalen vertretenen These, dass wirtschaftliche Freiheit eine notwendige Voraussetzung politischer Freiheit ist und wirtschaftliche Liberalisierungen ein totalitäres Regime auf Dauer nicht festigen, sondern unterminieren – eine Ansicht, die er auch mit Blick auf China vertrat.
So bedeutsam Friedmans Beitrag zur Forschung auch war – im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen punktete er auch mit prägnanten Formulierungen und bezog seine Wirkung auch daraus. Einige Bonmots zählen zum stehenden Zitatenschatz der Ökonomen: «The business of business is business», «Die staatliche Lösung für ein Problem ist gewöhnlich genauso schlecht wie das Problem selbst», «Inflation ist Besteuerung ohne Gesetzgebung» und «Es gibt keine Gratismahlzeit». Für solche Sätze braucht es nicht nur Sachverstand und Formulierungsgabe, sondern auch feste Überzeugung – und die hatte der bekennende Liberale Milton Friedman.
Dieser Artikel erschien in der «Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung» vom 10.08.2014. Mit freundlicher Genehmigung der «Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung».