Wenn sich Ende Juni die Staatsspitzen der Nato-Mitgliedstaaten in Den Haag treffen, dürfte die Nervosität gross sein. Die Rückkehr Donald Trumps ins Weisse Haus stellt das transatlantische Bündnis auf die Probe. Ein Rückzug der USA aus ihrer Führungsrolle in der Nato würde die Sicherheitsgarantien für Europa infrage stellen, die jahrzehntelang auf amerikanischer Abschreckung beruhten. Ob und wie Europa diese Lücke schliessen kann, bleibt offen.

Klar ist hingegen, dass die Messlatte für Verteidigungsausgaben derzeit neu gesetzt wird. Das bisherige 2%-Ziel dürfte bald der Vergangenheit angehören. Trump fordert, dass Nato-Mitglieder 5% ihres Bruttoinlandprodukts (BIP) für Verteidigung ausgeben. Nato-Generalsekretär Mark Rutte will dieses Ziel offiziell vorschlagen. Auch Deutschlands Aussenminister Joachim Wadephul unterstützt eine Quote von 3,5% für das Militär plus 1,5% für militärisch nutzbare Infrastruktur. Die EU wiederum will mit einem schuldenfinanzierten Fonds über 150 Milliarden Euro sicherheitspolitisch an Gewicht gewinnen.

Vieles davon sind bislang Ankündigungen. Doch der Trend ist unübersehbar: Weltweit stiegen die Verteidigungsausgaben 2024 inflationsbereinigt um 7,4% – in der EU sogar um 17%. Die Schweiz kann sich diesen Entwicklungen nicht entziehen – und sollte es auch nicht wollen. Das Parlament wird sich deshalb fragen müssen, ob heute genug in die Landesverteidigung investiert wird.

Bessere Ausgangslage als gedacht

Gemessen am BIP liegt die Schweiz mit 0,7% weit unter dem bisherigen Nato-Ziel. Und sie scheint damit in Europa ein Schlusslicht zu sein: Nur Irland, Malta und Moldawien verzeichnen noch tiefere Quoten (abgesehen von Kleinststaaten ohne Armee). Zwar will der Bundesrat die Verteidigungsausgaben bis 2032 auf 1% des BIP erhöhen – im internationalen Vergleich bleibt aber auch das ein bescheidener Wert.

Doch die BIP-Quote täuscht. Ein genauer Blick auf die Zahlen zeigt, dass die Schweiz besser dasteht, als es scheint:

  • Die offiziellen Zahlen unterschätzen die effektiven Kosten
    Aufgrund des Milizcharakters der Schweizer Armee tauchen viele relevante Aufwendungen in der Statistik nicht auf (vgl. Box). Dazu gehören etwa Erwerbsersatzleistungen und Lohnfortzahlungen sowie Versicherungsleistungen. Weil die Schweiz keine Berufsarmee unterhält und keine flächendeckenden Soldzahlungen leisten muss, erscheinen viele Personalkosten nicht im Verteidigungsbudget – anders als in Ländern mit Berufsarmeen. Rechnet man diese Posten mit ein, um eine Vergleichbarkeit zu den Armeen anderer Länder zu schaffen, lagen die effektiven Verteidigungsausgaben der Schweiz im Jahr 2024 bei rund 1% des BIP – 8,75 Milliarden Franken. Damit steht die Schweiz besser da als etwa Österreich.
  • Die Vergleichsmassstäbe verschleiern das wahre Bild
    Die gängige BIP-Quote als Messgrösse stellt Länder mit vergleichsweise starker Wirtschaft in einem schlechten Licht dar. Eine andere Perspektive ergibt sich beim Vergleich der jährlichen Ausgaben pro Kopf: Hier liegt die Schweiz mit 665 Franken vor Kanada und Österreich (vgl. Grafik). Bezieht man die erweiterten Kosten des Milizsystems mit ein, belaufen sich die Ausgaben auf 976 Franken pro Person – mehr als in Deutschland, Frankreich oder Polen, das gemessen an der BIP-Quote als europäischer Musterschüler dasteht.
  • Nicht alle rechnen gleich – die Schweiz eher streng
    Viele Länder legen den Verteidigungsbegriff deutlich grosszügiger aus. Deutschland addiert Zinszahlungen für frühere Rüstungskäufe, Italien verbucht Soldatenrenten als militärische Ausgaben. Die Schweiz hingegen ist vorerst zurückhaltend. Wenn die Nato zukünftig auch gewisse zivile Infrastrukturinvestitionen als Militärausgaben taxiert, dürfte wohl auch in der Schweiz neu gerechnet werden. Sie könnte bei einer erweiterten Ausgabendefinition beispielsweise auf ihr dichtes Spitalnetz oder ihre leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur mit Dual-Use-Charakter verweisen.

Kein Grund zur Selbstzufriedenheit

Die Berechnungen zeigen: Die Schweiz steht international besser da, als es die offiziellen Quoten vermuten lassen. Das stärkt ihre Position in aussenpolitischen Verhandlungen. Innenpolitisch aber darf das nicht zur Selbstzufriedenheit führen. Denn solche Vergleiche sind trügerisch: Sie messen Geld, nicht Wirkung. Wer sich auf Quoten verlässt, fördert höhere Ausgaben – aber nicht automatisch eine bessere Verteidigung.

Richtig wäre daher ein Ansatz, der sich am Leistungsauftrag orientiert: Was soll die Armee leisten? Daraus ergeben sich Struktur, Bedarf und Finanzierung. Und heute ist klar: Die Schweiz muss ihre Verteidigungsanstrengungen verstärken. Je nach Bedrohungslage und Zustand der Armee kann das mehr oder weniger kosten. Entscheidend ist deshalb nicht die Frage, ob die Schweiz 1% oder 5% des BIP für Verteidigung ausgibt – sondern ob diese Mittel reichen, um ihren Auftrag effizient zu erfüllen.

Box: Was beinhaltet die Vergleichsrechnung?

Für das Jahr 2024 weist die Staatsrechnung des Bundes für die Verteidigung ein Ergebnis von 5,95 Mrd. Franken aus. Um eine Vergleichbarkeit zwischen der Schweizer Milizarmee und ausländischen Berufsarmeen zu schaffen, müssen weitere Aufwände addiert werden. Die tatsächlichen Kosten dürften bei 8,75 Mrd. Franken liegen, wenn die Besonderheiten des Schweizer Milizsystems berücksichtigt werden. Auf diese staatlichen und privaten Zusatzkosten wies die Milizkommission VBS bereits in einer Studie aus dem Jahr 2012 hin. Unsere Schätzungen basieren auf deren Berechnungen, wobei aufgrund mangelhafter Datenlage nicht alle Einzelpositionen analog übernommen werden konnten.
In der Vergleichsrechnung enthalten sind:

  • Weitere staatliche Aufwendungen: rund 1,4 Mrd. Franken (u.a. Bundesamt für Rüstung armasuisse, Staatssekretariat für Sicherheitspolitik Sepos, Militärversicherung Suva).
  • Milizkompensation:

– Direkt: rund 850 Mio. Franken (staatlich garantierter Erwerbsersatz, private Lohnfortzahlung).

Indirekt: rund 575 Mio. Franken an volkswirtschaftlichen Opportunitätskosten (Produktivitätsverluste durch Absenzen in Unternehmen. Diese entstehen nicht einfach durch Abwesenheit, sondern weil im Milizsystem zusätzlich Kapital gebunden wird; vgl. Studie von Rühli und Rogenmoser).