Eine Fiskalunion in der EU hätte auch Auswirkungen auf die Schweiz. Die Entwicklung genau verfolgen und abwarten ist dennoch eine legitime Strategie.

Treffen des EU-Rats am 30. Januar 2012 (Quelle: Rat der Europäischen Union)

Nicht wenige politische Beobachter gehen davon aus, dass sich die EU mit den Beschlüssen vom  9. Dezember 2011 und der Verabschiedung  des Fiskalpakts vom 30. Januar 2012 auf den Weg in Richtung einer Fiskalunion begeben habe. Ob diese Vermutung zutrifft, lässt sich heute noch nicht abschliessend beantworten. Einerseits wirft die Umsetzung der Gipfelbeschlüsse schwierige rechtliche Fragen auf. Anderseits steht der Test auf die Wirksamkeit des neuen Regelwerks noch aus, ist doch auch der Stabilitäts-und Wachstumspakt nach dem Vertragsbruch von Deutschland und Frankreich eine Ansammlung toter Buchstaben.

Durchwursteln ausgeschlossen

Grundsätzlich gibt es für eine nachhaltige Lösung der Staatsschuldenkrise in der Eurozone nach Ansicht des neuen Präsidenten der Deutschen Bundesbank, Jens Weidmann, nur zwei Optionen:

a)      Entweder den Schritt zu einer echten Fiskalunion mit einem strikt zentralisierten fiskalischen Regelwerk und Durchgriffsrecht auf den nationalen Haushalt

b)      oder die Stärkung des bestehenden Stabilitäts-und Wachstumspakts durch einen Haftungsausschluss für fremde Staatsschulden und der damit einhergehenden Disziplinierung der nationalen Finanzpolitiken durch die Kapitalmärkte.

Ein «Durchwursteln» wie bisher ist wohl kaum mehr  möglich.

Vielfältige Auswirkungen auf die Schweiz

Auch wenn die Umsetzung der neuen Fiskalpolitik noch unklar ist, sind die möglichen Folgen für die Schweiz zahlreich:

  • Erstens muss kurz- und mittelfristig mit einer höheren Unsicherheit – und einem mehr oder weniger konstanten  Aufwertungsdruck auf den Franken – gerechnet werden. Die schweizerische Geld-und Währungspolitik bleibt gefordert.
  • Zweitens kann noch weniger als bis anhin damit gerechnet werden, dass die EU Zeit und Verständnis für schweizerische Anliegen oder Interessen finden wird. Deshalb darf das bilaterale Vertragswerk  von Schweizer Seite nicht mit unwichtigen Begehren überfrachtet werden, sondern der politische Akzent muss in erster Linie auf die Qualität der nationalen wirtschafts-, steuer- und finanzpolitischen Rahmenbedingungen gelegt werden.
  • Drittens ist nicht auszuschliessen, dass das im Rahmen des revidierten Stabilitätspakts vorgesehene Monitoring wichtiger volkswirtschaftlicher Kennzahlen der EU-Mitgliedländer mit einer Zeitverzögerung entweder direkt oder indirekt (über den Umweg der G-20, des IWF oder der OECD) auch auf die Schweiz angewendet wird. Sie könnte dabei vor allem wegen ihres hohen Leistungsbilanzüberschusses unter zusätzlichen Druck geraten.
  • Viertens könnte mit dem Ausscheren von Grossbritannien  aus dem Fiskalpakt eine neue Entwicklung in der EU eingeläutet werden, deren Tragweite heute noch nicht abzuschätzen ist. Kann die EU auf ein Land verzichten, das bei allem nationalen Egoismus eine wichtige Stimme für offene und freie Märkte ist? Entwickelt sich ein innerer und äusserer Kern in der EU, wobei  man sich die Gruppe der 26 allerdings kaum als «Kern-Europa» vorstellen kann?
  • Fünftens dürfte die gegenwärtige Patt-Situation in Deutschland,  gemäss der weder eine Umformung der Eurozone noch der europäische Bundesstaat gewünscht wird, noch einige Zeit anhalten. Deshalb liegt die deutsche Priorität bei der strikten Einhaltung des revidierten Stabilitäts-und Wachstumspakts und des neuen Fiskalpakts. Sollte dieser Weg von Erfolg  gekrönt sein, ergäben sich auch positive Auswirkungen auf die Schweiz.

Die Lage ist also alles andere als klar. Vor diesem Hintergrund drängt sich als Fazit keine überhastete Änderung der schweizerischen EU-Politik auf.

Warten bzw. Optionen aufrecht erhalten hat einen Wert und macht bei hoher Unsicherheit Sinn. Wie sagte doch Henry Kissinger: Strategien brauchen Jahre, bis sie wirken.