Die EU zieht Konsequenzen aus der Schuldenkrise. Diesem Zweck dient die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Darüber hinaus soll die Wirtschaftspolitik in der Gemeinschaft besser koordiniert werden, um künftig makroökonomische Ungleichgewichte zu vermeiden. Mit einer Vielzahl von Indikatoren werden deren Existenz und Ausmass erfasst. Warnsignale sollen aufleuchten und den Mitgliedstaaten Handlungsbedarf zeigen. Unternehmen die Regierungen zu wenig, um «übermässige Ungleichgewichte» zu korrigieren, tritt ein «Durchsetzungsmechanismus» in Kraft, der auch Sanktionen beinhalten kann. Der Machbarkeitswahn treibt wieder einmal Blüten.

Zu den evaluierten Kriterien gehören die Leistungsbilanzsaldi. Konkret gelten ein Fehlbetrag von über 4% des Bruttoinlandprodukts (BIP) und ein Überschuss von mehr als 6% des BIP jeweils im Dreijahresdurchschnitt als korrekturbedürftig. Machen wir die Probe aufs Exempel.

Im Durchschnitt der Jahre 2006 bis 2008 beliefen sich die Leistungsbilanzüberschüsse Deutschlands, der Niederlande und Schwedens auf 6,9%, 6,8% und 8,8% des BIP. Hätte man Sanktionen verhängt, wären Volkswirtschaften bestraft worden, die grosse Anstrengungen zur Verbesserung ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit unternommen hatten und die europäische Konjunktur stützten. Wäre die Schweiz EU-Mitglied, würde sie mit ihrem Leistungsbilanzüberschuss von deutlich über 10% des BIP unter besonders kritischer Beobachtung stehen.

Gewiss sind die aussenwirtschaftlichen Saldi ein wichtiges Indiz für die Konkurrenzkraft einer Volkswirtschaft. Hohe Defizite weisen auf geringe Produktivität und einen Mangel an Reformbereitschaft in der Arbeitsmarkt-, Wettbewerbs- und Sozialpolitik hin. Alle Problemländer der EU sind mit Fehlbeträgen konfrontiert. Hohe Überschüsse können Spielräume für eine Stimulierung der Binnenwirtschaft, etwa einer Verstärkung der Investitionstätigkeit, signalisieren. So gesehen richtet das Monitoring dieser Grössen zumindest keinen Schaden an.

Verfehlt ist es aber, Länder mit strukturellen Leistungsbilanzüberschüssen zu einer expansiven Wirtschaftspolitik mit negativen Auswirkungen auf die Lohnstückkosten und die Preisstabilität zu zwingen. Sollte es dazu kommen, wäre die Koordination der Wirtschaftspolitik gleichbedeutend mit einem Abgleiten ins Mittelmass. Anstatt Impulsgeber für die angeschlagenen Volkswirtschaften zu sein und Reformanreize zu schaffen, würden die wettbewerbsstarken Länder zurückgebunden. Die wettbewerbsschwächeren Mitglieder würden ihre Probleme auf die lange Bank schieben, statt sie unter dem Druck erfolgreicher Konkurrenten anzupacken. Darin liegt das Risiko einer «Vergemeinschaftung» der Wirtschaftspolitik.