Es wäre der Beweis gewesen, dass nach den Erfahrungen der Corona-Pandemie das Krisenmanagement des Bundes endlich greift. Aus dem Bundeshaus wurde eine rasche und unzweideutige Antwort erwartet, nachdem nach Jahrzehnten des Friedens ein Krieg auf europäischem Boden ausgebrochen war.
Die brutale russische Invasion in die junge ukrainische Demokratie ist völkerrechtswidrig, missachtet das Gewaltverbot und die Unverletzlichkeit von Grenzen genauso wie das Selbstbestimmungsrecht und die territoriale Integrität. Elementare Prinzipien unseres liberalen und demokratischen Wertesystems werden mit Füssen getreten. Trotz aller tödlichen Waffengewalt der russischen Armee: Der autoritäre russische Repressionsapparat vermag die Anziehungskraft der liberalen Demokratien Europas auf die ukrainische Bevölkerung nicht zu schmälern. Ironie der Geschichte: Mit der Annexion der Krim und dem hybriden Krieg im Donbass stärkte Putin bereits in den letzten Jahren die westliche Ausrichtung der Ukraine.
Doch noch am Tag der russischen Invasion geriet der erste Medienauftritt der offiziellen Schweiz zum Fiasko. Man verstrickte sich in langwierigen Erklärungen zur Schweizer Neutralität, anstatt im Gleichschritt mit anderen westlichen Demokratien rasch ökonomisch griffige Massnahmen gegenüber Russland zu ergreifen. Im In- und Ausland fragte man sich, welche Werte die offizielle Schweiz eigentlich vertritt.
Pitoyabel ist die Haltung jener Kreise hierzulande, die stets an vorderster Stelle die Neutralität und Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft betonen, dem demokratisch legitimierten Staat Ukraine aber keinesfalls den souveränen Entscheid zugestehen wollen, in welchem Sicherheitsverbund und in welcher Wirtschaftsgemeinschaft das bevölkerungsmässig zweitgrösste Land Osteuropas zukünftig mitwirken will.
Von den gleichen Kreisen wird der Mythos zelebriert, wonach wir allein dank unserer Souveränität und Neutralität erfolgreich sind. Die Neutralität soll zum alleingültigen Massstab für die eidgenössische Politik genommen werden. Neutralität und Souveränität sind jedoch keinesfalls statische Konzepte, sondern entwickeln sich nicht zuletzt infolge eines sich verändernden Umfelds weiter. Um den Anschein von absoluter Souveränität und Selbstbestimmung gegenüber innen aufrechtzuerhalten, wurden auch von den Behörden paradoxe Begriffe wie der «autonome Nachvollzug» im Umgang mit der EU kreiert.
Der Widerspruch zum wirtschaftlichen Erfolg der internationalen Einbindung und ökonomischen Verflechtung der Schweiz, europäisch wie global, lässt sich damit aber nicht übertünchen. Der Schweizer Historiker André Holenstein formulierte es einst so: «Die wirtschaftliche Verflechtung der Schweiz passt schlicht nicht zusammen mit dem Hohelied auf die Souveränität und Unabhängigkeit.»
Während die wirtschaftliche Schweiz mit dem Ausland aufs Engste verflochten ist, tut sich die politische Schweiz weiterhin ausserordentlich schwer damit, die Rolle der Eidgenossenschaft in Zeiten geostrategischer Umbrüche und Krisen zu definieren.
Europa, die USA, die westliche Welt generell sind jene Regionen, wo Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, Garantie der Menschenrechte und wirtschaftliche Freiheitsrechte global am besten gewährleistet sind. Hier steht die Schweiz mit in der Verantwortung, für Stabilität und eine sukzessive Weiterentwicklung der bilateralen Beziehungen so sorgen. Die wichtigsten Handelspartner der Schweiz sind und bleiben die EU-Länder und die USA. 69% der Schweizer Importe stammen aus der EU und 51% der Schweizer Exporte gehen in die EU. Heute sind gegen 500 Schweizer Unternehmen in den USA tätig und schaffen direkt über 330’000 Arbeitsplätze.
Dagegen ist der Handel mit dem Willkürstaat Russland seit 2010 rückläufig und macht mittlerweile weniger als 1% des Gesamtvolumens aus. Es ist evident: Es ist gerade die enge wirtschaftliche Verflechtung der Schweiz mit den EU-Ländern und mit den USA, die wesentlich unseren Wohlstand mitbegründet – und nicht die Schweizer Neutralitätspolitik, hinter der sich eine bisweilen führungsschwache Politik zu verstecken sucht.