Finanznöte in der Formel 1

In der Formel 1 herrscht seit Jahren Unruhe. Die kleineren Privatteams – wie der Schweizer Rennstall Sauber aus Hinwil – kämpfen ums Überleben, weil Sponsorengelder spätestens seit der Finanzkrise nicht mehr so bereitwillig sprudeln, während Ferrari, Mercedes, Red Bull und Co. weiterhin mit jährlichen Budgets von hunderten von Millionen Franken operieren. Die Formel 1 sei für nicht von einem Grosskonzern unterstützte Teams «unbezahlbar» geworden, lautet die weitverbreitete Meinung. Entsprechend kursieren Lösungen wie die Festlegung von Budgetobergrenzen oder technologische Einschränkungen (z.B. ein Verbot von Windkanälen).

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Bildquelle: Sauber Motorsport AG

Die Urheber solcher Ideen verkennen den Kern des Problems. Dieses ist nicht betriebswirtschaftlicher, sondern ökonomischer Natur: Die Ausgaben der F1-Teams ergeben sich nicht aus den technologischen Anforderungen, sondern aus dem Wettbewerb. Um ein reglementkonformes Auto zu bauen und mit diesem 19 Rennen rund um die Welt zu bestreiten, reichten wohl 40 Mio. Fr. Dass Ferrari und Mercedes stattdessen mit Budgets von 400 Mio. operieren, liegt schlicht daran, dass sich eine so grosse Investition für sie (werbetechnisch) lohnt. Bei Privatteams sieht die Sache etwas anders aus. Sie haben keinen Autokonzern im Rücken, der direkt vom Werbeeffekt von Erfolgen profitieren würde, sondern müssen sich über externe Sponsoren finanzieren, für die die Kosten-Nutzen-Rechnung anders aussieht, was zu deutlich geringeren Budgets führt. Im heutigen Umfeld kann das schnell in eine Abwärtsspirale aus reduzierten Sponsorengeldern, schwächeren Leistungen und abermals erschwerter Sponsorensuche führen. Zünglein an der Waage spielen hier die Gelder aus Bernie Ecclestones Topf der F1-Vermarktung (jährlich ca. 900 Mio. Fr.), die ebenfalls stark nach Erfolg abgestuft an die Teams verteilt werden, wobei die schwächsten Teams sogar ganz leer ausgehen.

Die Lösung für dieses Problem sind demnach weder Budgetobergrenzen (deren Einhaltung kaum zu kontrollieren wäre) noch Entwicklungsverbote (die nicht dem Geist des Wettbewerbs in der obersten Klasse des Autorennsports entsprechen), sondern eine gleichmässige Verteilung der Vermarktungsgelder unter den F1-Teams. Dass sich die Top-Teams dagegen sträuben, ist zwar naheliegend, aber nicht weitsichtig: Anders als im Fussball, wo es attraktiv ist, nur die besten Teams gegeneinander spielen zu sehen, lebt die Formel 1 von grossen Starterfeldern, die die Unvorhersehbarkeit der Rennen erhöhen. Eine Formel 1, an der nur wenige, hochdotierte Werksteams teilnehmen, ist für das Publikum und mittelfristig darum auch für diese Teams nicht interessant: Welcher Autobauer will schon 300-400 Mio. Fr. jährlich ausgeben, um dann (vor schwindendem Publikum) unter fünf Konstrukteuren der dritt- oder viertbeste zu sein. Damit macht man keine Werbung für die eigene Marke – und darum geht es den Autokonzernen mit ihrem Engagement in der Formel 1. Das Überleben von genügend privaten Hinterbänklern mit einem Gleichgewichtsbudget von vielleicht ca. 100 Mio. Fr. sollte deshalb sehr im Interesse der Werksteams liegen, denn die Teilnahme einer bunten Schar von Privatteams übt einen positiven externen Effekt auf die «Rendite» des Engagements der Werksteams aus.

 Doping im Radrennsport

Was der F1 die Finanzen, ist dem Radrennsport das Doping. Auch hier wird der ökonomische Aspekt des Problems ignoriert, und stattdessen werden Massnahmen ergriffen, die wenig nützen. Neben den immer strengeren Kontrollen (die in erster Linie immer ausgefeiltere Dopingstrategien nach sich ziehen) reagierten die Organisatoren der Tour de France mit einer Verkürzung ihrer Etappen und der Elimination einiger hoher Bergpässe, um die Tour «einfacher» zu machen. Gegen das Doping hilft das herzlich wenig: Gedopt wird nicht, weil eine Strecke ohne nicht zu bewältigen wäre, sondern weil sich Doping bei solchen Ausdauersportarten mit monotonen Bewegungen schlicht «lohnt». Oder ökonomischer ausgedrückt: Sich zu dopen ist die dominante Strategie in diesem Spiel. In der Auszahlungsmatrix aller Spieler liegt der erwartete Payoff (Erfolg im Radrennsport abzüglich Risiko erwischt zu werden) unter Zuhilfenahme von Doping höher als bei einem Verzicht – und zwar unabhängig davon, ob die anderen dopen oder nicht.

Dass Doping nichts mit zu schwierigen Etappen zu tun hat, zeigt schon der Blick in die Historie: In der Anfangszeit der Tour, in den 1910er- und 1920er-Jahren, waren während eines Monats teilweise bis zu 5700 km zu bewältigen, nicht selten waren Etappen länger als 400 km. Die Tour 2015 dauert 3 Wochen und umfasst gerade einmal 3360 km, die längste Etappe 223 km. Aus heutiger Sicht ist es kaum vorstellbar, wie die Rennfahrer damals, vor 100 Jahren, noch ohne Gangschaltung und auf teilweise unbefestigten Strassen, solche Distanzen zurücklegen konnten (den Leistungen wurde allerdings zugegebenermassen schon damals teilweise nachgeholfen, wenn auch noch mit etwas hemdsärmeligeren Mitteln wie Kokain, Chloroform, Alkohol und später Amphetaminen).

Der Kampf gegen das Doping wird wahrscheinlich nie gewonnen werden können, denn der ökonomische Anreiz dafür ist gross – ganz unabhängig von Streckenprofilen. Bessere Kontrollen erhöhen zwar (zumindest vorübergehend) das Risiko, erwischt zu werden, und schrecken dadurch einige vom Doping ab. Gleichzeitig steigt dadurch aber der Nutzen des Dopings, weil man gedopt einer grösseren Anzahl nicht-gedopten gegenüber steht. An der Auszahlungsmatrix wird sich unter dem Strich darum nicht viel ändern.

Die einzige endgültige Lösung wäre eine völlig neue Einstellung zum Thema Doping: Die Prüfung der Blutwerte der Sportler sollte nicht mehr erfolgen, um sie des Dopings zu überführen, sondern nur, um ihre Gesundheit zu garantieren. Doping (mit Substanzen ohne offensichtliche Gesundheitsgefährdung) wäre grundsätzlich offiziell erlaubt, doch die Blutwerte müssten ex ante klar definierten Kriterien entsprechen. Lägen die Werte eines Fahrers ausserhalb, würde ihm für jene Zeit die Teilnahme an Rennen verboten – allerdings ohne moralischen Fingerzeig, sondern bloss als «Sicherheitsmassnahme». Dadurch würde zwar nicht das Doping an und für sich unterbunden, aber wenigstens – und das ist schon viel – der Sport wieder an Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit gewinnen, da all die Katz-und-Maus-Spiele, Verdächtigungen und (meist falschen) Unschuldsbeteuerungen obsolet würden.