Das Notariatswesen ist in der Schweiz bis heute kantonal geregelt. Die Organisation der Notariate ist dementsprechend vielfältig, wobei grundsätzlich drei verschiedene Modelle unterschieden werden können: das rein staatliche Amtsnotariat, das freiberufliche Notariat sowie das gemischte Notariat, das die erstgenannten Systeme vereint (vgl. Tabelle).

Während im Amtsnotariat der Wettbewerb per Definition nicht spielen kann, besteht in den anderen beiden Systemen eine gewisse Konkurrenzsituation unter den Notaren (freiberufliches Notariat) bzw. zwischen Amtsstellen und freiberuflichen Notaren (gemischtes Notariat). Wieviel Wettbewerb den privatwirtschaftlich tätigen Notaren letztlich zugetraut wird, unterscheidet sich von Kanton zu Kanton. Gemeinsam sind jedoch allen Kantonen zwei Dinge: Erstens kennen alle Tarifordnungen für die öffentliche Beurkundung – auch in den Kantonen mit freiberuflichen Notaren handelt man die Preise für Notariatsleistungen lieber hinter verschlossenen Türen aus, als diese dem Markt zu überlassen. Zweitens ist bei immobilienrechtlichen Angelegenheiten spätestens an der Kantonsgrenze Schluss mit dem Wettbewerb – ausserkantonale oder gar internationale Konkurrenz ist unerwünscht.

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Überflüssige Wettbewerbsbeschränkungen

Die genannten Wettbewerbsbeschränkungen sind historischen Ursprungs und mögen einst sogar eine gewisse Berechtigung gehabt haben. In der heutigen Zeit können sie jedoch nur noch als überflüssig und protektionistisch bezeichnet werden. Vor allem das Argument der Notwendigkeit geografischer Nähe zwischen Notar und Grundbuchamt hat im digitalen Zeitalter – die IT-Stolpersteine bei der Grundbuchführung sind ausgeräumt – keine Bedeutung mehr. Zu diesem Schluss ist die Wettbewerbskommission (Weko) bereits 2013 gekommen: Im Rahmen einer Empfehlung an die Kantone und den Bundesrat sprach sie sich für die volle Freizügigkeit der Urkunde im Immobilienbereich aus.

Der Schweizerische Notarenverband (SNV) fand an diesen Liberalisierungsbestrebungen überhaupt keinen Gefallen. In einer Stellungnahme befürchtete er mittelfristig eine «Konzentration auf grössere Notariate» und einen «unerwünschten Beurkundungstourismus» zugunsten der tiefsten Gebühren auf Kosten der Qualität. Beide Argumente überzeugen nicht: Die Qualität der notariellen Dienstleistungen wird durch die Ausbildung und die kantonalen Aufsichtsorgane sichergestellt, nicht durch Tarifordnungen. Ein Bedürfnis für weitergehende Qualitätssicherung kann ohne Weiteres dem Markt überlassen werden. Ein gutes Beispiel aus einem vergleichbaren Sektor ist die Online-Plattform «anwaltvergleich.ch», die Anwälte aus der ganzen Schweiz bezüglich Leistung und Preis bewertet. Wettbewerbsinduzierte Strukturbereinigungen sind – in welche Richtung auch immer – aus marktwirtschaftlicher Sicht durchaus erwünscht. Sie sind untrügliche Anzeichen dafür, dass die früheren Organisationsformen nicht mehr sachgerecht waren. Mit der Verhinderung der vollen Freizügigkeit der Urkunde KMU auf Kosten der Konsumenten schützen zu wollen, wäre auf jeden Fall verfehlt.

Zweifelsohne hätte die volle Freizügigkeit der Urkunde eine willkommene Marktöffnung zur Folge. Ein weiteres Hindernis auf dem Weg zu einem landesweit funktionierenden Markt sind die erwähnten Tarifordnungen. In Kombination mit der Freizügigkeit würde eine Aufhebung der kantonalen Tarifvorgaben einen nationalen Markt für notarielle Dienstleistungen schaffen. Profitieren davon würden vor allem die Nachfrager, könnten diese doch ihren Notar schweizweit frei wählen. Gerade im Immobilienbereich, bei dem es oft um grosse Geldsummen geht, könnte dies attraktiv sein. Man stelle sich etwa vor, dass ein spezialisiertes Notariatsbüro die unsäglichen «Ad valorem»-Tarife – sprich: Entschädigungen, die als Prozent- oder Promilleanteil des Transaktionswerts festgesetzt werden – durch eine aufwandbasierte Abrechnung ersetzen würde.

Mehr Informationen zum Thema finden Sie im «Kantonsmonitoring 6: Von alten und neuen Pfründen» (Dezember 2014).