2014 hat der wirtschaftspolitische Reformeifer in der Schweiz weiter nachgelassen. Das zeigt die neueste Ausgabe des «D A CH-Reformbarometers», das von Avenir Suisse, dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln und der Wirtschaftskammer Österreich zusammengestellt wird, und die Reformbemühungen der drei beteiligten Länder in fünf wirtschaftspolitischen Bereichen vergleicht. Grundlage der Analyse der Reformintensität bilden jene Politikvorschläge auf Bundesebene, von denen man annehmen darf, dass sie auch gesetzeswirksam werden. Ausgangspunkt ist der September 2002, mit einem Indexstand von 100 Punkten. Die bisherige Entwicklung der Indizes bringt die Reformdynamik zum Ausdruck. Ende 2014 wies das D A CH-Reformbarometer für die Schweiz 115,6 Punkte aus. Mit minus 0,6 Punkten nahm der Index im Jahresvergleich zum zweiten Mal in Folge ab. Auch in Deutschland (minus 0,8 Punkte auf 111,2) und in Österreich (minus 0,1 Punkte auf 114,7) war der Index rückläufig.

In der Schweiz ist die Bilanz der Legislaturperiode 2011-2015 punkto Liberalisierungen durchzogen, besonders im Vergleich zu den zwei vorangehenden Perioden, die von einer stärkeren Reformdynamik geprägt waren. Die Beurteilung von Avenir Suisse der zwei wichtigsten Vorhaben – der überfälligen Anpassung der Altersvorsorge und der Reform der Unternehmenssteuern (USTR III) – fällt unterschiedlich aus. Negativ im Falle des ersteren, das die zentrale Frage des Rentenalters kaum anspricht; verhalten positiv bei letzterem, auch wenn es den (wohl unvermeidbaren) Abschied von einem aus Schweizer Sicht optimalen System markiert. Es wird sich zeigen, ob die neuen Wahlen ein Parlament hervorbringen werden, das Liberalisierungen wieder etwas offener gegenübersteht. Angesichts der Frankenstärke wäre dies dringend vonnöten.

Am stärksten zum Rückgang des Gesamtindexes beigetragen hat der Politikbereich Sozialpolitik. Er nahm in der Schweiz 2014 um 2,3 Punkte auf 98,4 Punkte ab, was allein auf die negative Bewertung des Rentenreformpakets «Altersvorsorge 2020» zurückzuführen ist. Zwar würde die Reform die Finanzierungslücke der AHV beinahe halbieren, eine Rentenreform ohne Erhöhung des Rentenalters ist jedoch unnötig teuer und letztlich nicht nachhaltig.

Der Teilindikator Steuer- und Finanzpolitik erfuhr 2014 eine Verbesserung. Er nahm um 0,8 Punkte auf einen Stand von 133,0 Punkten zu. Dazu beigetragen hat vor allem die USTR III, die die gegenwärtig an der Steuerfront herrschende Unsicherheit entscheidend reduzieren soll. Obschon sie den Attraktivitätsverlust für den Wirtschaftsstandort Schweiz zu minimieren versucht, wird sie ihn nicht gänzlich verhindern können, denn das heutige Regime ist für die Schweizer Volkswirtschaft optimal.

Im Jahr 2014 standen – wie bereits im Vorjahr – die Bereiche Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik nicht zuoberst auf der Agenda des Parlaments. Ein grösserer Ausrutscher des Teilindexes wurde mit der deutlichen Ablehnung der Volksinitiative «Für den Schutz fairer Löhne» verhindert. Der Teilindikator schloss unverändert mit 116,5 Punkten.

Der Bereich Wettbewerbs- und Innovationspolitik, der auch die Infrastrukturpolitik umfasst, verzeichnete im Berichtsjahr 2014 am meisten Ereignisse. Acht Massnahmen wurden für das Reformbarometer bewertet. Insgesamt fällt die Beurteilung klar negativ aus: Der Index fiel um 1,5 Punkte auf 112,9 Punkte. Am schlechtesten schneidet die Revision des Umweltschutzgesetzes (USG) ab, die als Gegenvorschlag zur Initiative «Grüne Wirtschaft» vom Bundesrat überwiesen wurde. Obschon auch hier vom Ständerat Änderungen zugunsten der Unternehmen vorgenommen wurden, birgt die Revision des USG Potenzial für neue Handelshemmnisse und Wettbewerbsverzer-rungen und hat Regulierungskosten für die Unternehmen zur Folge.

Der letzte Bereich des Reformbarometers umfasst die Finanzmarktpolitik. Der Teilindex Finanzmarkt nahm zwischen Dezember 2013 und 2014 um 1,5 Punkte auf 116,9 Punkte ab. Seit mehreren Jahren ist der Finanzplatz Schweiz stark unter Druck. Doch nach vielen Rückschlägen und erzwungenen Konzessionen ist das Jahr 2014 etwas «ruhiger» verlaufen. Die neue, nicht gänzlich freiwillig aufgenommene Strategie der internationalen Kooperation trägt erste Früchte, wie kleinere Abkommen mit Italien und Frankreich zeigen. Allerdings ist der Bankensektor von einem Zustand des «courant normal» noch weit entfernt. Die Quellen der Unsicherheit bleiben – Stichwort MIFID, die Richtlinie der Europäischen Union zur Harmonisierung der Finanzmärkte im europäischen Binnenmarkt. Es ist zu befürchten, dass jede Integration insgesamt mit einer schärferen Regulierung der bereits an der kurzen Leine geführten Finanzinstitute einhergehen wird.