Mit der Volksinitiative gibt seit einigen Jahren der Grundpfeiler der schweizerischen direkten Demokratie vermehrt Anlass zu regen Debatten.  Kritik am Prozess wird dabei oft durch Kritik am Ergebnis motiviert oder letzteres gar mit ersterem verwechselt. Davon abstrahiert sind aber auch im System an sich gewisse Entwicklungen zu beobachten, die Konfliktpotenzial bergen und am Vertrauen in die institutionelle Stabilität der Schweiz kratzen.

  • Die Zahl der Volksinitiativen hat einen neuen Höhepunkt erreicht. Seit 1970 ist ein deutlicher (wenn auch unregelmässiger) Anstieg zu beobachten: Kam vor 1970 durchschnittlich weniger als eine Initiative pro Jahr zur Abstimmung, sind es heute ungefähr vier.
  • Die Erfolgschancen von Initiativen sind heute grösser als früher: Zwischen 1891 und 2003 wurden 13 von 157 angenommen (Erfolgsquote: 8,3%), für den Zeitraum ab 2004 beträgt die Erfolgsquote 22% (9 von 41), allein seit 2008 wurden 7 Initiativen angenommen
  • Kaum eine angenommene Initiative wird allerdings so umgesetzt, wie von den Initianten vorgesehen. Schon mehrfach blieben in einer Volksabstimmung angenommene Verfassungsartikel gar blosse Buchstaben.

Davon geht eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die direkte Demokratie aus: Je mehr den Stimmbürgern bewusst wird, dass der Inhalt einer Initiative nicht ganz so heiss gegessen wird, wie er gekocht wurde, desto bereitwilliger und unüberlegter werden sie immer radikalere Initiativen in der Unterschriftensammlung unterstützen oder gar in der Volksabstimmung annehmen. Bei Unmut über aktuelle Zustände oder Vorkommnisse würden also immer schneller immer grössere Feuer gelegt, die dann vom Parlament wieder eingedämmt würden. Die Volksinitiative verkäme damit zum blossen Stimmungsbarometer – zum blossen Protestvehikel, das zwar an realer Schlagkraft einbüssen, aber höchstwahrscheinlich trotzdem fortwährend latente Verunsicherung schaffen würde. Das wäre für den Standort Schweiz ein in doppelter Hinsicht unerfreuliches Szenario.

Fünf Massnahmen zur Modernisierung der Volksinitiative

Die Volksinitiative bedarf deshalb einer Modernisierung. Sie darf, ja, soll weiterhin eine Herausforderung für die Politik, die Wirtschaft und die internationalen Beziehungen darstellen. Ziel der Reformvorschläge ist es deshalb nicht, die direktdemokratische Mitsprache zu schwächen. Sie soll aber besser strukturiert werden, um die Verbindlichkeit dieses Instrumentes zu erhöhen, die Hektik in der politischen Debatte zu senken und die Legitimation der Entscheide zu erhöhen. Die Reformvorschläge ergänzen sich gegenseitig. Zwar ist auch jeder für sich zweckmässig, doch in ihrer Kombination ergeben sie ein kohärentes Gesamtbild.

  1. Die bisherigen Ungültigkeitskriterien (vor allem: Einheit der Materie) sollen bei der Prüfung von Volksinitiativen konsequenter angewendet werden. Rückwirkende Änderungen von Rechtsgrundlagen werden explizit verboten. Die Prüfung sollte zudem vor der Unterschriftensammlung statt erst nach Zustandekommen der Initiative durchgeführt werden und statt dem Parlament der Bundeskanzlei (unter möglicher Berufung auf das Bundesgericht) obliegen. Eine weitere Einschränkung des Inhalts von Verfassungsinitiativen durch neue materielle Kriterien ist weder wünschbar noch logisch.
  2. Da so gut wie jede qualitative Erhöhung der Hürden für Verfassungsinitiativen ihre Haken hat, wird stattdessen eine Erhöhung der quantitativen Hürde vorgeschlagen, nämlich von 100‘000 Unterschriften auf ein Quorum von fix 4% der Stimmberechtigten. Im Jahr 2016 entspräche das 211‘200 Unterschriften. Diese Massnahme ist eine Reaktion auf das bisherige Versäumnis, die geforderte Unterschriftenzahl dem Bevölkerungswachstum anzupassen.
  3. Für die Ausführungsgesetzgebung angenommener Verfassungsinitiativen kann man ein obligatorisches Referendum vorsehen. Damit würden allfällige Zweifel an der «Respektierung des Volkswillens» bei der Umsetzung der Vorlage ausgeräumt.
  4. Das Instrument der Gesetzesinitiative sollte eingeführt werden. Als Unterschriftenquorum hierfür wären 2% sinnvoll, was derzeit 105‘600 Stimmberechtigten, also kaum mehr als der bisherigen Bedingung für das Zustandekommen von Volksinitiativen, entspräche. Die Gesetzesinitiative würde im Gegensatz zur Verfassungsinitiative auf Verfassungskonformität geprüft.
  5. Auf einen Abstimmungstag soll nicht mehr als eine Volksinitiative fallen dürfen. Das würde eine seriöse politische Debatte begünstigen, weil so jeder Vorlage die nötige Aufmerksamkeit zuteilwerden könnte.

Die Reformvorschläge erhöhen die Qualität und Redlichkeit der politischen Debatte und der Entscheidungsfindung. Die höhere Verbindlichkeit der Volksinitiative sollte zu einem sorgfältigeren Einsatz dieses Pfeilers des helvetischen Selbstverständnisses führen und damit das Vertrauen stärken, dass die direkte Demokratie auch im 21. Jahrhundert ein Standortvorteil der Schweiz sein kann.

Weitergehende Informationen finden Sie im neuen Diskussionspapier «Die Volksinitiative».