Die Digitalisierung des Staates geht uns alle etwas an, die Debatte darüber verliert sich jedoch häufig im Abstrakten. Das muss nicht sein. Der Alltag bietet Anschauungsunterricht für gelungene und weniger gelungene Projekte. So findet sich in der Stadt Zürich ein gutes Beispiel für eine schlechte Digitalisierung.

In Zürich können Automobilisten Tagesparkkarten für die blaue Zone zwar online bestellen, dann aber gilt: «Die Parkkarten und Bewilligungen sind nur gültig, wenn sie auf A4-Papier, in 100%-Druckgrösse, in Hochformat und auf einem Tintenstrahl- oder Laserdrucker ausgedruckt wurden. […] Die Bewilligung muss einmal gefaltet werden (A5 quer).»

Dieser Medienbruch mutet nicht nur aus der Zeit gefallen an, er ist es auch. Das zeigen andere Städte wie Luzern, St. Gallen oder Genf. Dort kann online die Parkgebühr bezahlt und die Autonummer angegeben werden, das reicht. Kontrolliert wird später anhand des Nummernschilds. Solche Ansätze zeigen, dass eine gelungene Digitalisierung mehr bedeutet, als ein Dokument per PDF zu verschicken.

Aus der Zeit gefallen: Anwohnerparkkarte in Zürich. (sru.)

Die richtigen Fragen stellen

Wie so oft bedingen technologische Vereinfachungen zuerst Mehraufwand. Insbesondere müssen sich bei Digitalisierungsprojekten die entsprechenden Stellen von alten Mustern lösen. Damit der Ablöseprozess funktioniert, darf zu Beginn die Zielformulierung nicht zu eng ausfallen. Es sollte nicht die Frage gestellt werden: Wie können wir die Parkkarte digitalisieren? Sondern: Wie soll kostenpflichtiges Parkieren im digitalen Zeitalter aussehen?

Richtig digitalisieren ist somit immer ein Innovationsprozess. Es geht nicht um das digitale Abbilden von alten Prozessen. Vielmehr müssen neue Prozesse gestaltet werden, die sich in die neue digitale Welt einfügen. Das kann die Digitalisierung von alten Prozessen beinhalten (z.B. die Bezahlung der Parkgebühr über eine App statt am Schalter). Meist gilt es aber, auch neue Prozesse zu definieren (z.B. den Einsatz von Nummernschild-Scannern). Nicht selten bedeutet erfolgreiche Digitalisierung zudem, alte Prozesse ersatzlos abzuschaffen (z.B. das Hinterlegen der Quittung hinter der Windschutzscheibe).

Dass richtig digitalisieren immer ein Innovationsprozess sein sollte, gilt auch bei der Gestaltung der Schnittstelle zwischen Staat und Wirtschaft. Hier hat die Schweiz in internationalen Vergleichen wiederholt schlecht abgeschnitten. Gerade das Gründen einer Kapitalgesellschaft benötigt noch immer zu viel Zeit, Geld und Papier.

Es besteht Handlungsbedarf, das ist unbestritten – erst kürzlich hat etwa der Nationalrat eine Motion mit dem Titel «Vollständig digitale Unternehmensgründung sicherstellen» angenommen. Wie bei den Parkkarten sollten aber auch in diesem Bereich nicht einfach alle alten Prozesse eins-zu-eins digitalisiert werden. Deshalb darf wiederum die Zielformulierung nicht zu eng erfolgen. Die Frage sollte nicht sein: Wie können wir Firmengründungen digitalisieren? Sondern: Wie soll eine Firmengründung im digitalen Zeitalter aussehen?

Zwei komplexe Gründungsprozesse – die Liberierung von Gründungskapital sowie die öffentliche Beurkundung – wurden einst primär zum Schutz von Gläubigern eingeführt. Dieses legitime Ziel, die Sicherheit im Geschäftsverkehr sicherzustellen und Gläubigerverluste zu minimieren, kann im digitalen Zeitalter jedoch besser erreicht werden: nämlich mit aussagekräftigeren Daten und mehr Transparenz. Genau hier setzt das Konzept der «digitalen Mini-GmbH» an, zu dem der Think-Tank Avenir Suisse jüngst eine Studie erarbeitet hat.

Widerstände überwinden

Richtig digitalisieren heisst somit neu denken. Das ist zwar anstrengend, aber insgesamt viel effizienter. So entfallen beim Beispiel des städtischen Parkierens diverse Aufwände beim Bürger (ausdrucken und hinterlegen der Zahlbestätigung) sowie beim Staat (kontrollieren mit Nummernschildscanner). Im Endeffekt wird so das gleiche Ziel zu geringeren Gesamtkosten erreicht.

Das führt jedoch dazu, dass Partikularinteressen überwunden werden müssen. So fürchten bei der Parkkarte vielleicht Schalterbeamte oder Kontrolleure um ihre Existenz, und bei der digitalen Mini-GmbH verlieren Banken, Notare sowie auf Firmengründungen spezialisierte Dienstleister einen Teil ihres Einkommens. Politik und Verwaltung müssen also nicht nur innovative Lösungen erarbeiten, sondern auch die mit dem Strukturwandel einhergehenden Widerstände überwinden.

Die Erfahrung mit fehlender Digitalisierung während der Covid-19-Pandemie hat zum Glück den Willen gestärkt, diesen Kraftakt zu vollbringen. So wurde jüngst das Projekt «Digitale Verwaltung» lanciert, um die Modernisierung der Behörden voranzutreiben. Dabei wurden ehrgeizige Ambitionen aufgestellt. Unter anderem sollen Automatisierung und Vereinfachung der Schnittstellen zwischen Staat und Wirtschaft bis 2026 forciert werden. Bleibt zu hoffen, dass der Fokus auf der Vereinfachung und nicht der Automatisierung liegt, denn ein unnötiger Prozess bleibt auch automatisiert unnötig.

Dieser Beitrag ist am 3.10.21 in der «Neuen Zürcher Zeitung» erschienen.