Bereits 2006 standen die Schweiz und die USA kurz vor der Eröffnung offizieller Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen. Die historische Aufarbeitung der damaligen Ereignisse versucht darzulegen, wie eine erneute Ablehnung offizieller Verhandlungen von Schweizer Seite verhindert werden kann.

Phase 1: Der erste, gescheiterte Anlauf

Im Juli 2005, während der Administration von US-Präsident George W. Bush, gipfelten die engen bilateralen Handelsbeziehungen zwischen der Schweiz und den USA in exploratorischen Gesprächen über ein mögliches Freihandelsabkommen (FHA). Der daraus resultierende Antrag des damaligen Schweizer Wirtschaftsministers Joseph Deiss im Januar 2006 zur Eröffnung offizieller Verhandlungen wurde vom Bundesrat jedoch abgelehnt, ein Abkommen zwischen den beiden Partnerländern rückte in weite Ferne.

Der Ablehnung des Bundesrates vorausgegangen waren fünf parlamentarische Vorstösse mit einer kritischen Beurteilung des potenziellen FHA. Hauptthema war jeweils der Schutz des Schweizer Agrarsektors vor Importen aus den USA. Nach dem ablehnenden Bundesratsentscheid versuchten einzelne Parlamentarier, die Diskussion mit mehreren Vorstössen wiederzubeleben, doch ab 2008 verschwand das Thema endgültig von der politischen Traktandenliste (vgl. Abbildung).

Phase 2: Befürchtete Auswirkungen der TTIP

Erst 2012 entstand eine neue Dynamik, zuerst getrieben durch Schweizer Schutzinteressen geografischer Herkunftsbezeichnungen beim Käse, ab 2013 dann aufgrund eines potenziellen Abkommens zwischen den USA und der EU (vgl. Abbildung). Die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP) wäre nicht ohne Auswirkungen auf die Schweiz geblieben. Der gegenseitige Zollabbau zwischen der EU und den USA hätte aufgrund der handelsumlenkenden Effekte sowie der Folgen restriktiverer Ursprungsregeln für Schweizer Exporteure zu einem geschätzten BIP-Rückgang von 0,5% geführt (World Trade Institute 2014, Balestieri 2014). Der Abschluss der TTIP wurde auf Ende 2015 angestrebt, kam aber aufgrund von Bürgerprotesten in der EU (Stichwort «Chlorhühnchen») und dem Wechsel der US-Präsidentschaft nicht zustande. Offiziell pausieren die Gespräche, sie könnten jederzeit wiederaufgenommen werden.

Phase 3: Ein erneutes «Window of Opportunity»

Eine dritte Phase in der politischen Analyse zeichnet sich seit 2018 ab (vgl. Abbildung). Seit Herbst 2018 befinden sich die beiden Länder wieder in exploratorischen Gesprächen (WBF 2019), um herauszufinden, ob die Voraussetzungen für offizielle Verhandlungen 13 Jahre nach dem ersten, gescheiterten Anlauf nun gegeben sind. Ein wichtiger Grund für diesen erneuten Versuch ist der Ansatz der Trump-Administration, den Abschluss neuer oder die Verbesserung bestehender bilateraler Handelsabkommen zu forcieren. Durch die anstehenden Präsidentschaftswahlen in den USA wird sich das Zeitfenster für die Aufnahme formeller Verhandlungen allerdings bald wieder schliessen.

Die Auswertung parlamentarischer Vorstösse – als Spiegel der öffentlichen Diskussion – zeigt, dass die Stimmen zugunsten eines FHA dann am stärksten waren, als die Schweiz aufgrund der TTIP-Verhandlungen unter Druck stand, ebenfalls eine Lösung mit den Vereinigten Staaten anzustreben. Die ablehnenden Vorstösse hingegen waren dann besonders zahlreich, als es sich abzeichnete, nun über konkrete Inhalte eines FHA sprechen zu müssen.

Schweizer Agrarsektor als Stolperstein

Die unterschiedlichen Interessen der Schweiz und der USA bezüglich der Liberalisierung im Agrarbereich waren 2006 einer der grössten Stolpersteine. Dass der Agrarsektor eine dominierende Rolle in der politischen Diskussion spielt, überrascht nicht. So engagieren sich mindestens 33 National- oder Ständeräte regelmässig zugunsten der Agrarwirtschaft (13,4% aller Parlamentarier), darunter 15 Landwirte (6,1%) (Dümmler und Roten 2018). Im Vergleich zu seiner wirtschaftlichen Bedeutung ist der Agrarsektor (Anteil an den Beschäftigten 3,1%, Wertschöpfungsanteil nur 0,7% des BIP) im eidgenössischen Parlament stark überrepräsentiert.

Widerstand ausgelöst haben jedoch nicht allein Interessenvertreter der Landwirtschaft. Opposition entstand auch von grüner Seite aufgrund von ökologischen und sozialen Bedenken (Grüne 2005 und Parlamentsdienste 2019a). Dabei standen die in der Schweiz grundsätzlich höheren Standards bezüglich Umwelt-, Konsumenten-, Tier- und Sozialschutz im Fokus (Parlamentsdienste 2019b).

Einbezug der verschiedenen Interessengruppen – aber keine Blockademacht

Was muss getan werden, damit ein FHA mit den USA nicht wie im Jahr 2006 bereits in einer frühen Phase scheitert? Die wohl wichtigste Erkenntnis aus dem Jahr 2006 ist die Notwendigkeit eines frühzeitigen Einbezugs – bereits während den exploratorischen Gesprächen – der verschiedenen Interessengruppen, insbesondere der Landwirtschaft, der Konsumenten und der Umweltorganisationen. So weit wie möglich sollen gemeinsame Lösungen und Positionen erarbeitet werden.

Der Einbezug relevanter Interessengruppen ist zentral, darf aber nicht dazu führen, ihnen eine Blockademacht zuzugestehen. Ebenfalls sollten keine Zugeständnisse an inländische Akteure gemacht werden, die über die wahren Anpassungskosten an ein FHA hinausgehen. Einem Sektor wie der Schweizer Landwirtschaft, der bereits heute mit milliardenschweren Beiträgen an Steuermitteln und Konsumentenfranken unterstützt wird, sollten keine zusätzlichen Privilegien zugestanden werden.

Lösungsansätze für eine etappenweise Öffnung

Um gegenüber den USA im Agrarbereich Konzessionen zu machen, gibt es diverse Lösungsansätze, welche die Schweiz nutzen sollte, um ein Scheitern der Diskussionen innenpolitisch wie auch in den Verhandlungen mit den USA zu vermeiden. Zu den Möglichkeiten gehören unter anderem:

  • mehrjährige Übergangsfristen für die Marktöffnung. Rund 56% der Landwirte sind heute über 50 Jahre alt (BFS 2019) und würden bei langen Übergangsfristen kaum von einer partiellen Marktöffnung betroffen sein;
  • das Zugestehen eines begrenzten, zusätzlichen Kontingents an die USA, zu dem zollfrei in die Schweiz importiert werden kann;
  • gezielte Zollsenkungen für bestimmte Agrarprodukte als Konzession, wofür im Gegenzug für die Schweiz sensible Produkte vom Freihandel (vorerst) ausgenommen werden;
  • die Differenzierung auf Produktebene, also z.B. der Freihandel mit verarbeiteten Maisprodukten statt mit unverarbeitetem Mais;
  • die Ausdehnung der nicht bewirtschafteten Perioden im Dreiphasensystem (saisonaler Grenzschutz) für Früchte und Gemüse (vgl. Swisscofel 2018).

Grundvoraussetzungen für einen Abschluss gegeben

Grundsätzlich sollte ein Abschluss gelingen. Die Schweiz und die USA teilen weitgehend die gleichen Grundwerte bezüglich Rechtsstaatlichkeit, Freiheit, Demokratie und Marktwirtschaft. Die Themen Menschenrechte, Arbeitsbedingungen und Lohn sowie Einhaltung der Umweltschutzbestimmungen sind im Vergleich zu manchen anderen FHA-Verhandlungen, etwa mit asiatischen Ländern, von untergeordneter Bedeutung. Wird eine Einigung gefunden, können zudem beide Länder massgeblich von einem FHA profitieren. Die historische Chance ist daher unbedingt zu nutzen – die beiden Nationen sollten nicht weitere 13 Jahre zuwarten.

Weiterführende Informationen: «Win-win: Freihandel Schweiz-USA».