Man mag es schlechtes Timing nennen – für Isolationisten in der Schweiz war es ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk: Just als die internationale Aufmerksamkeit auf den brennenden Regenwald gelenkt wurde, verkündete zuerst die brasilianische, dann die Schweizer Regierung den erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen über das Freihandelsabkommen Efta-Mercosur.

Prompt wurde der kommunikative Steilpass von einer unheiligen Allianz aus links-grünen Kreisen und Agrarlobbyisten angenommen und medienwirksam weitergespielt: Ein Abkommen mit einer Regierung von Regenwaldzerstörern komme nicht in Frage, hiess es von links und rechts.

Die Umweltschützer erhalten Sukkurs aus der Schweizer Landwirtschaft. Offiziell heisst es vom Schweizer Bauernverband, man sei nicht gegen ein Freihandelsabkommen, sofern «auch die Interessen der einheimischen Landwirtschaft darin berücksichtigt sind». Parlamentarische Vorstösse lassen jedoch nur eine Schlussfolgerung zu: Bei jedem neuen Abkommen versuchen Agrarkreise politisch so starken Druck zu erzeugen, dass von Vertretern der übrigen 99,4% der wertschöpfenden Branchen Konzessionen gemacht werden. Neue Subventionstatbestände oder strukturerhaltende Massnahmen sind die Folge. Einmal gelang den Landwirtschaftslobbyisten gar der Abbruch der Gespräche über ein Freihandelsabkommen: Im Jahr 2006 verliess die offizielle Schweiz auf innenpolitischen Druck hin den Verhandlungstisch mit den USA – so etwas hatten die Amerikaner vorher noch nie erlebt.

Welche Gründe werden im Fall Mercosur angeführt? Der Schweizer Bauernverband setzt in seiner Medienmitteilung vor allem auf das Thema Umwelt: Tierhaltung, Nachhaltigkeit und Pflanzenschutzmittel. Dabei werden die Zustände in den Mercosur-Staaten angeprangert. Allerdings entspricht auch die Schweizer Landwirtschaft keineswegs den Bilderbuch-Vorstellungen, die uns via Werbung suggeriert werden. Was den Mercosur-Staaten, insbesondere Brasilien, vorgeworfen wird, sieht in der Schweiz folgendermassen aus:

Die Tierhaltung entspricht vielfach nicht den idyllischen Bildern von glücklichen Kühen auf der Alp, wie eine umfassende Analyse zeigt. Über 600 Halter von Nutztieren wurden 2018 verzeigt – und dies, obwohl 90 Prozent der Kontrollen auf Voranmeldung erfolgen. Jährlich werden jedem siebten Bauern wegen Verstössen die Subventionen gekürzt.

Die Tierhaltung entspricht in der Schweiz vielfach nicht den idyllischen Werbebildern von glücklichen Kühen auf der Alp: Viehmarkt. (ETH Bibliothek Zürich, Bildarchiv)

In punkto Nachhaltigkeit liegt ebenfalls vieles im Argen. 2008 hat der Bund die Umweltziele Landwirtschaft veröffentlicht. Sie beruhten auf den bestehenden rechtlichen Grundlagen. Ein Ende 2016 publizierter Bericht zeigte, dass zwar punktuell Verbesserungen erzielt wurden, jedoch keines der 2008 gesetzten 13 Ziele erreicht wurde – trotz milliardenschwerer Unterstützung. Die Schweizer Landwirtschaft erfüllt in wichtigen Punkten die Anforderungen der Gesetzgebung nicht. Die verursachten Umweltkosten können auf 7,3 Mrd. Fr. pro Jahr geschätzt werden. Die Schweizer Landwirtschaft ist kein internationales Vorbild in Sachen Nachhaltigkeit.

Ein lokal zu hoher Tierbestand, unsachgemässe Lagerung von Hofdünger und der übermässige Einsatz von Pestiziden belasten das Grundwasser, insbesondere im Mittelland. Das Grundwasser ist an jeder dritten Messstelle belastet.

Dies sind ernüchternde Fakten angesichts der international beispiellosen Unterstützung des Schweizer Landwirtschaftssektors durch die Steuerzahler und Konsumenten.

Gerne wird vom Schweizer Bauernverband in seiner Kritik an Freihandelsabkommen die Zustimmung der Stimmbürger zu Art. 104a – dem Ernährungssicherheits-Artikel– angeführt. Dabei wird das Abstimmungsergebnis allerdings zugunsten der Verbandsziele interpretiert. Doch das Resultat lässt sich auch anders auslegen: Der neue Verfassungsartikel fordert u.a. eine standortangepasste Lebensmittelproduktion, was in der Schweiz nur in Teilen erfüllt ist. Ausserdem werden grenzüberschreitende Handelsbeziehungen zur Ernährungssicherheit verlangt. Gerade letzteres spräche für eine internationale Diversifikation der Bezugsquellen von Nahrungsmitteln – etwa durch Freihandelsabkommen.

Was ist gewonnen, wenn die Türe gegenüber den Mercosur-Staaten zugeschlagen wird? Jedes Abkommen enthält einen institutionalisierten Austausch zwischen den Vertragspartnern. Um Themen wie Umweltschutz und Arbeitsbedingungen zu diskutieren, wäre dies eine gute Plattform. Ausserdem schafft ein Freihandelsabkommen Arbeitsplätze, Einkommen und wirtschaftliches Wachstum für alle beteiligten Länder. Gerade letzteres trägt massgeblich dazu dabei, Umweltprobleme zu lösen.

Die Kritik am Umgang der brasilianischen Regierung mit dem Regenwald ist berechtigt – doch wer wie der Schweizer Bauernverband im hochsubventionierten Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.

Dieser Beitrag ist am 1. Oktober 2019 in der NZZ erschienen.