Skepsis gegenüber dem, was oft unbesehen als «common wisdom» gilt, gehört zu den Grundlagen der Aufklärung. Skepsis bedeutet nicht, einfach das Gegenteil zu behaupten oder die gängige These zu negieren. Es bedeutet, allzu einfache Erklärungsmuster etwas zu relativieren, nicht zuletzt solche, die vordergründig so plausibel sind, dass man kaum noch weiter fragt – und denkt. Das soll auch diese wirtschaftspolitische Grafik tun. Die gängige Behauptung lautet, Armut sei eine, ja vielleicht sogar die Hauptursache des Terrorismus. Stellvertretend sei hier der damalige deutsche Entwicklungsminister Dirk Niebel zitiert, der vor etwa einem Jahr meinte, Entwicklungskooperation und die Schaffung von Perspektiven für die Menschen seien «das schärfste Schwert gegen den Extremismus».
Zusammenhänge sind komplex
Doch in dieser Absolutheit stimmt dies nicht. Eine Studie des National Bureau of Economic Research kommt zum Schluss, dass das Risiko terroristischer Anschläge in ärmeren Ländern nicht systematisch höher ist als in reichen. Und die Schweizer Ökonomen Martin Gassebner und Simon Lüchinger haben 2011 eine kritische Bestandesaufnahme politologischer und ökonomischer Forschungsergebnisse zu Bestimmungsgrössen des Terrorismus vorgenommen, die ähnliche Resultate ergab:
- Entgegen weitverbreiteten Vorstellungen findet erstens kaum eine Studie einen engen Zusammenhang zwischen Terrorismus und Pro-Kopf-Einkommen.
- Es gibt dagegen zweitens und kaum überraschend einen robusten Zusammenhang zwischen Terrorismus sowie politischen, religiösen, sozialen und anderen Spannungen.
- Drittens gehen ein funktionsfähiger Rechtsstaat und das Achten der Menschenrechte mit einem tieferen Niveau von Terrorismus einher. Bei den Menschenrechten ist allerdings unklar, ob ihre Achtung Ursache oder Folge eines niedrigen Terrorismus-Niveaus ist.
- Es gibt viertens einen robusten negativen Zusammenhang zwischen wirtschaftlichen Freiheiten und Terrorismus.
Das deutet alles in Richtung unserer Grafik: Nicht die Höhe des Lebensstandards scheint entscheidenden Einfluss auf terroristische Aktivitäten zu haben, sondern den Schlüssel scheinen die wirtschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten zu bilden. Grundlage der beiden dargestellten Korrelationen ist zum einen der jährlich publizierte Global-Terrorism-Index des Institute for Economics and Peace in Sydney. Im neuesten Bericht (2012) liegt der Irak mit 9,56 (bei dem möglichen Maximalwert 10) an der traurigen Spitze, vor Pakistan und Afghanistan. Israel kommt nur auf einen Wert von etwas über 5 (Platz 20), Schweden liegt mit 1,76 auf Platz 61, die Schweiz mit 1,17 auf Platz 75. Mit Abstand am meisten Todesopfer gingen zwischen 2002 und 2011 auf das Konto islamistischer Terroristen, 11 000 oder rund zwei Drittel von insgesamt 17 000.
Zum anderen stützt sich die Grafik auf den Bericht «Economic Freedom of the Arab World» des Fraser Institute, der Friedrich-Naumann-Stiftung und der International Research Foundation. Diese jährlich aufdatierte Studie errechnet ebenfalls einen Freiheitsindex zwischen 0 und 10 (als grösste Freiheit).
Die beste Sicherheitspolitik
Bringt man die beiden Indizes zusammen, zeigt sich, dass grössere Freiheit mit weniger Terrorismus einhergeht – und umgekehrt. Das gilt auch für jeden der fünf Unterindizes des Freiheitsindexes, wobei die negative Korrelation beim Merkmal «Freier Aussenhandel» am geringsten ist. Am eindeutigsten ist sie bei den beiden von uns ausgewählten Teilindizes «Rechtsstaatlichkeit und Eigentumsrechte» und «Freiheitliche Regulierung». Dort wo der Rechtsstaat ausgebaut ist und die Eigentumsrechte gut geschützt werden, gibt es wenig Terrorismus. Gleiches gilt für Länder, in denen Arbeits- und Kreditmärkte sowie Unternehmen freiheitlich reguliert sind.
Nun sagen Korrelationen bekanntlich nichts über Kausalitäten aus. In diesem Fall läge jedoch – auch ohne die zitierten wissenschaftlichen Ergebnisse – die Vermutung nahe, dass der Terrorismus zurückgeht, weil sich Menschen auf den Schutz ihrer Rechte verlassen und wirtschaftlich entfalten können. Die umgekehrte Kausalität dagegen, dass ein Rückgang terroristischer Aktivitäten zu Deregulierung und stärkerem staatlichem Schutz der Eigentumsrechte führt, ergibt weniger Sinn. Das bedeutet: Es ist oft einfacher, Geld in die Hand zu nehmen und in Hilfsprojekte zu investieren. Mit Blick auf die physische Sicherheit der Menschen und die politische Stabilität eines Landes wäre es aber vermutlich wirksamer und wohl auch billiger, alles daranzusetzen, einer möglichst marktwirtschaftlichen Politik zum Durchbruch zu verhelfen, und jene Institutionen zu stärken, die die wirtschaftlichen Grundrechte garantieren.
Dieser Artikel erschien in der »Neuen Zürcher Zeitung» vom 25. Januar 2014. Mit freundlicher Genehmigung der «Neuen Zürcher Zeitung».