2014 betrug der schweizerische Stromverbrauch rund 62 Terawattstunden (TWh). Die Produktion der einheimischen Kraftwerke belief sich dagegen auf 67 TWh, so dass ein Nettoexport von gegen sechs TWh resultierte. Für manche Energiepolitiker sind diese Zahlen Grund zur Freude, da sie ein hohes Mass an Energieunabhängigkeit suggerieren. Bei genauerer Betrachtung relativiert sich das Bild allerdings. Schliesslich ist die Schweiz nicht nur Exporteur, sondern auch Import- und Transitland. 2014 beliefen sich die Stromexporte auf 43 TWh, die Importe auf 37 TWh. Die Schweiz exportiert vor allem im Sommer, während im Winter Importe die geringere Produktion der Wasserkraftwerke kompensieren.

Die hohe Relevanz des Handels hat Konsequenzen für das schweizerische Preisniveau im Stromgrosshandel. Dieser wird im Wesentlichen durch die grösseren benachbarten Märkte bestimmt. Je nach Jahreszeit und Importbedarf pendelt der Preis zwischen dem höheren italienischen und dem tieferen deutschen Niveau. Vor allem während der Wintermonate, wenn die Schweiz Strom importiert, steigt das schweizerische auf das italienische Preisniveau.

Ungewollter Politikimport

Der internationale Stromhandel ist eine zentrale Stütze der Schweizer Versorgungssicherheit. Ohne Importmöglichkeiten bräuchte die Schweiz zusätzliche Kraftwerkskapazitäten, die den Bedarf im Winter abdecken, aber im Sommer kaum genutzt werden. Anderseits ist die Schweiz keine Strominsel, weder technisch noch ökonomisch. Das führt dazu, dass die Schweiz über den Grosshandelspreis auch die Wirkungen der ausländischen Energiepolitik «importiert».

Subventionieren Nachbarländer konventionelle Kraftwerke oder erneuerbare Energien wie Wind oder Photovoltaik (PV), schlägt sich dies auch im schweizerischen Stromgrosshandel in Form preissenkender Effekte nieder. Davon profitieren die inländischen Verbraucher, da sie die Subventionen nicht finanzieren. Umgekehrt importiert die Schweiz auch preissteigernde Effekte im Zusammenhang mit der ausländischen Energiepolitik. Solche – für Schweizer Kraftwerksbetreiber positive – Effekte resultierten etwa durch die politisch verordnete vorzeitige Abschaltung deutscher Kernkraftwerke oder die Einführung des europäischen CO2-Emissionshandels. Weil meist die variablen Kosten fossiler Kraftwerke die Preise am Markt bestimmen, erhöht der CO2-Zertifikatspreis den Strompreis.

Doch es ist nicht nur die Politik der Nachbarländer, die den inländischen Strommarkt beeinflusst. Dies gilt generell für europäische und weltwirtschaftliche Entwicklungen. Von besonderer Bedeutung sind – neben den Preisen für Öl, Gas und Kohle – konjunkturelle und monetäre Grössen. Sie beeinflussen zudem den Wechselkurs. Dieser ist für Schweizer Stromproduzenten von besonderer Bedeutung, da sich das «importierte» Preisniveau auf Basis des Euro bildet, während die Kosten des Kraftwerksbetriebsweitgehend in Franken anfallen. Ein nicht unwesentlicher Teil der Ertragserosion seit 2008 ist wechselkursbedingt. So lagen die durchschnittlichen Preise im Day-ahead-Markt für die Schweiz 2008 bei 74 Euro oder umgerechnet 118 Franken, 2014 waren es noch 37 Euro beziehungsweise 45 Franken. Mit der Aufhebung der Wechselkursuntergrenze Anfang 2015 hat sich die Situation akzentuiert.

Schlüsselgrösse Strompreis

Gerade weil der Preis in offenen Märkten eine zentrale Lenkungsfunktion einnimmt, kann eine nationale Energiepolitik die internationalen Einflüsse auf den Energiemarkt nicht ignorieren. Tiefe Strompreise machen eine Strategie, die auf dem subventionierten Ausbau von Kraftwerken oder der Förderung von Energieeffizienz basiert, tendenziell teurer. Ähnliches gilt für den Einfluss des starken Frankens. Dieser macht Stromimporte gegenüber dem Ausbau von Kraftwerkskapazitäten im Inland relativ attraktiver.

Die komplexen und schwer prognostizierbaren internationalen Einflüsse machen letztlich die Definition einer effizienten Energiestrategie schwierig. Sollte etwa Europa künftig eine sehr strikte Klimapolitik umsetzen und dabei vor allem über das Instrument des Emissionshandels steuern, dann würden sich die hohen CO2-Zertifikatspreise auch im Schweizer Strompreis niederschlagen. Dann aber stellt sich die Frage, ob zusätzliche Subventions- und Lenkungsinstrumente im Inland noch nötig und sinnvoll wären, um energiepolitische Ziele zu erreichen – womöglich gehen damit vielmehr zusätzliche Marktverzerrungen und Mitnahmeeffekte einher.

Politiker unterschätzen häufig die Einflüsse der internationalen Energiemärkte und die damit verbundenen Interdependenzen zwischen nationalen Regulierungsregimes. Ein kleines Land wie die Schweiz kann ihre Energiestrategie nicht autonom definieren, gerade weil sie keine Energieinsel ist. Eine gute Energiepolitik sollte daher die veränderlichen internationalen Entwicklungen berücksichtigen. Sie müsste gar eine kluge Antwort auf die Zyklen der internationalen Märkte und ausländischen Regulierungen darstellen.

Dieser Artikel erschien in der «Neuen Zürcher Zeitung» vom 15. September 2015. 
Mit freundlicher Genehmigung der «Neuen Zürcher Zeitung».