Am Tag fünf meiner Reise durch die deutsche Energiewende wird bei Hamburg Energie das Projekt eines virtuellen Kraftwerks präsentiert. Dieses illustriert, weshalb die Zukunft der Stromversorgung – entgegen verbreiteter Meinung – keineswegs in einer vollständigen Dezentralisierung liegt.

Energiebunker Hamburg, Bild:IBA Hamburg GmbH / Martin Kunze

Im Energiebunker Hamburg wurde eine riesige Bunkeranlage aus dem 2. Weltkrieg zu einem Wärmespeicher umgebaut (Bild:IBA Hamburg GmbH / Martin Kunze)

Dass die Energiewende zu einer konsequent dezentralen Erzeugung in kleinen Anlagen führt, stimmt nicht. Im Gegenteil: Die riesigen Windparks zwischen Berlin und Hamburg illustrieren eher das Gegenteil. Natürlich lassen sich auch Windräder dezentral über die Landschaft verteilen. Besser aber ist es, diese an Standorten mit besonders günstigen Windgeschwindigkeiten zu konzentrieren. Denn ein bisschen mehr Wind erhöht den Ertrag überproportional. Oder genauer: Die Windleistung wächst mit der dritten Potenz der Windgeschwindigkeit (doppelte Windgeschwindigkeit = achtfache Windleistung). Dezentral sind dagegen Photovoltaikanlagen auf den Dächern, kleinere Biomasse- und WKK-Anlagen (Wärmekraftkoppelung). Vor allem was diese Technologien betrifft, hat sich die Anzahl Stromproduzenten vervielfacht. Gerne spricht man in Deutschland auch von einer «Demokratisierung» der Stromwirtschaft. Bisherige Konsumenten werden gleichzeitig zu Produzenten, quasi zu «Prosumern».

Das Konzept des Prosumers hat in der Praxis aber enge Grenzen. Es funktioniert, solange die kleinen dezentralen Anlagen ihren Strom einfach ins Netz einspeisen können und dafür unabhängig vom Strompreis entschädigt werden. Sobald die Anlagen aber keine Einspeisevergütung mehr erhalten, müssen sie ihren Betrieb an den Bedürfnissen des Marktes ausrichten. Das heisst, die Prosumer müssen ihren Strom (jedenfalls der Anteil, den sie nicht selber konsumieren) an der Börse vermarkten oder über bilaterale Verträge an andere Konsumenten oder Versorger verkaufen. In beiden Fällen haben sie aufgrund ihrer Kleinheit denkbar schlechte Karten. Das gilt ganz besonders, wenn die Produktion ihrer Anlage auch noch fluktuierend, also den Launen der Natur ausgesetzt ist. Auch können die Betreiber von Kleinanlagen ihre Produktion nicht im Markt für Regelleistung anbieten, da dort eine minimale Leistung von 5 MW erforderlich ist.

Die Lösung liegt in einem Zusammenschluss der Kleinanlagen zu einer virtuellen Grossanlage. Solche virtuellen Kraftwerke setzen eine informationstechnische Vernetzung sowie eine zentrale Plattform zur Steuerung voraus. Die Bündelung dezentraler Anlagen erlaubt Skaleneffekte beim Vertrieb, und die Unsicherheit bei der Prognose fluktuierender Produktion kann reduziert werden. Ob dies jedoch mit der erhofften Demokratisierung der Energiewirtschaft vereinbar ist, und ob man dann noch von Prosumern sprechen kann, ist natürlich eine andere Frage.

Im Rahmen meiner Exkursion durch die deutsche Energiewende wurde beim städtischen Unternehmen Hamburg Energie ein solches virtuelles Kraftwerk vorgestellt. Zu sehen gab es nicht viel, da erstens die Komponenten eines solchen Kraftwerks ja ohnehin verteilt sind, und da es sich zweitens noch um ein Projekt im Aufbau handelt. Künftig soll die zentrale Plattform vor allem WKK- und Biogasanlagen poolen, so dass diese auch im Regelleistungsmarkt teilnehmen können. Was in der Theorie einfach klingt, ist in der Praxis herausfordernd. Neben der technischen Koordination und Steuerung der Anlagen müssen diese auch mit den Marktinformationen verbunden werden. Das heisst, der Betrieb muss real-time auf Bedürfnisse und Preise im Markt abgestimmt werden. Eine besonders interessante Projekterweiterung ist ein Fernwärmesystem als Speichermöglichkeit. Dabei wird Strom zur Erhitzung eines Wasserspeichers genutzt, der an ein Fernwärmenetz angeschlossen ist. Der bereits bestehende Wasserspeicher in einer riesigen Bunkeranlage aus dem 2. Weltkrieg umfasst heute 2000 m3 und wird bisher durch Abwärme einer Industrieanlage, Holzschnitzel, Biogas und eine Solaranlage beheizt. Ob das Konzept Power-to-Heat aber je wirtschaftlich sein wird, ist fraglich.  Vor allem im Sommer, wenn der Bedarf an Fernwärme gering ist, sind die Nutzungsmöglichkeiten eingeschränkt. Und schliesslich ist die Kapazität einer solchen Anlage von der Grösse des Fernwärmenetzes abhängig – je kleiner das Netz, desto geringer der Speicherbedarf.

Auf Einladung des Auswärtigen Amtes reiste Urs Meister, Projektleiter und Mitglied des Kaders von Avenir Suisse, während fünf Tagen durch die deutsche Energiewende. In einer kleinen Blog-Serie berichtet er über seine Eindrücke.

Weitere Beiträge aus dieser Reihe:

Die vagen Ziele der deutschen Energiewende

Energiewende als soziokulturelles Konzept

Energieautarkie als Lebensgefühl

Übergangsregelung statt Kapazitätsmarkt