Die Betreiber von Kernkraftwerken sollen künftig höhere Beiträge in die Fonds für die Stilllegung und Entsorgung einzahlen. Der vom Bundesrat vorgeschlagene pauschale Sicherheitszuschlag führt jedoch zu einem übermässig grossen Kostenanstieg, der aufgrund der unvollständigen Marktöffnung die Verbraucher in der Grundversorgung einseitig stark belastet.
Die künftigen Kosten für die Stilllegung und den Rückbau von Kernkraftwerken sowie die Entsorgung radioaktiver Abfälle sollen nicht die Steuerzahler, sondern die Eigner der Anlagen – und damit letztlich auch die Stromkonsumenten – tragen. Zu diesem Zweck zahlen die Stromproduzenten jährliche Beiträge in den Stilllegungs- und Entsorgungsfonds. Sie bemessen sich nach den geschätzten künftigen Kosten sowie einer unterstellten Anlagerendite, die sich aus einer Realverzinsung und einer Teuerungsrate zusammensetzt. Weil die künftigen Kosten unsicher sind, werden sie von der Branche alle fünf Jahre neu geschätzt und vom Bund geprüft. Zeichnen sich etwa aufgrund ausländischer Erfahrungen Kostensteigerungen über der Inflation ab, können die Beiträge erhöht werden. Mitte August hat der Bundesrat eine Revision der Stilllegungs- und Entsorgungsfondsverordnung angekündigt. Neben Anpassungen bei der Anlagerendite und der Teuerung hat er einen pauschalen Sicherheitszuschlag von 30% auf die geschätzten Kosten vorgeschlagen. Insgesamt würden sich die jährlichen Einzahlungen von 174 Mio. Fr. auf 307 Mio. Fr. erhöhen.
Bei der Einführung des ausserordentlich grossen Sicherheitszuschlags geht der Bundesrat offenbar davon aus, dass die Kostenschätzungen entweder nicht adäquat oder zu wenig aktuell sind. Er misstraut also den Kostenkalkulationen (sowie den Kontrollen der Aufsichtsbehörde) oder er hat nicht die Geduld, bis zur nächsten Kostenüberprüfung 2016 zu warten. Ausserdem unterstellt er, dass die Kosten bzw. die Kostensteigerungen in jedem Fall höher sind als veranschlagt. Der Bundesrat verweist auf die Kostensteigerung zwischen 2001 und 2011, die über der angenommenen Teuerungsrate lag. Dabei spielen wohl Erfahrungen aus Deutschland eine wesentliche Rolle. Allerdings lassen diese keineswegs den Schluss zu, dass die Kostensteigerungen auch künftig derart ausgeprägt sein werden. Ein Grund für die Entwicklung in Deutschland dürfte darin liegen, dass es bisher relativ wenige Unternehmen mit genügend grossen Kapazitäten und dem nötigen Know-how gab, die für die Stilllegungs- und Rückbauarbeiten in Frage kommen. Wegen des forcierten Atomausstiegs in Deutschland kann sich dies jedoch ändern. Aufgrund der Grösse des deutschen Kraftwerksparks dürfte sich in den kommenden Jahren ein eigentlicher Markt für Stilllegungs-, Rückbau- und Entsorgungsleistungen etablieren. Die dabei gewonnenen Erfahrungen ebenso wie die Konkurrenz zwischen Anbietern dürften zu Kostensenkungen führen.
Der Sicherheitszuschlag könnte unter Umständen damit begründet werden, dass die Kostensteigerungen wahrscheinlich gegen Ende der Kraftwerkslaufzeiten besonders hoch sind und somit die Gefahr hoch ist, dass die Betreiber dann wirtschaftlich nicht mehr in der Lage sind, die höheren Beiträge während der Restlaufzeit zu leisten, so dass der Bund einspringen müsste (Artikel 80 des Kernenergiegesetzes macht dies grundsätzlich möglich). Doch diese Entwicklung ist keineswegs zwingend, ja nicht einmal unbedingt wahrscheinlich. Allfällige Kostensteigerungen (oder -senkungen) dürften sich vielmehr bereits in den nächsten Jahren abzeichnen, wenn in Deutschland im Zuge des beschleunigten Atomausstiegs weitere Erfahrungen gemacht werden. Selbst bei den älteren Kraftwerken Beznau I und II sowie Mühleberg – die bei einer Laufzeit von 50 Jahren bereits ab 2019 bzw. 2022 ausser Betrieb gingen – liessen sich Erkenntnisse über Kostensteigerungen in den letzten Betriebsjahren durch die periodische Überprüfung berücksichtigen. Und falls der Bundesrat das Risiko von grossen Kostensprüngen innerhalb von 5 Jahren als bedeutend erachtet, könnte er eine kürzere Periode für das Update der Kostenschätzung vorschlagen.
Haftung der Kantone und Liberalisierung
Die Einführung des Sicherheitszuschlages führte zu einem sprunghaften Anstieg der Kernkraftkosten. Aufgrund der unvollständigen Marktöffnung in der Schweiz sind die Möglichkeiten der Stromproduzenten gross, die höheren Kosten einseitig den kleineren Kunden in der Grundversorgung anzulasten. Deren Energietarife sind faktisch reguliert und orientieren sich an den Produktionskosten – ein Zusatz in der Stromversorgungsverordnung, wonach Marktpreise gelten, falls diese unter den Kosten liegen, hat der Bundesrat dieses Jahr gestrichen. Grössere Verbraucher, die ihren Strom am Markt beschaffen, würden dagegen durch den Zuschlag nicht belastet, da ihre Energietarife durch die – derzeit sehr tiefen – Preise im europäischen Grosshandel bestimmt werden. Und würde sich in einigen Jahren herausstellen, dass der Sicherheitszuschlag zu gross bemessen war, würden zwar die Beiträge der Kernkraftbetreiber reduziert (oder es käme gar zu Rückerstattungen), doch die Kunden in der Grundversorgung könnten nicht etwa automatisch profitieren. Falls nämlich bis dahin der Markt ganz liberalisiert wäre, würden für alle Verbraucher Markttarife gelten, die sich nicht mehr direkt an den Produktionskosten orientieren.
Ein pauschaler Sicherheitszuschlag ist vor dem Hintergrund der bereits bestehenden periodischen Kostenüberprüfungen fragwürdig. Falls der Bundesrat annimmt, die Kosten würden systematisch und einseitig zu optimistisch kalkuliert, sollte er eher die Methode der Kostenschätzung anpassen – etwa durch Einbezug zusätzlicher Sensitivitätsanalysen, die stärkere Gewichtung jener Schätzungen, die höhere Kosten ergeben oder eine Aktualisierung in kürzeren Abständen. Um das Risiko einer Nachschusspflicht durch den Bund zu reduzieren, könnte ausserdem Artikel 80 des Kernenergiegesetzes so geändert werden, dass in erster Linie die Kantone als (indirekte) Eigner eine Nachschusspflicht leisten müssten, da sie ja auch – jedenfalls im liberalisierten Markt – von den Gewinnmöglichkeiten profitieren. Und vor allem sollte eine Revision der Stilllegungs- und Entsorgungsverordnung mit einer vollständigen Marktöffnung einhergehen, damit höhere Kosten nicht einseitig an die Verbraucher in der Grundversorgung überwälzt werden.
Dieser Artikel erschien am 3. Oktober 2013 in der «Neuen Zürcher Zeitung». Mit freundlicher Genehmigung der «Neuen Zürcher Zeitung».