Die EU verschärft unter dem Druck der Schuldenkrise die Stabilitätskriterien und verspricht strenge Kontrollen. Das ist gut so. Entsprechend erhielten die fünf Mitgliedsländer Belgien, Malta, Polen, Ungarn und Zypern in der vergangenen Woche von der EU-Kommission einen Brief. Darin werden sie aufgefordert, bis Mitte Dezember «permanent wirksame Massnahmen» zu beschliessen, um ihre Budgetdefizite 2012 unter die geforderten 3% des Bruttoinlandprodukts (BIP) zu senken. Ansonsten werde das Defizitverfahren verschärft.

Sind die fünf Empfänger der Post aus Brüssel die grössten Problemfälle?  Ein Blick auf die von derselben EU-Kommission veröffentlichen mittelfristigen Prognosen für Staatsverschuldung und Budgetdefizite wirft diese Frage auf. Vergleichen wir das neue Mitglied Polen mit den etablierten Schwergewichten Frankreich und Grossbritannien.

Das Haushaltsdefizit Polens wird für 2013 auf 3,1% des BIP, die Bruttoverschuldung des Staates auf Maastricht-konforme 57,5% des BIP veranschlagt. In Grossbritannien, das, wie Polen, nicht Mitglied der Währungsunion ist, aber die Stabilitätskriterien dennoch erfüllen muss, werden sich die entsprechenden Verhältniszahlen gemäss EU-Projektion im gleichen Jahr auf 5,8% und 85,9% belaufen. In Frankreich soll das Budgetdefizit 5,1%, die Staatsverschuldung bei steigender Tendenz 91,7% des BIP ausmachen. Die neuesten Sparvorschläge der französischen Regierung sind hier allerdings noch nicht berücksichtigt.

Man fragt sich mit Unbehagen, ob sich hier ein bekanntes Muster wiederholt. Es zeichnet sich dadurch aus, dass kleine und noch nicht arrivierte Mitglieder der Gemeinschaft weniger Schonung geniessen als die gewichtigen Alphatiere. Erinnert sei an die Isolierung Österreichs nach der Bildung einer Koalitionsregierung  unter Einschluss der FPÖ und an die Toleranz der europäischen Behörden gegenüber der Teilnahme der Neofaschisten an der italienischen Regierung. Als Portugal in den ersten Jahren der Währungsunion gegen den Stabilitätspakt verstiess, wurde es unsanft in die Zange genommen, während sich Deutschland und Frankreich wenig später nahezu unbehelligt über die Vereinbarungen hinweg setzen konnten.

Die EU hat mit der Verschärfung der Stabilitätskriterien einen wichtigen Schritt zur Stabilisierung der Staatsfinanzen unternommen. Die guten Vorsätze wären aber wirkungslos, wenn in kritischen Situationen auch künftig mit zwei Ellen gemessen würde.