Dem Bundesrat ist es nicht ernst mit der Bekämpfung des Regulierungsdickichtes. Dies zeigen die enormen Regulierungsvorhaben, die in den letzten Monaten in die Vernehmlassung geschickt wurden. Dazu gehört die Energiestrategie 2050, die diversen Vorhaben im Finanzsektor unter dem irreführenden Titel «Kleeblattreform» (Finfrag, Fidleg, Finmag, Finig), die Revision des Aktienrechtes und des Umweltschutzgesetzes, das neue Krankenkassenaufsichtsgesetz oder das kürzlich vorgelegte, nicht weniger als 2080 Seiten umfassende, Projekt zur Verbesserung der Lebensmittelsicherheit.

Die Schweiz bräuchte eine echte Regulierungsbremse, sei es in Form einer quantitativen Begrenzung für neuen Regulierungen oder als einfache Prinzipien wie «one in, one out». (Bild: © Fotolia/Shashkin)

Klar zum Ausdruck kommt die Haltung des Bundesrates auch in der Stellungnahme zu den von NR Caroni und der FDP-Fraktion eingereichten Vorstösse zur Bekämpfung des Regulierungsdickichts mittels einer Regulierungsbremse und einer unabhängigen Stelle zur Regulierungsfolgenabschätzung. Der Bundesrat hat beides abgelehnt, mit einer wenig überzeugenden Begründung: Für Regulierungsbremsen bestünden noch zu wenige Erfahrungswerte, und bevor die Schaffung einer unabhängigen, verwaltungsexternen Stelle auch nur geprüft werden könne, brauche es weitere Abklärungen.

Die vom Bundesrat anfangs September mit viel Medienbegleitung vorgeschlagenen 31 Massnahmen zur administrativen Entlastung der Wirtschaft (z.B. die Flexibilisierung und die höhere Kundenfreundlichkeit im Zollwesen) sind nicht viel mehr als ein Tropfen auf den heissen Stein. Die erwarteten Einsparungen liegen weit unter dem Potenzial und, was noch viel wichtiger ist, sie gehen die grundlegenden Ursachen der Regulierungsflut nicht an. Die Vorliebe der Regierung für kleine Massnahmen ist insofern erstaunlich, als sie zum Thema der ungenügenden Wirkung der RFA (Regulierungsfolgenabschätzung) kürzlich feststellte, dass mit punktuellen Verbesserungen keine quantitativen Sprünge erwartet werden können (Bundesrat 2015, 25).

Sensibilisierte Politiker

Und doch gibt es Anzeichen, dass die Dringlichkeit der Regulierungsproblematik für die Schweizer Wirtschaft langsam aber sicher erkannt wird. Bereits haben sich einzelne Parteien oder Parlamentarier für die Bekämpfung der Bürokratiekosten ausgesprochen. Die FDP hat eine Tagung zum Thema organisiert und die CVP die Bekämpfung des Regulierungsdickichts als wichtige Priorität in ihr wirtschaftspolitisches Programm aufgenommen. Auch einzelne Vertreter der SVP haben sich zu diesem Thema geäussert.

Doch mit verbalen Äusserungen und Lippenbekenntnissen allein ist noch nicht viel erreicht, auch wenn diese für die Sensibilisierung weiter Kreise wichtig sind. Was es braucht, sind institutionelle Veränderungen, die einerseits die Anreizstrukturen der verschiedenen Akteure verändern und andererseits die Transparenz verbessern. Das kann erreicht werden mit standardisierten Verfahren zur Messung und Darstellung der Regulierungskosten. In dieser Hinsicht ist der jüngst veröffentlichte Bericht zu den Kosten und zum Nutzen der vom Departement des Innern vorgelegten Revision des Lebensmittelgesetzes ein Schritt in die richtige Richtung.

Neue Wege bei der Regulierungsfolgenabschätzung

Das Büro für Arbeits- und Sozialpolitische Studien (BASS) in Bern hat in Zusammenarbeit mit dem Seco eine detaillierte Regulierungsfolgenabschätzung zum neuen Lebensmittelgesetz (LMG) vorgelegt (Oesch et al. 2015). Darin werden akribisch die Kosten des neuen Regulierungsvorschlages aufgezeigt und dem erwarteten Nutzen gegenüber gestellt. Die Resultate sind deutlich: Für die Wirtschaft, vor allem für die Gastronomie und die Hotellerie, den Detailhandel sowie die Hersteller und Importeure von Lebensmitteln und Kosmetik (!) ergeben sich einmalige Regulierungskosten von bis zu 270 Mio. Fr. Dazu kommen jährlich wiederkehrende Aufwendungen von 46 Mio. Fr. Diese ansonsten schon nicht auf Rosen gebeten Branchen werden also erheblich belastet, ohne dass dem ein nachweisbarer Nutzen entgegensteht. Das BASS schätzt den Nutzen auf 20 Mio. Fr., was offensichtlich in keinem Verhältnis zu den Kosten steht.

Der genannte Bericht enthält weitere, viel detailliertere Ausführungen, die vor allem auch im Vergleich zu früheren RFA’s positiv zu werten sind. Im qualitativen Bereich sind dies die folgenden Punkte.

  1. Die Notwendigkeit des staatlichen Eingriffes wird kritisch hinterfragt. Es wird geprüft, ob ein Marktversagen oder das Problem der asymmetrischen Information besteht und alternative Lösungsmöglichkeiten evaluiert.
  1. Es werden nicht nur die direkten Kosten für die betroffenen Branchen errechnet, sondern auch die zusätzliche Kosten für die Verwaltung. Diese Vollzugskosten werden für den Bund auf 2.1 Mio. Fr. pro Jahr geschätzt, für die Kantone auf 15.7 Fr. pro Jahr.
  1. Auch das von der Verwaltung immer wieder vorgebrachte Argument der notwendigen Anpassung an EU-Recht wird hinterfragt. Dabei kommt BASS zum nicht ganz erstaunlichen Schluss, dass man die EU unnötigerweise in vielen Bereich sogar übertrumpft. Und schlimmer noch: «In Bezug auf nicht-tarifäre Handelshemmnisse zwischen der Schweiz und der EU muss festgehalten werden, dass das revidierte LMR nicht zu einem Abbau, sondern zu einem Aufbau von nicht tarifären Handelshemmnissen führt» (Oesch et al. 2015, S 12).

Ebenso positiv und für die zukünftige Arbeit fast noch wichtiger, sind die folgenden institutionellen Punkte:

  1. Der Bericht wurde von einer unabhängigen Stelle durchgeführt. Die Unabhängigkeit der Stelle, die die Regulierungsfolgenabschätzung durchführt, ist ein zentrales Kriterium für ihre Wirksamkeit im gesetzgeberischen Prozess. Bis anhin wurden die meisten RFA’s von den betroffenen Departementen selbst durchgeführt, entsprechend sind die Resultate immer wohlwollend ausgefallen, oder die RFA wurde nicht mit der notwenigen Sorgfalt durchgeführt.
  2. Der Bericht wurde veröffentlicht. Einige RFA der Vergangenheit wurden stillschweigend zu den Akten gelegt. Ohne Veröffentlichung aber könne sie keine Wirkung haben. Durch die zunehmende Sensibilisierung der Öffentlichkeit wurden die Resultate nun durch die Medien auch weiter verbreitet.

Vieles muss noch in die Wege geleitet werden, damit das Regulierungsdickicht wirksam bekämpft werden kann. Die Unabhängigkeit der Stelle, die das RFA durchführt, sollte zur Regel werden. Die Verfahren müssen standardisiert, die Resultate einheitlich dargestellt und früher im Prozess veröffentlicht werden. Die Prinzipen einer besseren Regulierung müssen von Anfang an berücksichtigt werden (siehe Actal Jahresbericht 2014, Buomberger 2014 u.a.). Das allein reicht aber noch nicht. Es bräuchte eine echte Regulierungsbremse, sei es in Form einer quantitativen Begrenzung für neuen Regulierungen oder als einfache Prinzipien wie «one in, one out». Die Offenheit, auch neue Lösungsansätze ernsthaft zu prüfen ist dabei unabdingbar.