Verdichten statt zersiedeln. NZZ, 28.2.2015

Die Schweiz ist ein kleines Land. Während es gemessen am Bruttoinlandprodukt immer noch knapp zu den 20 grössten der Welt zählt und hinsichtlich der Bevölkerung an 93. Stelle liegt, gibt es punkto Fläche 131 Staaten, die grösser sind (2009). Dazu ist ein grosser Teil der Fläche (konstant 25%) für Besiedelung ungeeignet. Kein Wunder also, dass Raumplanung und Bodennutzung in der politischen Debatte eine grosse Rolle spielen.

600 km² neues Siedlungsland

Seit 2012 haben vier Volksabstimmungen diesen Themenkreis direkt (Zweitwohnungsinitiative und RPG-Revision) oder indirekt (Masseneinwanderungsinitiative und Ecopop-Initiative) angesprochen. Es geht zum einen um die Zersiedelung, also die oft unkontrolliert wirkende Überbauung ausserhalb von Ortskernen oder bereits bestehenden zusammenhängenden Ortsteilen, zum anderen um den wachsenden Landverbrauch, der dem Bevölkerungswachstum und besonders der Zuwanderung angelastet wird. Das ist zwar grundsätzlich nicht falsch, aber unsere wirtschaftspolitische Grafik macht zugleich deutlich, dass man auf gleiches Bevölkerungswachstum unterschiedlich reagieren, dass man also mit dem Boden verschwenderischer oder sparsamer umgehen kann.

Gesamtschweizerisch ist im Beobachtungszeitraum (1985 bis 2009) die Siedlungsfläche stärker gewachsen als die Bevölkerung, nämlich um fast 600 km², von 2500 km² auf 3100 km². Das entsprach einer Steigerung um gut 23% auf einen Siedlungsanteil an der Gesamtfläche von 7,46%. Als Folge des überproportionalen Wachstums stieg die von einer Person im Durchschnitt beanspruchte S

iedlungsfläche von 387 m² auf 407 m². Unter dieser Siedlungsfläche versteht man in der Schweiz alles, was nicht Wald, Gewässer oder Gestein (rund 57% der Gesamtfläche) oder landwirtschaftliche Nutzfläche (36%) ist. Zur Siedlungsfläche zählen somit nicht nur Wohngebäude, Industrie- und Gewerbeareale und öffentliche Gebäude, sondern auch Verkehrsflächen, Abwasserreinigungsanlagen, Deponien und Baustellen sowie Grünflächen (Parks, Schrebergärten, Friedhöfe, Golfplätze und Sportanlagen). Der Einbezug der Grünflächen mag irritieren, doch ändert er wenig an den grundsätzlichen Ergebnissen.

Haushälterischer Umgang

Kantonal gibt es allerdings beachtliche Unterschiede beim Flächenbedarf. Alle Kantone, die sich auf oder nahe der Winkelhalbierenden befinden, haben die Siedlungsfläche pro Kopf in den 25 Jahren praktisch nicht ausgedehnt, sind also relativ haushälterisch mit dem Boden umgegangen. Darunter befinden sich einige Kantone (ZH, VD, AG und VS), die wegen ihrer Grösse oder wegen des Bevölkerungswachstums in absoluten Zahlen besonders viel Siedlungsfläche neu erschlossen haben (an der Kreisfläche ersichtlich). – Man kann also vermuten, dass gerade der grosse Flächenbedarf ein Anstoss war, es bei der Neuerschliessung nicht zu übertreiben. Jene Kantone, die deutlich oberhalb der Winkelhalbierenden liegen, etwa Schwyz oder Zug, waren sogar noch vorbildlicher. Bei ihnen könnte das starke relative Wachstum der Bevölkerung (40% und darüber) ein Ansporn gewesen sein, bei der Expansion der Siedlungsfläche Zurückhaltung zu üben. Der Kanton Genf dagegen reduzierte seinen Flächenbedarf pro Kopf der Wohnbevölkerung trotz einem fast nur halb so raschen Bevölkerungswachstum wie Schwyz.

Schliesslich weist eine ganze Reihe von Kantonen (unterhalb der Winkelhalbierenden) ein überproportionales Wachstum der Siedlungsfläche auf. Obwohl die Bevölkerungen einzelner dieser Kantone nur um 10% oder weniger zunahmen, dehnten sie die Siedlungsflächen stark aus, Bern etwa um fast 20%, Ausserrhoden und Uri um noch mehr. Der grösste Ausreisser ist jedoch der Jura, der seine Siedlungsfläche um über einen Drittel ausdehnte, ohne dass seine Bevölkerung gross gewachsen wäre. So stieg die Siedlungsfläche pro Einwohner um 189 m² auf 817 m² oder das Doppelte des schweizerischen Durchschnitts. Auffällig ist auch der Kanton Basel-Stadt, der als einziger schrumpfte. Da aber die Siedlungsfläche trotzdem minim stieg, führte das auch hier zu mehr Fläche pro Kopf.

Zurückhaltung beim Verkehr

Man könnte nun versucht sein, den Kantonen oberhalb der Linie eine vorbildliche Verdichtung zu attestieren. Mit Ausnahme des Kantons Genf fand aber in keinem der Kantone bei Wohnhäusern und öffentlichen Gebäuden eine Verdichtung statt, und auch die Industrie- und Gewerbeareale wurden ausgeweitet. Das unterproportionale Wachstum der Siedlungsflächen in diesen Kantonen geht ausschliesslich auf die unterdurchschnittliche Zunahme der Verkehrsflächen und einen Rückgang bei den besonderen Flächen (Deponien, Baustellenareale usw.) zurück. Das ist löblich, aber mit Blick auf die Erhaltung von Landschaft und Natur wohl zu wenig.

Die Grafik liefert auch ein Indiz für die enorme Zersiedelung, die während der 25 Jahre stattgefunden hat. Die Kantone im rechten Drittel der Grafik, in denen das grösste relative Siedlungswachstum stattgefunden hat, sind vor allem ländliche Kantone. Genf oder Basel sind dagegen wenig gewachsen. Von einer Siedlungspolitik nach dem Motto «Verdichten statt zersiedeln» (wobei verdichten im engeren und weiteren Sinne gemeint ist) ist man somit noch weit entfernt. Dass einige Kantone dies wenigstens halbwegs schaffen, sollte aber den anderen zumindest Ansporn und Vorbild sein.

Dieser Artikel erschien in der «Neuen Zürcher Zeitung» vom 28.02.2015.
Mit freundlicher Genehmigung der «Neuen Zürcher Zeitung».