Die wirtschaftliche Bedeutung des Energiesektors ist erheblich, und doch hat die Marktwirtschaft Mühe, in diesem Bereich Fuss zu fassen. Zu den Faktoren, die dafür verantwortlich sind, dass kaum ein Grossprojekt ohne Zuschüsse aus öffentlicher Hand realisiert werden kann, gehören langfristiger Planungsbedarf und entsprechende Zeithorizonte. Besondere Risiken ergeben sich aus der fortlaufenden Entwicklung und den technischen Umwälzungen, anderseits daraus, dass die Trägerschaft zahlreicher Energiekonzerne in öffentlicher Hand sind. Finanzielle Unterstützung vom Staat begünstigt dabei weder Innovation noch erneuerbare Energien. Bundesrätin Doris Leuthard erinnerte daran, dass weltweit nahezu 500 Milliarden Dollar in die staatliche Unterstützung fossiler Energien fliessen – im Vergleich zu den rund 140 Milliarden Dollar, die in erneuerbare Energien fliessen.

Harte Zeiten für Wasserkraft

Auch in der Schweiz herrschen solche Verhältnisse, wenn auch in geringerem Masse. Sollte sich die vom Bundesrat beschlossene Strategie des Atomausstieges konkretisieren, droht den fünf Schweizer Kernkraftwerken, die allesamt mit staatlicher Unterstützung errichtet wurden, die Stilllegung. Auch dem Wasserkraftsektor, der sich hauptsächlich aus zahllosen lokalen, meist öffentlichen Kleinunternehmen zusammensetzt, stehen dunkle Zeiten bevor: Aufgrund des niedrigen Strompreises und veralteten Anlagen stehen der Mehrzahl von ihnen kaum Investitionsmittel zur Verfügung. Auch die Grundrente des Wasserzinses ist bedroht, und es könnte zu einer neuen Konsolidierungswelle kommen.

Pierre Veya, stellvertretender Chefredaktor und Wirtschaftschef des «Matin dimanche», betonte, dass der Stromsektor nicht nur aussergewöhnlich komplex sei, sondern auch von grosser Unsicherheit und Unvorhersehbarkeit geprägt. Wer hätte zum Beispiel noch vor ein paar Jahren gedacht, dass das neu aufkommende Fracking derartige Auswirkungen auf den weltweiten Strompreis haben würde? Zwar ist Strom ein leicht zugängliches und verfügbares Gut; Erzeugung, Extraktionsverfahren und Verteilung bereiten jedoch Kopfzerbrechen. In Hinblick auf die desaströse Finanzlage des französischen Atomenergiesektors gab Pierre Veya zu bedenken, dass die Schweiz mit ihrer Strategie des Atomausstieges langfristig einige grundlegende Fehler vermeiden könnte. Dieser Vorteil sei jedoch zeitlich begrenzt, schliesslich könne der Kernsektor nicht vollständig aus der nationalen Energielandschaft ausgeklammert werden. Wettbewerb und Innovation blieben daher die Grundpfeiler einer wirksamen Wirtschaftspolitik.

Chapter romand mit Doris Leuthard

Chapter romand zur Verkehrs- und Energiepolitik: Olivier Français, Tibère Adler, Doris Leuthard, Olivier Steimer, Pierre Veya und Nicole Pomezny. (v.l.n.r.) (Foto Lumière Noire)

Infrastruktur in Form eines Schweizerkreuzes

Olivier Français, Leiter der Kommission für öffentliche Bauten der Stadt Lausanne, seit kurzem Mitglied des Ständerates und dort bereits Präsident der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen, sprach von seiner Vision, das Schweizerkreuz in Form einer Nord-Süd- und einer Ost-West-Achse auf das Infrastrukturnetz zu übertragen. Da das bisherige Interesse nahezu ausschliesslich den Nord-Süd-Verbindungen galt, bleibt noch einiges zu tun, bis man die Schweiz vergleichbar mühelos von Ost nach West durchqueren kann.

In Windeseile machte er die Zuhörer mit weiteren Ideen und Projekten vertraut und betonte dabei, dass die politische Infrastrukturplanung sich nicht auf die Erdoberfläche beschränken dürfe, sondern auch unterirdische Projekte und den Luftraum in ihre Überlegungen einbeziehen müsse. Entscheidungen im Infrastruktur- und Transportsektor müssten besonders zukunftsorientiert sein. So können zum Beispiel keine Tunnel gebaut werden, wo zuvor Erdwärmesonden zur Energiegewinnung angebracht worden sind. Welcher Nutzung man den Vorzug gibt, müsse Gegenstand sorgfältiger Planung sein.

Auch für Olivier Français sind Wettbewerb und Innovation Grundlage einer effizienteren Verkehrspolitik. Gleichzeitig wirft er die Frage auf, inwieweit unser Land in bestimmten Bereichen eine eigenständige Forschungspolitik verfolgen kann.

Die Strategie des Bundesrates

Zum Schluss nahm Doris Leuthard Stellung zu den beiden Standpunkten. Das bundesrätliche Ziel der energiepolitischen Strategie sei eine Senkung der externen Bedarfsdeckung. Der Anteil importierten Stroms an der Gesamtversorgung solle von 80 auf 60 Prozent reduziert werden. Eine gesunde Mischung von Strategien, interdisziplinäres Denken und einer umfassende politische Vision führen ihren Ansicht nach zu den vielversprechendsten Lösungsansätze.

In diesem Zusammenhang sei es bedauerlich, dass alte, längst ausgediente Vorurteile immer noch in die Debatte eingebracht würden – etwa der Gegensatz zwischen Eisenbahn und Strasse oder zwischen öffentlichen und privaten Verkehrsmitteln. Auch kritisierte sie eine gewisse «Ellbogenmentalität» in den einzelnen Energiebereichen. Ihrer Ansicht nach bestehe die tatsächliche Herausforderung nicht in einer defensiven Diskussion über den hier oder da gesparten Rappen pro Kilowattstunde, sondern in der Innovations- und Investitionsfähigkeit der Schweiz. Sie glaube an die schweizerische Fähigkeit der Innovation durch Forschung. Die Wirtschaftsvertreter forderte sie auf, ihre Verantwortung wahrzunehmen, indem sie entschlossen investieren und unternehmerische Risiken eingehen.