Viele Pendler lieben den Komfort ihres Generalabonnements (GA) und selbst Mitarbeiter von Avenir Suisse zählen zu den GA-Nutzern (denn auch Ökonomen reagieren auf Fehlanreize). Es gibt inzwischen über 480‘000 GA-Besitzer, doppelt so viele wie vor 20 Jahren. Und so stiess kein anderer Vorstoss von Avenir Suisse zum «Mobility Pricing» auf derart emotionale Reaktionen, wie die Infragestellung des GA. Dabei fordert Avenir Suisse nicht etwa die sofortige Abschaffung des Generalabonnements, sondern nur dessen langfristigen Ersatz durch ein elektronisches Ticket, wie es bereits in den Niederlanden existiert. Denn ein E-Ticket kombiniert variable Preise mit dem Komfortfaktor des GA (flexible Nutzung des ÖV, kein Lösen von Einzelbillets).

Flat-Rate immunisiert Nutzer gegen Preissignale

Das zentrale Problem des GA liegt darin, dass es seine Nutzer immun macht gegenüber Preissignalen. Die Flat-Rate reduziert die Kosten jeder zusätzlichen Fahrt auf null und schafft so einen Anreiz zum Überkonsum von Mobilität. Zwar fährt nicht jeder Nutzer sein GA aus, aber Vielfahrer profitieren vom Mengenrabatt. Wenn man Ermässigungen für Berufspendler als legitim erachtet, wäre ein Pendler-Abonnement für bestimmte Zonen und Strecken das geeignetere Mittel. Die Flat-Rate des GA läuft vor allem aber auch einer stärkeren zeitlichen Differenzierung der Billetpreise entgegen. Und angesichts der massiven Nachfrageschwankungen ist eine solche Differenzierung dringend geboten.

Nachfrageschwankungen als Kostentreiber

Probleme der Verkehrsspitzen im Bahnverkehr Schweiz

Während Züge, Busse und Trams im Berufsverkehr von 7-9 und 17-19 Uhr überlastet sind, liegen während der «Talzeiten» enorme Kapazitäten brach (s. Abb.). Die durchschnittliche Sitzauslastung der SBB liegt bei nur 32% im Fern- und bei 20% im Regionalverkehr. Dies bedeutet: zwei Drittel bzw. vier Fünftel der Verkehrskapazität bleiben ungenutzt. Für die Kosten der ungleichmässigen Auslastung werden die Steuerzahler gleich doppelt zur Kasse gebeten: Die niedrige Auslastung in den «Talzeiten» verursacht Verluste im Betrieb, und wegen der Überlastung in den Stosszeiten werden immer wieder milliardenschwere Kapazitätserweiterungen auf Staatskosten vorgenommen, die nur 3-4 Stunden am Tag gebraucht werden. Zudem leiden die Pendler unter dem Gedränge während der Rushhour.

Preisdifferenzierung bei Flügen und Hotels selbstverständlich

Wenn es gelänge, die Verkehrsspitzen ein wenig zu reduzieren und die Verkehrstäler etwas zu füllen, wäre also viel gewonnen. Am besten lässt sich die Kapazitätsauslastung über differenzierte Tarife steuern. Keine andere Branche hat dies derart perfektioniert wie die Luftfahrtindustrie. Für sie ist die optimale Sitzplatzauslastung eine Frage des Überlebens. Die meisten Fluglinien erreichen erst bei einer Sitzplatzauslastung von über 60% die Profitabilitätsschwelle («Break-Even»). Gut gemanagte Airlines kommen auf deutlich höhere Quoten. So betrug die Sitzplatzauslastung der Swiss im Jahr 2012 beachtliche 81% und damit zweieinhalbmal so viel wie jene der SBB im Fernverkehr.

Obwohl sich die Rahmenbedingungen in der Luftfahrt vom öffentlichen Verkehr in vieler Hinsicht unterscheiden, wird sich der ÖV nicht dauerhaft der Logik einer Preisdifferenzierung verschliessen können, zumal er mit ähnlichen Fixkosten und Nachfrageschwankungen konfrontiert ist wie Fluglinien – oder aber auch Hotels. Wer während der Hauptsaison ein Hotel bucht, zahlt einen deutlich höheren Preis als in der Nebensaison. Niemand scheint Anstoss daran zu nehmen oder gar vom Staat zu erwarten, dass dieser durch Subventionen die Preisunterschiede ausgleicht.

Massnahmen zur Preisdifferenzierung im ÖV

Bei genauerem Hinsehen finden sich bereits heute erste Ansätze für eine zeitliche Staffelung der Billet-Tarife im Schweizer ÖV. Beispielsweise gibt es eine Differenzierung bei Tageskarten, die im Zürcher Verkehrsverbund gelöst werden. Wer die Reise erst nach 9 Uhr morgens antritt, bekommt mit einer «9-Uhr-Tageskarte» einen Rabatt von 15%. Eine andere zeitliche Differenzierung bietet das Gleis-7-Abo, mit dem Jugendliche unter 25 Jahren in Kombination mit einem Halbtax-Abo ab 19 Uhr in der 2. Klasse gratis fahren können. Im ÖV-Kerngeschäft jedoch sind die Tarife noch weitgehend uniform. Das sinnvolle Prinzip der Preisdifferenzierung sollte daher auf weitere Bereiche ausgedehnt werden.

Zwei sinnvolle Massnahmen wäre höhere Billetpreise während der Rushhour und der Ersatz des Rentner-GA durch ein «Talzeiten-GA». Diese Preisvergünstigung für Rentner ist sozialpolitisch ohnehin fragwürdig und sollte zumindest an die Bedingung geknüpft werden, dass das Senioren-GA nicht zu Stosszeiten verwendet wird – zumal Rentner zeitlich besonders flexibel sind. Noch sinnvoller wäre es, das Senioren-GA ganz abzuschaffen und durch ein vergünstigtes «Talzeiten-GA» für all jene zu ersetzen, die es nur ausserhalb der Stosszeiten nutzen. In der längeren Frist jedoch ist das GA ein verkehrspolitisches Auslaufmodell und sollte durch ein E-Ticket mit variablen Tarifen ersetzt werden. Denn differenzierte Preise sind Voraussetzung für einen kostengünstigeren und staufreien ÖV.