Die Sicherheit, jederzeit und in der ganzen Schweiz mit allen essenziellen Gütern versorgt zu werden, ist nicht mehr selbstverständlich. Die globale Logistik läuft nicht mehr so reibungslos wie auch schon, die internationalen Transportkosten haben sich vervielfacht, Energieträger sind teurer geworden und bei verschiedenen Rohstoffen gibt es Angebotsengpässe. Die Wartezeiten für die Lieferung verschiedener Güter haben zugenommen.

Dies gilt auch für wichtige medizinische Ausrüstungen und pharmazeutische Wirkstoffe. Die Pandemie lehrte uns, dass heutzutage aufgrund internationaler Arbeitsteilung in der Regel nur noch wenige, oft geografisch konzentrierte Unternehmen Produkte wie Gesundheitsmasken oder Wirkstoffe für Antibiotika herstellen. In vielen Ländern erschallen deshalb Rufe nach einer Renationalisierung der Wertschöpfungsketten. Mit milliardenschweren Programmen soll die Produktion zurückgeholt und vor internationaler Konkurrenz geschützt werden. Eine Renationalisierung ist jedoch insbesondere für die Schweiz keine geeignete Strategie zur erfolgreichen Bewältigung der aktuellen und zur Vermeidung künftiger Engpässe. Sie stellt vielmehr eine ökonomische Sackgasse dar.

Diversifikation statt Abschottung

Wohin eine forcierte inländische Produktion bei gleichzeitiger Abschottung gegenüber dem ausländischen Wettbewerb führt, zeigt sich exemplarisch an der Landwirtschaft: rekordhohe Subventionen und Preise für Lebensmittel im Inland. Den Selbstversorgungsgrad zu erhöhen, führt in die Irre. Intelligenter ist es, in die Versorgungssicherheit zu investieren. Sie ist dann am besten gewährleistet, wenn die Bezugsquellen breit diversifiziert und über die Zeit eingespielt sind, beispielsweise durch den Abbau von Handelshemmnissen. Der beschlossene unilaterale Abbau der Importzölle auf Industriegüter durch die Schweiz ist dafür ein erster, wichtiger Schritt.

Handelsrestriktionen verschärfen die Folgen globaler Engpässe. Die Schweiz sollte sich deshalb weiterhin vehement gegen Hürden bei der Ausfuhr und für den Multilateralismus einsetzen. Die Diversifikation auf Beschaffungs- wie Absatzseite stärkt die Resilienz einzelner Unternehmen und der Volkswirtschaft insgesamt. Gerade für essenzielle Güter der Gesundheitsversorgung sollte die Strategie nicht Abschottung und Autarkie, sondern Offenheit heissen. Im globalen oder zumindest europäischen Kontext lassen sich die Herausforderungen besser meistern.

Doch die Zusammenarbeit mit der EU ist einer sich verschärfenden Belastungsprobe ausgesetzt. Die fehlende gegenseitige Anerkennung für Medizintechnik-Produkte führt zu neuen Handelsrestriktionen, teilweise gar zu Rechtsunsicherheit, ob ältere Zertifikate noch anzuerkennen sind. Zusätzlich gewährt die EU der Schweiz keinen Zugang mehr zu Eudamed, der massgebenden Produkte-Datenbank, und die Zusammenarbeit mit der EU-Marktüberwachung wurde aufgehoben. Im Sinne der Patientensicherheit ist die Schweiz gut beraten, die Probleme mit der EU rasch zu lösen.

Gas-Tank in Schlieren. (Patrick Federi, Unsplash)

Pflichtlager müssen optimiert werden

Kurzfristigen Versorgungsengpässen kann am besten mit dem System der Pflichtlager begegnet werden. Der Bund verpflichtet bereits heute private Hersteller und Importeure zur Vorratshaltung. Der Bedarf an Human-Antiinfektiva kann so während fünf bis sechs Monaten gedeckt werden. Für den Fall einer Influenza-Pandemie bestehen Lager an Virostatika, und starke Schmerzmittel werden für einen Dreimonatsbedarf vorrätig gehalten. Auch für ausgewählte Impfstoffe, Hämostatika, Insuline und diverse Medizinprodukte bestehen Pflichtlager im Umfang des Verbrauchs von mehreren Monaten. Sogar an Kunststoff-Vorräte hat man gedacht, um notfalls Arzneiverpackungen selbst herstellen zu können.

Dennoch zeigte uns die Pandemie auf, dass die Bewirtschaftung der Pflichtlager optimiert werden muss. Sie sollte sich auch auf die lebensnotwendigen Güter beschränken. Dazu gehören u.a. Produkte für die Gesundheitsversorgung, essenzielle Lebensmittel und Energieträger. Dass heute Tonnagen an Zucker und Kaffee eingelagert werden, ist vor diesem Hintergrund wenig verständlich. Eine Abschaffung dieser Pflichtlager scheiterte aber kürzlich am parlamentarischen Widerstand – offenbar ist eine nächste Krise mit genügend gezuckertem Kaffee besser erträglich.

Nicht die Betten fehlen, sondern die Fachkräfte

Die anzustrebende Versorgungssicherheit sollte nicht nur auf Güter fokussieren, daran gekoppelte Dienstleistungen sind ebenso wichtig. Dies zeigt sich exemplarisch im Gesundheitswesen. Der anfängliche Mangel an Beatmungsgeräten konnte rasch behoben werden, aber die zu geringe Zahl an Fachkräften bleibt bis heute ein Thema. Was nützen Hunderte von medizintechnischen Geräten, wenn die Pflegenden zur Versorgung der Patienten fehlen? So betrachtet wurde auch die Diskussion um «fehlende Betten» auf den Intensivpflegestationen falsch geführt. Betten gab es genügend, das Fachpersonal fehlte zeitweise, um sie in der erforderlichen Menge und Qualität betreiben zu können.

Die demografische Entwicklung wird das Problem in den nächsten Jahren verschärfen. Neben inländischen Massnahmen im Bereich der Ausbildung ist die Personenfreizügigkeit zwischen der Schweiz und der EU ein Schlüsselelement, um den Mangel zu lindern. Die Schweiz sollte deshalb an ihr festhalten, trotz der politisch in regelmässigen Abständen wiederkehrenden Forderung, sie zu kündigen. Die Zuwanderung ausländischer Fachkräfte stützt gemäss mehreren empirischen Studien die Schweizer Wirtschaft. Mit der EU sollte die Schweiz baldmöglichst auch ein bilaterales Gesundheitsabkommen abschliessen, um die Bekämpfung schwerwiegender grenzüberschreitender Gesundheitsbedrohungen effizienter koordinieren zu können.

Versorgungssicherheit durch eine grössere Diversifizierung sowie Offenheit gegenüber Importen und der Immigration von Fachkräften verstärkt den Wettbewerb im Inland. Dies fordert heraus und ist für viele inländische Akteure unbequem, die es sich hinter dem Grenzschutz bequem eingerichtet haben. Es sollte nicht vergessen werden, dass mehr Offenheit und Wettbewerb nicht nur Kernelemente der Versorgungssicherheit sind, sondern auch eine wichtige Grundlage für den Wohlstand der Schweiz.

Dieser Beitrag ist in der Comparis-Konsumentenstimme 2/2022 erschienen.