Die dank dem Wettbewerb vieler Anbieter entstehende Wahlmöglichkeit und Wahlfreiheit zählt zu den wichtigsten Errungenschaften einer liberalen Ordnung. Das gilt für die Politik, wo die Wahl zwischen mehreren Parteien, Kandidaten und – in der Referendumsdemokratie helvetischen Zuschnitts – Sachvorlagen als elementares Grundrecht verstanden wird. Es gilt im gesellschaftlichen Bereich, etwa bei der Wahl des Berufs oder des Ehepartners. Und es gilt für die Wirtschaft, wo in den kapitalistischen Ländern eine kaum überblickbare Auswahl von Gütern und Dienstleistungen längst zur Norm geworden ist. Dass eine solche Auswahl keine Selbstverständlichkeit ist, weiss, wer jemals das povere Konsumangebot in zentral geplanten und gelenkten Volkswirtschaften erlebt hat.

Menschengerechter Wettbewerb

Der wirtschaftliche Wettbewerb, ohne den es Wahlfreiheit nicht gäbe, hat viele Vorteile. Er bringt Effizienz und Wohlstand, und er ist ein grossartiges Entdeckungsverfahren. Wettbewerb und technischer Fortschritt gehören zusammen. Doch viel wesentlicher sind zwei andere, gewissermassen anthropologische Aspekte von Wahlfreiheit und Wettbewerb.

Zum einen ist die Möglichkeit, wählen zu können, Ausdruck der Freiheit des Menschen. Eine Gesellschaft, die es schafft, eine grosse Auswahl bereitzustellen, entspricht insofern der freiheitlichen Natur des Menschen. Einheitsbrei ist nicht freiheitlich. Allerdings ist zuzugeben, dass das «wählen-können» bzw. «sich-entscheiden-müssen» viele Menschen anstrengt und überfordert. Nur schon sich bewusst werden, was man wirklich will, ist oft schwierig. Die alte Einsicht «Wer die Wahl hat, hat die Qual» kommt daher nicht von ungefähr. Doch die möglichen Alternativen – entweder gar keine Auswahl oder eine Behörde, die dann aus dieser Auswahl das «Richtige» wählt – machen rasch klar, dass die Qual der Wahl die am wenigsten schlechte Lösung ist.

Zum anderen sind die Menschen in allem so verschieden, in ihren Fähigkeiten, Interessen, Werten, Gefühlen und Bedürfnissen, dass Einheitslösungen bestenfalls einer kleinen Minderheit, im Normalfall aber gar niemandem gerecht werden. «One size fits all» funktioniert nicht nur bei Schuhen oder Kleidern nicht, sondern eigentlich beim gesamten Waren- und Dienstleistungsangebot.

Keine Gratismahlzeit

Allerdings gilt es einige Missverständnisse, die sich um die Wahlfreiheit ranken, zu klären. Wahlfreiheit bedeutet nicht «Gratismahlzeit», bedeutet nicht, dass man alles, was man gerne haben möchte, billig oder verbilligt bekommt. In einer knappen Welt schliessen sich Wahlfreiheit und Verzicht nicht gegenseitig aus. Wann immer man sich für etwas entscheidet, verzichtet man auf anderes. Und was von vielen nachgefragt wird, aber nicht im Überfluss vorhanden ist, wird teuer. Hohe Preise schränken also zwar wohl die Möglichkeit des einzelnen Individuums ein, ein bestimmtes Produkt zu erwerben – es muss sich nach der Decke strecken –, aber nicht die Wahlfreiheit als solche. Im Gegenteil: veritable Wahlfreiheit herrscht nur dort, wo Kostenwahrheit gilt.

Wahlfreiheit kann in der realen Welt auch nicht heissen, dass jedes Produkt und jede Dienstleistung massgeschneidert ist. Wettbewerb und Markt führen lediglich zu verschiedensten Angeboten, von denen jedes meist doch eine ganze Gruppe von Menschen bedient. Aber im Gegensatz zum politischen Prozess, wo der demokratische Entscheid schliesslich zu einem Gesetz führt, das dann für alle gilt, auch für jene, die es in der Abstimmung abgelehnt haben, erlaubt der Markt das Nebeneinander unterschiedlichster Angebote und somit die Befriedigung der verschiedensten Bedürfnisse.

Bedürfnisgerechtigkeit

Angesichts der grossen Vorteile von Wahlfreiheit und Wettbewerb ist es eigentlich erstaunlich, in wie vielen Bereichen wir es zulassen, dass die Menschen keine oder nur eine sehr beschränkte Wahlmöglichkeit haben. Das Argument, dass es aus sachlichen (z.B. technischen) Gründen einen einzigen Anbieter brauche, musste oft dafür herhalten, dass das Angebot eingeschränkt blieb. So taten wir uns schwer mit der Öffnung des Telekommunikationsmarktes, und bei den klassischen elektronischen Medien haben wir inzwischen zwar eine grössere Vielfalt zugelassen, erheben aber für das para-staatliche Unternehmen SRF eine Zwangsgebühr, in Zukunft sogar völlig unabhängig davon, ob wir die Leistungen überhaupt konsumieren oder nicht.

Noch unverständlicher – und gravierender – ist die Einschränkung der Wahlfreiheit in Bereichen, in denen es kaum «technische» Gründe dafür gibt und die zudem besonders bedeutsam sind. Wenn Wahlfreiheit eine gute und menschengerechte Sache ist, warum gewähren wir sie dann bei Käsesorten, Biermarken oder Autos, verhindern sie aber in so zentralen Bereichen wie Schulen und Pensionskassen? Im einen Fall vergibt man sich mit der Wahl des Wohnortes die Möglichkeit, seine Kinder in eine Schule eigener Wahl zu schicken – sieht man von Privatschulen ab. In der zweiten Säule gibt es ebenfalls fast keine Wahlfreiheit, obwohl sich diese und die Versicherungspflicht in keiner Weise ausschliessen.

Natürlich gibt es dafür, wie für alles, «gute» Gründe, aber sie sind nicht gut genug. Den Schutz der Konsumenten stellt man ja auch bei Nahrungsmitteln oder technischen Gütern sicher, und die Sicherung von Mindeststandards muss schliesslich nicht bedeuten, dass man nicht über diese Schwelle hinausgehen kann. Auch das Argument, dass man nur dann eine verantwortliche und kompetente Auswahl treffen könne, wenn man volle Information besitze, gilt in anderen Bereichen nicht weniger als bei der Bildung und den Sozialversicherungen. All das kann man anders lösen als durch Zwangsbeglückung, staatliche Monopolangebote und jegliche Wahl verhindernde Regulierungen. Dann bekäme man auch in diesen Bereichen das, was Wettbewerb und Wahlfreiheit immer begleitet: Innovation und Bedürfnisgerechtigkeit.

Dieser Artikel erschien am 30. August 2013 in der «Basler Zeitung».