Der Klimawandel ist nicht heisse Luft. Eine Mehrheit der Klimaexperten rechnet bis 2100 u. a. mit einer Zunahme der Temperaturen und einem erhöhten Risiko extremer Wetterereignisse. Auch in der Schweiz wird der Klimawandel Verhaltensanpassungen erforderlich machen. Statt den Konsum zu reduzieren, wie es der Suffizienzpfad vorsieht, sollte er mit der Korrektur der ökonomischen und rechtlichen Rahmenbedingungen in die erwünschte Richtung gelenkt werden.

Die Stadtzürcher haben im Jahr 2008 zwar mit grossem Mehr dem Ziel einer 2000-Watt-Gesellschaft zugestimmt. Doch jenseits der Absichtserklärungen haben es die konkreten Umsetzungspläne in unserer Gesellschaft schwer, wie die Ablehnung verbindlicherer Energievorlagen in den Kantonen Bern, Neuchâtel und Fribourg durch das Stimmvolk zeigt. Die Befürworter einer radikalen Wende hat das nicht entmutigt.

So werden neuerdings auch von der Verwaltung der Stadt Zürich Grundlagen zum Thema Suffizienz erarbeitet (1). Im Suffizienz-Weltbild sind die Grenzen des Wachstums bereits erreicht, gefragt ist ein «massvollerer Verbrauch», eine kluge Beschränkung der Ziele (2). Nicht selten ist auch von Abstinenz die Rede oder wird materieller Wohlstand generell negativ gewertet.

In der Schweiz findet sich der Suffizienzgedanke u. a. in städtebaulichen Visionen, die eine Einschränkung des Energie-, Ressourcen- und Flächenkonsums bewirken sollten. Zwar ist der Wohnraumkonsum hierzulande im Vergleich mit den anderen 33 OECD-Ländern nicht auffällig hoch: Mit durchschnittlich 1.8 Zimmern pro Einwohner rangiert die Schweiz an vierzehnter Stelle (3). Doch dies ist für die Ziele der Suffizienz-Visionen zu viel. In der oben erwähnten Studie der Stadt Zürich werden Szenarien mit einer Reduktion von 30% der Wohnfläche pro Person durchgespielt.

Der Energieverbrauch wird grüner, die Wertschöpfung weniger energielastig

Die Reduktion der Wohnfläche kostet auch

Eine solche Genügsamkeit würde den Energieverbrauch durchaus senken. Allerdings wäre sie auch mit hohen Wohlstandsverlusten verbunden, die in der Studie kaum erwähnt werden. Dabei weisen gerade die hohen Mieten darauf hin, dass urbaner Wohnraum den Bewohnern viel wert ist. Für sie ist der Wohnflächenverzicht deshalb nicht gratis. Er verursacht sogenannte Opportunitätskosten – entgangener Nutzen, den die Bewohner aus den grösseren Wohnungen ziehen könnten. Opportunitätskosten sind nicht leicht zu erkennen, aber dennoch real.

In Zürich liegt die Zahlungsbereitschaft für einen zusätzlichen Quadratmeter Wohnraum mittlerweile deutlich über 300 Franken pro Jahr. Eine Reduktion des Wohnflächenverbrauchs um lediglich 10% pro Haushalt (also um durchschnittlich 6 m2) würde jährlich wiederkehrende Opportunitätskosten von mindestens 125 Millionen Franken auslösen.

Indessen suggerieren die Suffizienz-Befürworter, dass ein solcher Verzicht ohne jegliche Einbussen für die Lebensqualität der Stadtbewohner zu erreichen wäre. Es wird auf genossenschaftliche Vorzeigeprojekte hingewiesen, deren Bewohner sich enthusiastisch der Suffizienz verpflichten. Allerdings verdanken solche Projekte ihren Erfolg vor allem den tiefen Mieten, die unter anderem durch die Abgabe von vergünstigten Baurechten ermöglicht werden – und somit letztlich von den übrigen Steuerzahlern getragen werden.

Schliesslich wird die Wirkung der Preise als Anreizmechanismus vollkommen ignoriert. Die hohen Mieten und Bodenpreise verleiten nämlich bereits dazu, den Wohnraumkonsum einzuschränken und mit der knappen Ressource Boden schonend umzugehen. So mutet die Behauptung, dass ausgerechnet im teuren Zürich auf dem privaten Wohnungsmarkt die «Anreize für eine Flächenbeschränkung weitgehend fehlen würden», geradezu widersinnig an (4).

Zuerst Marktverzerrungen abbauen, dann besteuern

Aus unserer Kritik der Suffizienz folgt nicht, dass Staat und Städte in Klimafragen gar keine Rolle zu spielen hätten. Die öffentliche Hand soll durchaus lenken – nicht aber zu weniger, sondern zu besserem Konsum. Allerdings muss das Augenmerk zuerst auf der Korrektur jener Verhaltensmuster liegen, die selber unbeabsichtigte Folgen gut gemeinter Politiken sind. So sind der flächendeckende Ausbau des Nationalstrassennetzes und der stark subventionierte öffentliche Verkehr (ÖV) wichtige Treiber der Zersiedlung. Die disperse Siedlungsentwicklung führt zu längeren Pendlerdistanzen und wachsender Mobilitätsnachfrage. Dies wiederum schafft peripheren Gemeinden und Kantonen einen Anreiz, sich politisch für zusätzliche Infrastrukturinvestitionen zu engagieren – ohne Rücksicht auf die Kosten für die Umwelt.

Beim öffentlichen Verkehr fördert nicht nur die Höhe der Tarifierung, sondern auch deren Struktur die Verschwendung. So reduziert das GA die Kosten einer zusätzlichen Fahrt auf Null. Die Abschaffung der steuerlichen Abzugsfähigkeit der Pendlerkosten würde ebenfalls mehr Pendler dazu bringen, ihren Wohnort in die Nähe des Arbeitsorts zu verlegen, und die Verdichtung der urbanen Zentren beschleunigen.

Wie gross wären aber diese Effekte? Die Ölschocks der 1970er-Jahre liefern nützliche Hinweise auf die wahrscheinliche Reaktion der Haushalte auf höhere Energiepreise. Stadtökonomen sind sich darin einig, dass die damalige Fast-Verdreifachung der Benzinpreise nur wenige Haushalte dazu brachte, in Zentrumsnähe umzusiedeln. In vielen Agglomerationen waren die 1970er-Jahre sogar durch eine regelrechte Flucht aus dem Zentrum in die Peripherie gekennzeichnet.

Sollten die oben genannten Anreize also nicht reichen, könnte auch eine umfassende Energiesteuer (die u. a. die Treibstoffe belastet) eine effiziente Massnahme darstellen. Eine Lenkungsabgabe zwingt die Umweltverschmutzer, für die Kosten ihrer Handlungen geradezustehen. Im Gegensatz zur angeordneten Abstinenz werden allerdings auch die Anpassungskosten berücksichtigt: Wer in der Lage ist, sich leicht den neuen Gegebenheiten anzupassen, wird es eher tun.

Es gibt grünes Wachstum

Der Fokus auf Verzicht und Abstinenz ist letztlich sogar aus umweltpolitischer Sicht kontraproduktiv, weil er den positiven Beitrag des Wirtschaftswachstums zur Milderung der Konsequenzen des Klimawandels übersieht. Dank dem technischen Fortschritt haben sich in unserem Land Wertschöpfung und Energiekonsum schon längst entkoppelt. So liegt der Wert der in der Schweiz produzierten Güter und Dienstleistungen gut ein Drittel höher als vor 25 Jahren, dennoch haben die CO2-Emissionen nicht zugenommen (Abb. 1).

Die Bautätigkeit ist in prosperierenden, wachsenden Städten in der Regel höher als in schrumpfenden, wo Immobilienbesitzer kaum einen Anreiz haben, in energieeffiziente Neubauten zu investieren. Oft findet mit dem Neubau gleichzeitig eine bauliche Verdichtung statt. Eine Studie für den Kanton Zürich zeigt, dass der Einfluss der Dichte auf die relevanten Klimakennzahlen sogar wichtiger als die Qualität des Gebäudebestands sein kann (5). Allein die Verdichtung aller Siedlungsflächen im Kanton auf das vergleichsweise tiefe Niveau der Stadt Winterthur würde – ohne energetische Sanierung der Gebäude – die CO2- Emissionen um gut 20% reduzieren. Eine Reform all jener Baugesetze und -vorschriften, die der Verdichtung im Weg stehen (wie bereits 2007 von Avenir Suisse in der Publikation «Städtische Dichte» (6) gefordert), wäre demnach sinnvoller als eine plumpe Beschränkung der Pro-Kopf-Wohnfläche.

Wer globalen, umweltpolitischen Herausforderungen mit Konsumenthaltung und Suffizienz begegnen will, hat ein pessimistisches Bild der Gesellschaft und unterschätzt den Einfluss des technischen Fortschritts und des materiellen Wohlstands auf unsere Lebensqualität. Dass Letztere in den vergangenen Jahren zugenommen hat, zeigen nicht zuletzt die gestiegenen Immobilienpreise und die rege Zuwanderung in die Zentren. Zur Lösung der Klimafrage wird die Einschränkung des Innovationspotenzials unserer urbanen, liberalen Gesellschaften nicht beitragen.

Anmerkungen:

1 Amt für Hochbauten der Stadt Zürich: Grundlagen zu einem Suffizienzpfad Energie. Zürich 2012

2 Peter Hennicke: Ressourcen und Klimaschutz: Ökologischer Imperativ und ökonomischer Megatrend? Wuppertal 2010

3 OECD: Better Life Index. Paris, 2013. www.oecdbetterlifeindex. org/topics/housing/

4 K. Pfäffli, A. Aumann, H. Gugerli: Suffizienzpfad Energie. TEC21 17/2013

5 Andika Willyanto: Was macht eine Gemeinde energieeffizient? Universität Zürich, 2012

6 V. M. Lampugnani, Th. Keller, K. Thomas, B. Buser (Hrsg.): Städtische Dichte. Avenir Suisse, Zürich 2007

Dieser Artikel erschien im Dossier 06/2013 von «TEC21/Tracés» 
unter dem Titel «Warum der Suffizienzpfad auf den Holzweg führt».