Diskussionen um den Finanzausgleich, egal ob zwischen den Kantonen (NFA) oder zwischen den Gemeinden (kantonale Finanzausgleichssysteme), werden oft sehr emotional geführt. Das ist eigentlich erstaunlich, denn der Finanzausgleich ist an sich ein sehr technisches Thema. Doch wo immer es um Umverteilung geht, lassen Diskussionen um «zu viel» oder «zu wenig», um «fair» oder «unfair» nicht lange auf sich warten. Aber wozu überhaupt ein Finanzausgleich? Und nach welchen Kriterien soll er ausgestaltet sein?

Lenzerheide-Valbella / Bild: Wikimedia Commons

Der Finanzausgleich dient den in der Bundesverfassung definierten Zielen der dezentralen Besiedlung und der sozialen Durchmischung. (Lenzerheide/Valbella, Wikimedia Commons)

Ein Beitrag zum Zusammenhalt

Sowohl aus einer Gerechtigkeitsperspektive, als auch, um die richtigen Anreize zu setzen, scheint folgendes Prinzip angemessen: Der Finanzausgleich soll die Folgen jener Nachteile- bzw. Vorteile (zu weiten Teilen) ausgleichen, die eine Gebietskörperschaft kaum selber beeinflussen kann.

Aus Effizienzüberlegungen kommt man allerdings zu einem anderen Schluss: Warum sollte man mit dem Bau teurer Autobahnen oder guter Anbindungen im öffentlichen Verkehr Entwicklungsachsen definieren, dann aber den Transfertrichter über jenen Regionen mit geringem Entwicklungspotenzial auszuschütten, damit sich die geografische Bevölkerungsverteilung ja nicht allzu schnell an die neuen Gegebenheiten anpasst? Das erscheint widersinnig. Dieser Einwand gilt nicht nur für den Ressourcenausgleich, sondern auch für den Ausgleich geografisch-topografischer Sonderlasten. Diese mögen zwar aus Sicht der betroffenen Gemeinde oder des betroffenen Kantons nicht zu verhindern sein, aus übergeordneter Sicht sind sie es durchaus, denn auf hohe Infrastrukturkosten wegen ungünstiger Topografie kann mit Abwanderung reagiert werden. Die Last liesse sich gesamthaft also vermeiden. Etwas anders sieht es beim Ausgleich soziodemografischer Sonderlasten aus. Da diese nicht an den Ort, sondern an die Menschen gebunden sind, können sie nicht gesamthaft vermieden werden. Der Wegzug eines (wortwörtlich) «ungünstigen» Einwohners aus einer Gemeinde führt zu einem «ungünstigen» Einwohner mehr in einer anderen. Der (partielle) Ausgleich von soziodemografischen Sonderlasten ist deshalb auch unter blossen Effizienzkriterien gerechtfertigt.

Einen Finanzausgleich nur nach Effizienzkriterien zu beurteilen, greift allerdings deutlich zu kurz. Er ist in erster Linie als Solidaritätsbeitrag zum Zusammenhalt und der Stabilität der heterogenen Schweiz zu verstehen und dient dem in der Bundesverfassung verankerten Ziel der dezentralen Besiedlung, aber auch der sozialen Durchmischung. Ohne den Einsatz ausgleichender Instrumente sähe die Schweiz anders aus. Abgelegene Täler oder sonstige Regionen mit ungünstigen Voraussetzungen würden sich schnell (bzw. noch schneller als ohnehin schon) entvölkern, an privilegierten Lagen würden (noch ausgeprägter als heute) Hotspots mit sehr tiefen Steuerfüssen und dafür umso höheren Immobilienpreisen entstehen.

Letztlich führt also kein Weg daran vorbei, den Lasten- und Ressourcenausgleich als Preis für eine ineffiziente, aber politisch vielerorts so gewünschte Siedlungsstruktur zu sehen. Wie hoch dieser Preis sein soll, ist empirisch nicht zu ermitteln, sondern bleibt einem Werturteil überlassen. Der politische Prozess bei der Überarbeitung solcher Finanzausgleichssysteme lässt allerdings vermuten, dass in vielen Kantonen das wünschenswerte Mass an Umverteilung erreicht oder überschritten ist:

Politisch bedingte Umverteilung

In fast allen Kantonen waren die Finanzausgleichsrevisionen jeweils mit einer Zunahme der Ausgleichszahlungen verbunden, und zwar unabhängig von ihrem jeweils vorherigen Level. Der Grund: Reformen, von denen eine Mehrheit der Gemeinden profitiert, sind politisch relativ einfach durchsetzbar, Reformen, die eine Mehrheit der Gemeinden schlechter stellt, scheitern meist schon in der Vernehmlassung. In allen Systemen, die nicht auf rein horizontalen Transfers (also Transfers von Gemeinden zu Gemeinden) basieren, sind die Empfängergemeinden, die entsprechend an einer Ausdehnung der Transferzahlungen interessiert sind, in der Übermacht. Aufgrund der asymmetrischen Steuerkraftverteilung (viele Gemeinden mit eher bescheidener Steuerkraft, einige wenige mit stark überdurchschnittlicher Steuerkraft) sind die Gebergemeinden sogar bei einem vollständig horizontal finanzierten System (was einzig im Kanton Neuenburg umgesetzt ist) zumindest zahlenmässig unterlegen.

So kommt es, dass viele Kantone in den letzten Jahren ihren Finanzausgleich zwar in Bezug auf die Anreizwirkungen und die Transparenz deutlich verbessert haben, dabei aber Kompromisse eingegangen sind, um den politischen Erfolg dieser komplizierten Reformen wahrscheinlicher zu machen.

Zwei Beispiele zeigen diese Problematik symptomatisch auf:

  • Die Regierung des Kantons Luzern schlug im Rahmen der jüngsten Teilrevision des Finanzausgleichs eine Senkung des topografischen Lastenausgleichs vor, weil sie der Ansicht war, topografische Kriterien würden im Gesamtsystem zu stark gewichtet. Da sich abzeichnete, dass eine solche Senkung politisch nicht mehrheitsfähig sein würde, erhöhte man stattdessen die Dotierung des Soziallastenausgleichs um 50%, um die Gewichte in die gewünschte Richtung zu verschieben.
  • Die Regierung das Kantons Uri hatte bei der Totalrevision ihres Finanzausgleichs im Jahr 2008 einen Passus eingeführt, der einwohnerschwachen Gemeinden gewisse zusätzliche Transfers garantiert. Damals war das sozusagen als Kompromisslösung gemeint, um die wichtige Vorlage nicht zu gefährden. Man ging davon aus, dass man dieses artfremde Element spätestens 2012 aus dem Gesetz streichen könnte. Bis heute wurden aber sämtliche dahingehenden Versuche vom Parlament abgeschmettert, und dies obwohl der Kanton neuerdings gleichzeitig Gemeindezusammenschlüsse mit Fusionspauschalen fördert und damit Geld für die Strukturerhaltung als auch für die Strukturveränderung einsetzt.