Die Einführung eines allgemeinen Bürgerdiensts könnte auf unterschiedlichste Bereiche der Schweizer Volkswirtschaft nicht zu unterschätzende Auswirkungen haben. So scheint es aus gesellschaftlicher Sicht plausibel, dass er die soziale Kohäsion positiv beeinflussen würde oder die budgetären Kosten der Alterspflege zu senken vermögen würde. Aus ökonomischer Perspektive steht hauptsächlich die Frage der Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt im Fokus.
Die Tücken der Professionalisierung
Dass die Einführung eines Bürgerdienstes zu gewissen Verdrängungseffekten führen kann, liegt auf der Hand. Wie sich ein allgemeiner Bürgerdienst allerdings konkret auf dem Arbeitsmarkt niederschlagen würde, ist unklar und womöglich in den Teilarbeitsmärkten unterschiedlich. Insbesondere in Bereichen, in denen – unter den herrschenden Lohnverhältnissen – ein Unterangebot an Fachkräften herrscht, etwa in der Alten- und Krankenpflege, wäre es sogar wünschenswert, wenn gewisse Tätigkeiten von Bürgerdienstleistenden übernommen würden.
Grundsätzlich sollte auch berücksichtigt werden, dass die Professionalisierung bestimmter Tätigkeiten ein Phänomen darstellt, das sich erst in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat. Viele Tätigkeiten hatten zuvor keinen Marktpreis, sondern wurden im Familienkreis oder der Nachbarschaft informell organisiert und beruhten letztlich auf Freiwilligkeit. Beispiele dafür sind die Pflege älterer Menschen und die Kinderbetreuung. Gerade aus gleichstellungspolitischer Optik ist dies eine positive Entwicklung.
Inwiefern die Professionalisierung solcher Tätigkeiten aber generell erstrebenswert ist, ist eine fortlaufende Debatte, die sich auf eine Frage zuspitzt: Bedroht ein ausgebautes Milizsystem in Form eines allgemeinen Bürgerdiensts den Arbeitsmarkt, oder bedroht nicht viel mehr der Arbeitsmarkt bzw. dessen Professionalisierung in informellen Bereichen das Milizsystem? Ein allgemeiner Bürgerdienst würde in erster Linie dazu führen, dass gewisse Dienstleistungen wieder nach dem Milizgedanken organisiert würden.
Der Bürgerdienst: Ein neuer Gleichgewichtsmotor
Doch wie würden die betroffenen Teilarbeitsmärkte auf die Einführung eines Bürgerdiensts reagieren? Der Blick auf den heutigen Zivildienst erlaubt einige Rückschlüsse. In der Schweiz sind heute drei Viertel aller Zivildienstleistenden im Bereich des Gesundheits- und Sozialwesens tätig. 2017 wurden im Zivildienst 1,8 Mio. Diensttage von rund 20‘000 Personen geleistet, davon entfielen 1,35 Mio. Diensttage auf das Gesundheits- und Sozialwesen. Eine ökonometrische Schätzung des Zusammenhangs zwischen Arbeitslosigkeit und dem Total der geleisteten Diensttage im Sozial- und Gesundheitswesen – unter Berücksichtigung der Pro-Kopf-Einkommen, des Bevölkerungsanteils von 65-Jährigen und älteren sowie der Lohnentwicklung als Nachfragefaktoren für Gesundheitsleistungen – weist darauf hin, dass es keinen signifikanten Einfluss der geleisteten Diensttage auf die Arbeitslosenquote im Schweizer Gesundheitsbereich gibt. Der geschätzte Regressionskoeffizient fällt sogar negativ aus – mehr Diensttage, tiefere Arbeitslosenquote – bleibt jedoch insignifikant. Dies ist kein Beleg für eine absolute Arbeitsmarktneutralität, aber zeigt auf, dass keine systematische Verzerrung der Arbeitslosenquote besteht.
Das Gesundheits- und Sozialwesen ist allerdings ein Spezialfall: In diesem Bereich besteht unter den herrschenden Lohnverhältnissen ein Fachkräftemangel und somit ein Unterangebot an Arbeitskräften. Bei einer Zunahme der geleisteten Zivildiensttage würde dieser Teilarbeitsmarkt wieder näher an sein Gleichgewicht herangeführt. Bis im Jahr 2030 wird eine Zusatznachfrage von 65‘000 Beschäftigten im Pflegebereich (Spitäler, Alters- und Pflegeheime sowie Spitex) erwartet. Diese Stellen kann man mit zugewanderten Arbeitskräften besetzen. In diesem Fall ist man auf einen durchschnittlichen, jährlichen Wanderungssaldo von rund 4000 Beschäftigten angewiesen, und dies lediglich im Pflegebereich. Alternativ könnte die Einführung eines allgemeinen Bürgerdiensts den Nachfrageüberschuss zumindest teilweise bewältigen.
Eine Studie über den österreichischen Zivildienst bestätigt die hohe Asymmetrie zwischen den Teilarbeitsmärkten: Insbesondere in der Pflege von älteren Personen oder Personen mit Behinderung sowie im Krankentransport und den Rettungssanitätern bestünde ohne Zivildienst ein Unterangebot an Arbeitskräften, das auf 2750 Vollzeitäquivalente geschätzt wird. Aus gesamtwirtschaftlicher Optik zeigt sich allerdings ein anderes Bild: Insgesamt wurden 4600 Personen aufgrund des Zivildiensts in Österreich vom Arbeitsmarkt verdrängt.
Verdreifachung der Diensttage
Es ist gut möglich, dass der heutige Zivildienst zu wenig bedeutend ist, um den Arbeitsmarkt in einem relevanten Ausmass zu beeinträchtigen. Der Anteil Zivildienstleistender ist – gemessen an den 5 Millionen Erwerbstätigen – mit 0,4% eher tief. Die Einführung eines allgemeinen Bürgerdienstes würde eine Erhöhung der Anzahl Diensttage mit sich bringen. Geht man davon aus, dass im allgemeinen Bürgerdienst die gesamte ständige Wohnbevölkerung zwischen 20 und 70 Jahren pro Kopf je 200 Diensttage leisten würde, kommt man auf eine jährliche Anzahl geleisteter Diensttage von rund 22 Millionen. Im Vergleich zu den heute geleisteten Dienstagen – die etwas mehr als 8 Millionen betragen – würde sich das Volumen also fast verdreifachen.
Die zusätzlichen Diensttage würden mit hoher Wahrscheinlichkeit mehrheitlich im zivildienstlichen und gemeinnützigen Bereich anfallen. Zudem würden sie zu einem überdurchschnittlichen Anteil durch Frauen aufgenommen werden. Es kann davon ausgegangen werden, dass weibliche Personen eine gemeinnützige Tätigkeit einer militärischen vorziehen. Auch Ausländer würden sich in Pflege und Betreuung engagieren, da der Militärdienst für sie ausgeschlossen ist. Deshalb würde sich die Summe der Diensttage im Zivildienst im Vergleich zum Status quo – isoliert betrachtet (also ohne Berücksichtigung der militärischen Diensttage) – deutlich mehr als verdreifachen.
Fachkräftemangel entschärft Verdrängung
Im heutigen System der Wehrpflicht konzentriert sich die Diskussion der Arbeitsmarktneutralität hauptsächlich auf zwei Fragen: Entsteht für die Dienstleistenden ein Nachteil auf dem Arbeitsmarkt und führt die zunehmende Anzahl geleisteter Zivildiensttage zu einer Verdrängung von Arbeitskräften? Bei einer Verallgemeinerung der Wehrpflicht zu einem allgemeinen Bürgerdienst würde der erste Punkt – der Nachteil der Dienstleistenden – inexistent, weil alle mit gleichen Bedingungen konfrontiert wären.
Es rückt vielmehr die Frage in den Vordergrund, was die voraussichtliche Verdreifachung der geleisteten Diensttage für die potenzielle Verdrängung von Arbeitskräften bedeuten würde. Aus ökonomischer Perspektive käme es in gewissen Teilarbeitsmärkten wie dem Gesundheitssektor zu einer Ausdehnung des Arbeitsangebots. Da aber gerade dieser Bereich einen erhöhten Bedarf an Arbeitskräften hat, verfängt das Argument eines intensivierten Kampfs um Arbeitsplätze – und einer entsprechenden Erhöhung der Arbeitslosenquote – nicht. Die Ausdehnung des Arbeitsangebots im Gesundheitssektor kann aber gleichzeitig auch ein schrumpfendes Arbeitsangebots in denjenigen Sektoren zur Folge haben, in denen die Dienstleistenden normalerweise ihrer Arbeit nachgehen. Somit würde der allgemeine Bürgerdienst den Fachkräftemangel in gewissen Branchen entschärfen, dafür in anderen verschärfen.
Möglicher Ausweg
Wenn der allgemeine Bürgerdienst tatsächlich eine Verdrängung auf dem Arbeitsmarkt verursachen würde, wäre ein möglicher Ausweg die klare Trennung zwischen einem formellen und einem informellen Sektor. So würden Bürgerdienstler im Rahmen des informellen Sektors niederschwelligen Tätigkeiten wie z.B. der Betreuung von Älteren und Hochbetagten nachgehen, die medizinische Pflege im engeren Sinne hingegen würde dem formellen Sektor überlassen.
Dieser Beitrag ist Teil der Publikationsreihe «Miliz heute».