Wann, wenn nicht an Weihnachten, ist es Zeit zur selbstkritischen Einkehr und zur Reflexion? Haben wir nicht im vergangenen Jahr den Planeten gemartert? Und haben wir vielleicht Menschen, die einer Minderheit angehören, Unrecht getan?

Ausgerechnet in der Zeit der Versöhnung werden wir zurückgeworfen auf grundsätzlichste Fragen – etwa wenn es darum geht, einen Tannenbaum zu kaufen und zu schmücken: Zerstöre ich die Zukunft ausgerechnet jener Kinder, die sich ahnungslos vor dem dänischen Jungbaum versammeln, wenn die Tanne nicht biozertifiziert aus der Region stammt? Wäre nicht ohnehin der Verzicht auf einen Baum besser für den Planeten? Oder drängt sich eine wiederverwendbare Plastiktanne aus China auf? Wenn da nur nicht die Bilder von Plastikmüll im Meer und unmenschlichen Arbeitsbedingungen in Asien im Kopf wären. Ignoranz als Ausrede zählt nicht mehr.

Man kann die Wahl des richtigen Christbaumes natürlich auch dem Staat überlassen, wie die Stadt Luzern dies beispielhaft vorlebt. Am Christbaummarkt an der Seepromenade sind nur noch einheimische Gewächse erlaubt, ausländische Tannen werden aus der Stadt verbannt, im Zweifelsfall entscheidet ein DNA-Test über die Herkunft des Gewächses. Fehlbare Händler werden sanktioniert.

Ökologische Weihnachtsbäumchen. (Sincerely Media, Unsplash)

Auch in Sachen Weihnachtsbeleuchtung regt sich das Gewissen, denn Stromsparen ist angesagt. So sollen im Dezember 2% des Stromverbrauchs auf blinkende Lichterketten und leuchtende Rentiere zurückzuführen sein. Dies entspricht dem Stromverbrauch von 25’000 Haushalten in der Schweiz. Erschreckenden 0,6% Prozent! Wenn man bedenkt, dass die eigene Weihnachtsbeleuchtung möglicherweise mit dreckigem Import-Kohlestrom betrieben wird, da sich die Schweiz im Winterhalbjahr gerne ans deutsche Netz hängt, ist vorsichtshalber auf jegliche Beleuchtung zu verzichten.

Es stellen sich aber nicht nur Umweltfragen, sondern auch der interkulturelle Umgang mit dem «Konzept Weihnachten» will politisch korrekt geklärt sein. Als Vorbild soll die Landesregierung dienen. So verzichtete der Bundesrat letztes Jahr in seinen Grusskarten auf die Nennung des religiösen Feiertages. Ob es dieses Jahr auch so ist, wird sich herausstellen, der Autor steht bislang nicht auf der Empfängerliste bundesrätlicher Wünsche. Sachdienliche Hinweise werden gerne entgegengenommen.

Den Bundesrat in Sachen Korrektheit übertreffen wollte diesmal (wieder) eine Schule. Es ist fast schon Tradition, dass irgendein Bildungsinstitut irgendwo in der Schweiz ihr adventliches Gesangbuch durchstöbert und darüber ins Grübeln gerät. Dieses Jahr traf es Wil SG: Die Schule verbannte kurzum einzelne Weihnachtslieder von der gesanglichen Playlist.

Derlei Skrupel plagen auch unsere europäischen Nachbarn. «Darf man in der heutigen Zeit noch…?» führt zu Ermahnungen und Eingriffen zum Wohle des ganzen Erdballs: Es wird diskutiert, ob nicht der Weihnachtsstern – die Pflanze, nicht der Stern von Bethlehem – verboten werden soll. Denn erstens ist das Gewächs giftig und für Kleinkinder ohnehin eine Gefahr, zweitens kommen viele der Pflanzen aus Uganda, wo sie unter arbeits- und umweltrechtlich bedenklichen Umständen in riesigen Farmen – vermutlich auch noch in Käfigen – gezüchtet werden.

Aller Voraussicht nach wird es im neuen Jahr mitnichten einfacher. Die Schwierigkeiten beginnen bereits in der Silvesternacht: So prüfte die Stadt Lindau am Bodensee ein Verbot des Silvesterfeuerwerks am Hafen. Die deutsche Umwelthilfe fordert bereits seit langem ein Verzicht auf die unsinnige «Schwarzpulver-Böllerei». Und in Genf tritt anfangs 2020 ein Verbot von Einweg-Plastikverpackungen bei Events auf öffentlichem Grund in Kraft.

Etwas weiter weg – wir reisen vorsichtshalber nur in Gedanken und nicht mit dem Flieger hin – werden ab Januar in Palau bestimmte Sonnencrèmes verboten, da sie Stoffe ins Meer abgeben, die das Ökosystem schädigen.

Es fragt sich, ob wir die Bürgerinnen und Bürger nicht aus den diversen moralischen Zwangslagen befreien wollen, indem wir zum Beispiel Weihnachten abschaffen – zur ökologischen Rettung des Seelenheils aller und der Umwelt im Besonderen. Es wäre nicht zum ersten Mal: So verboten die Puritaner 1647 das Feiern von Weihnachten in England – im Vordergrund stand der Vorwurf, es handle sich um ein heidnisches Fest. Der Erfolg war mässig, die Bevölkerung feierte einfach heimlich.

Wo ist also anzusetzen? Vielleicht bei den Kindern, den Umweltzerstörern von morgen? Es tut gut zu wissen, dass wenigstens unsere Nachbarn hier aktiv sind: So verbietet eine britische Grundschule ihren Schülern, sich gegenseitig Weihnachtskarten zu senden – der Natur zuliebe. Und das Ponyreiten am Weihnachtsmarkt fällt für die Kleinen auch aus – Aktivisten in Deutschland protestieren gegen die tierverachtenden Pony-Karusselle.

Dass im Ausland mehr gemacht wird als in der zögerlichen Schweiz, illustriert auch die folgende Meldung: Nach den Plastiksäckchen (Umwelt! Erstickungsgefahr für Kinder!) geht es nun auch den Luftballons ans Ventil: Knapp ein Fünftel aller niederländischen Gemeinden verbieten das Steigenlassen – Plastik in der Umwelt ist so was von 2018!

Schliesslich ist Weihnachten auch pädagogisch bedenklich: Denn mit Geschenken wird der materialistische Konsummensch von morgen produziert, der den Planeten zugrunde richtet – man muss innerlich nur die rauchenden Schlote von Spielzeugfabriken in Asien abrufen, um in die richtige Stimmung zu kommen. Ausserdem zeitigt das Fest fragwürdige Auswirkungen auf das Sozialverhalten der Kinder.

Wir fassen zusammen: Weihnachten fällt dieses Jahr aus. Aus ökologischen Gründen verzichten wir auf Tannenbaum, Geschenke, das üppige Weihnachtsmahl und aufs Absingen christlicher Lieder. Stattdessen machen wir es uns mit einer Decke der Grossmutter in der unbeheizten Stube so gemütlich, wie es halt geht, trinken einen Tee aus Kräutern der Region und träumen von vergangenen Fleischorgien mit Fondue Chinoise.

Doch lebt nicht gerade ein Fest vom Exzess, ja gar von der Verschwendung? Der französische Soziologe und Ethnologe Émile Durkheim gab dazu bereits vor rund hundert Jahren eine klare Antwort: Um ein echtes Fest zu erleben, müsse man verschwenderisch, exzessiv und geradezu verantwortungslos feiern, lehrte er. Wer sich am Mass orientiere, werde kein Fest, sondern allenfalls dessen blasse Kopie erleben. Denn «das Wesen des Fests» sei «der Exzess», der Bruch mit den Normen und Regularien des Alltags. Beispielhaft für die Kinder-Geschenk-Situation angewandt hiesse dies: Nicht das pädagogisch (und ökologisch) vermeintlich richtige Geschenk steht im Vordergrund, sondern die Maximierung des Glanzes in den Kinderaugen. Entscheidend ist, was neben Weihnachten und Kindergeburtstagen geschieht: Der Konsummensch von morgen wird dann gebildet.

In diesem Sinne: Frohe Weihnachten!