Abstimmungen sind in der Schweiz in: Über neun Initiativen hat das Volk seit Januar 2011 abgestimmt, eine weitere ist abstimmungsreif, acht sind im Parlament hängig, über neun hat noch der Bundesrat zu befinden.  Ganze 24 befinden sich im Unterschriftenstadium. Sollten auch nur zwei Drittel davon zustande kommen, wäre der Vorratsspeicher (gemessen an der Abstimmungsdichte der letzten Dekade) bis ins Jahr 2020 gefüllt. Auch das Instrument des fakultativen Referendums wird rege genutzt.

Diese Zahlen sind nur der vorläufige Kulminationspunkt einer Entwicklung, die schon seit einigen Jahrzehnten zu beobachten ist. Immer stärker dominiert das Volk auch auf nationaler Ebene den Gesetzgebungsprozess.

Das Bevölkerungswachstum ist Schuld

In der Tat wurden die Mitwirkungsrechte der Bürger seit Gründung der Eidgenossenschaft kontinuierlich ausgebaut, so 1874 mit dem fakultativen Gesetzesreferendum, 1891 mit der Initiative auf Teilrevision der Bundesverfassung, 1921, 1977 und 2003 im Bereich der Aussenpolitik, 1971 – endlich – mit dem Frauenstimmrecht und 1988 mit der Einführung des «doppelten Ja». Heute können die Schweizer Bürger in einem Ausmass öffentliche Angelegenheiten entscheiden wie in keinem anderen Land der Welt – eine Errungenschaft, die, wie Gerhard Schwarz anlässlich seiner 1. August-Rede betonte, nicht hoch genug einzuschätzen ist.

Die zunehmende Dominanz  des Volkes im Gesetzgebungsprozess ist jedoch nicht auf diesen bewussten und gewollten Ausbau der Volksrechte zurückzuführen, sondern auf eine mathematische Tatsache, die dem Bevölkerungswachstum geschuldet ist (siehe Abbildung): 1891 mussten 7,7% der Stimmberechtigten eine Initiative bzw. 4,6% ein Referendum unterschreiben, um eine Volksabstimmung zu erzwingen,  heute reichen dafür weniger als 2% (Initiative) bzw. 1% (Referendum). Den 650‘000 Stimmberechtigten damals stehen über 5 Millionen heute gegenüber. Die Unterschriftenhürden wurden einzig – und auch das nur mit erheblicher Verspätung – nach der Einführung des Frauenstimmrechts angepasst (von 50‘000 auf 100‘000 bzw. von 30‘000 auf 50‘000 Unterschriften) – nie  jedoch im Hinblick auf das Bevölkerungswachstum.

Kann sich der Souverän zügeln?

Dies führt zur besagten Initiative- und Referendumsflut. Besonders augenfällig ist die stete Zunahme der Anzahl Initiativen von sieben in den 1960ern auf 36 während der 2000er und aller Wahrscheinlichkeit nach auf deutlich über 40 während der 2010er Jahre. Doch auch die Anzahl der Referenden hat sich verdreifacht. Organisierte Interessen können heute so gut wie jedes Referendum erzwingen, und immer öfter kommen Initiativen zustande, die nur von kleinen Verbänden getragen werden. Zumal bei den Referenden haben diese Durchgriffe immer weniger mit der Repräsentation des Volkswillens zu tun, wie deren sinkende Erfolgsquoten zeigen. Bei den Initiativen ist die Erfolgsquote seit jeher sehr gering. Diese «Entwesentlichung» der direkten Demokratie führt bestenfalls zu einigen Verzögerungen, zusätzlichem politischem Aufwand und etwas mehr Unsicherheit, schlechtestenfalls zu einer Destabilisierung des gesamten politischen Systems.

Eine Verdoppelung oder gar Verdreifachung der Unterschriftenhürden könnte dem entgegenwirken. Die Macht von Verbänden und anderen NGOs entlang des gesamten politischen Spektrums würde gesenkt, da nicht mehr jedes Partikularinteresse derart leicht in einer entsprechenden Abstimmung resultierte. So gesehen kann man diesen Vorschlag auch als Mechanismus zur Selbstbindung des Souveräns sehen, die für diesen durchaus attraktiv sein kann. Denn der rationale Wähler sollte ein Interesse daran haben, dass allzu bizarre, extreme oder radikale Begehren zuerst breitere Kreise mobilisieren müssen, bevor sie zur Abstimmung gelangen.