«Die Pensionierungswelle rollt»: Mit diesen Worten eröffnete Gerhard Schwarz eine Veranstaltung zum Thema Altersarbeit. Alle würden zwar vom Fachkräftemangel reden, doch bisher gebe es wenig konkrete Vorschläge, wie die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer die Situation auf dem Schweizer Arbeitsmarkt entschärfen könnte. Konkrete Praxisbeispiele wurden deshalb in zwei Eröffnungsreferaten von Prof. Agneta Kruse (Universität Lund, Schweden) und Thomas Bösch (Head of HR Switzerland bei Novartis) vorgestellt. In der anschliessenden Podiumsdiskussion, an der auch Jérôme Cosandey und Alois Bischofberger (beide Avenir Suisse) teilnahmen, wurde schnell klar: Damit ältere Arbeitnehmer länger arbeiten können – und vor allem auch wollen – braucht es die Mitwirkung aller Stakeholder: der Arbeitnehmer, der Arbeitgeber, der Sozialpartner und des Staates.
Vorbild Schweden
«Dann frage ich zurück: Wer soll das finanzieren? Ihre Kinder? Ihre Enkel? Oder die noch Ungeborenen?»: Agneta Kruse beschreibt mit eine Lächeln, wie sie jeweils auf Forderungen nach einem Ausbau der ersten Säule in der schwedischen Altersvorsorge reagiert. Das schaffe Akzeptanz und Verständnis für Reformmassnahmen, die alle – auch ältere – treffen. Sie weiss, wovon sie spricht: Schweden hat 1999 sein Vorsorgesystem von Grund auf reformiert. Ein System, dass gemäss der schwedischen Vorsorgeexpertin finanziell nicht nachhaltig war, von arm zu reich umverteilte, Freizeit subventionierte und Frühpensionierungen förderte. Heute dient das schwedische Vorsorgemodell vielen als Vorbild: Die Parameter zur Berechnung der Renten sind an die durchschnittliche Lebenserwartung und an die Finanzmarktrenditen gekoppelt, die Renten (über der für alle garantierten Minimalrente) sind von den effektiv einbezahlten Lohnbeiträgen abhängig, und das gesetzliche Rentenalter wurde abgeschafft.
Länger arbeiten, länger in Rente
Schwedische Arbeitnehmer mit Jahrgang 1995 werden für eine gleich hohe Rente zwar vier Jahre länger arbeiten müssen als im Jahr 1945 geborene, doch dürfen sie aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung auch im Durchschnitt mehr Lebensjahre als Rentner ihren Hobbys nachgehen (vgl. Tabelle oder Blogbeitrag). Die Anreize zum längeren Arbeiten zeigen Wirkung. Die Beschäftigungsrate der 65- bis 74-Jährigen lag in Schweden 2013 bei 18.9% (Männer) und 11.1% (Frauen) – und damit rund 4% bzw. 5% höher als im Jahr 2005. Allerdings könnten gemäss Kruse auch andere Gründe die gestiegene Arbeitszeit erklären, etwa, dass viele Leute heute besser ausgebildet seien und interessantere, körperlich weniger zehrende Jobs hätten («Kohorten-Effekt»).
Anspruchsvolle Senioren
Gemäss Thomas Bösch hat sich die Haltung gegenüber Frühpensionierungen bei Arbeitgebern und Arbeitnehmern verändert. «Eine Frühpensionierung ist oft keine Notlösung, sondern wird als erarbeitetes Recht eingefordert». Die gestiegene Anspruchshaltung stelle Unternehmen vor Herausforderungen. Auch verschärfe die Annahme der Masseneinwanderungs-Initiative den sich aufgrund der Alterung der Gesellschaft anbahnenden Fachkräftemangel.
Novartis habe den Wert älterer Mitarbeitender durchaus erkannt. Doch die Förderung von Altersarbeit sei in einem Grossunternehmen nicht wirklich einfacher als in einem KMU. Selbst wenn der Wille im Unternehmen gross ist, sind die einzelnen Teams mit anspruchsvollen Leistungszielen konfrontiert. Der Wunsch nach flexiblen Arbeitsplätzen – für ältere wie für jüngere Mitarbeitende – kollidiert oft mit den kurzfristigen Projekt-Interessen.
Neue Rolle bevorzugt
Viele ältere Arbeitnehmer möchten zwar in ihrem Anstellungsverhältnis bleiben, aber nicht unter den gleichen Voraussetzungen. Sie wollten eine individuelle Lösung, weniger Hektik und Druck. Das sei auch eine Folge der geänderten Arbeitsbedingungen. Die Menschen arbeiteten zwar weniger Stunden als früher, doch habe die Belastung zu- und die Fehlertoleranz abgenommen. Viele ältere Mitarbeitende würden den Wissens- und Erfahrungstransfer mit jüngeren Kollegen als eher einseitig wahrnehmen, was desillusionierend sei. Eine Auslagerung mit Wiedereinstellung, zum Beispiel als Berater, sei für viele deshalb die akzeptablere Lösung. Auch sei die Bereitschaft zu Lohn- und Rangeinbussen bei einer neuen externen Aufgabe oft grösser als bei einer Weiterbeschäftigung im Unternehmen.
Eine wichtige Erkenntnis für Bösch ist, dass sich Altersarbeit nicht allein mit «Systemen und Vergütungen» steigern lasse. Vielmehr gehe es in den Unternehmen darum, ältere Mitarbeitende durch Anerkennung zu motivieren und neu zu begeistern. Die grosse Herausforderung sei nicht, Diversität zu schaffen, sondern wie man das Wissen und die Erfahrung verschiedener Generationen zusammenbringe.
Das Thema «Altersarbeit» wird im Kontext der Generationenfrage im Avenir-Suisse-Buch «Generationenungerechtigkeit überwinden» diskutiert (Juli 2014).
Anregungen für die schweizerische Altersvorsorge gibt das Diskussionspapier «Reformimpulse aus Schweden».