Der öffentliche Aufschrei rund um die Abfindung von Daniel Vasella zeigt, dass starke moralische Qualitäten zur Grundausstattung  jedes Verwaltungsratspräsidenten und CEO gehören sollten (siehe Interview in der BAZ vom 20.2.2013). Von Topmanagern wird hohe Loyalität gegenüber dem langjährigen Arbeitgeber auch ohne komplexe Vertragsbestimmungen erwartet. Damit ist aber die Debatte nicht abgeschlossen. Gefragt sind auch institutionelle Massnahmen, die helfen, für unsere liberale Ordnung so verheerende Auswüchse wie die Abfindung Vasellas zu vermeiden.

Es ist bezeichnend, dass der «Fall Vasella» weder durch die Minder-Initiative noch durch den Gegenvorschlag explizit verhindert oder geregelt werden könnte, denn Daniel Vasella bezieht offiziell keine Abgangsentschädigung, sondern ein Entgelt für ein Konkurrenzverbot. Daraus lässt sich durchaus eine allgemeinere Lehre ziehen: Der Versuch, jeder erdenkbaren «falschen» Handlung per Gesetz – sei es im Aktienrecht oder sonst wo – vorzubeugen, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Exzessen wie dem «Fall Vasella» lässt sich nur wirksam begegnen, wenn die Governance der Firma so angelegt ist, dass sich der gesamte Verwaltungsrat stets von einzelnen starken Persönlichkeiten in der Geschäftsleitung (oder vom Verwaltungsratspräsidenten) abgrenzen kann. Wie aber lassen sich stärkere und unabhängigere Verwaltungsräte schaffen?

Hier können die Ökonomen auf vertraute und erprobte Rezepte hinweisen. Niedrige Eintrittsschranken zu den Märkten sind eines davon, weil sie die wohl wichtigste Voraussetzung für wirksamen Wettbewerb bilden. In unserem Kontext bedeutet dies eine Senkung jener Hürden, die den Zutritt zum Markt der Verwaltungsräte erschweren. Eine solche Hürde bauen Geschäftsleitung und Verwaltungsrat selbst auf, weil sie es Kandidaten, die ihnen nicht genehm sind, ausserordentlich schwer machen, sich für einen Verwaltungsratssitz zu bewerben:

  • Die Wahlvorschläge für neue VR-Mitglieder kommen zwingend vom VR selbst, oft auf Hinweis der Geschäftsleitung. Anwärter auf einen VR-Sitz betreiben deshalb zuerst Imagepflege gegenüber dem Management und dem bestehenden Verwaltungsrat – ein guter Ruf bei den Aktionären ist von zweitrangiger Bedeutung.
  • Die bestehenden Verwaltungsratsmitglieder dürfen für ihre Wiederwahlkampagne Finanzmittel der Firma einsetzen; diese Möglichkeit haben «Outsider» nicht.
  • Die Wahl in den Verwaltungsrat erfolgt im Majorzsystem. Mehrheitsaktionäre sind zumindest theoretisch in der Lage, sämtliche VR-Sitze an sich zu reissen.
  • Die Abstimmung erfolgt oft nicht anonym.
  • Es stehen selten mehr Kandidaten zur Wahl, als es Sitze zu besetzen gibt, wodurch die Wahrscheinlichkeit, dass einer der Kandidaten nicht gewählt wird, minim ist.

In der Publikation «Ideen für die Schweiz» plädiert Avenir Suisse dafür, den Markt für Verwaltungsräte «contestable» (bestreitbar) zu machen. Verschiedene Lösungen sind denkbar. So schlägt Luigi Zingales, Professor an der Universität Chicago, vor, zehn Prozent der Verwaltungsratssitze für institutionelle Anleger zu reservieren. Gross- oder Mehrheitsaktionäre müssten sich bei der Wahl dieser Sitze ihrer Stimme enthalten. Nur wer weniger als beispielsweise 5 Prozent der Stimmen besitzt, würde an dieser spezifischen Wahl teilnehmen dürfen. Vertreter der institutionellen Investoren im Board müssten jedoch mit mindestens 30 Prozent der Stimmen dieser Aktionärsgruppe gewählt werden. Damit will man vermeiden, dass «Randgruppen» zu viel Aufmerksamkeit auf sich lenken, beispielsweise indem sie einen Überraschungskandidaten vorschlagen, der mit wenigen Stimmen in den Verwaltungsrat gehievt wird.

Eine gut gemeinte aber schlecht durchdachte Reform der Governance – wie jene der Minder-Initiative – kann hingegen schnell in einem volkswirtschaftlichen Desaster enden. Ob und wann mehr Aktionärsdemokratie, wie es die Minder-Initiative vorschlägt, einen Mehrwert für die Aktionäre schaffen wird, ist alles andere als klar. Es gibt vielversprechendere Wege, Unternehmenswerte nachhaltig zu stärken.

Dieser Artikel erschien am 26.Februar 2013 in der Basler Zeitung.