Nach US-Notenbankpräsident Ben Bernanke hängt die Richtigkeit von wirtschaftspolitischen Entscheidungen massgeblich von der Qualität der verfügbaren Daten ab, wobei viele traditionelle Messinstrumente nicht genügten. Wie steht es diesbezüglich um die Produktivität, die neben dem Bruttoinlandprodukt (BIP) wohl zu den am meisten verwendeten und zitierten ökonomischen Grössen gehört? Deren gebräuchlichstes Mass ist ohne Zweifel die Arbeitsproduktivität, definiert als BIP im Verhältnis zu der Anzahl der Erwerbstätigen oder der total in einem Jahr geleisteten Arbeitsstunden. Die wirtschaftspolitische Bedeutung ergibt sich daraus, dass die Steigerung der Arbeitsproduktivität – neben dem Wettbewerb – sozusagen die zentrale Zielgrösse der schweizerischen Wachstumspolitik ist. Die Arbeitsproduktivität ist als Quotient nicht direkt messbar. Es kommt somit entscheidend auf die Qualität von Zähler und Nenner an. Wo liegen die wichtigsten Messprobleme?
Beginnen wir beim Zähler, dem BIP. Die erste Schwierigkeit resultiert daraus, dass das BIP als Mass für die Gesamtproduktion eines Landes in einem Jahr wohl ein zuverlässiges, aber leider kein perfektes Mass für die Bruttowertschöpfung darstellt. Denn viele Wirtschaftsleistungen des Diensleistungssektors werden entweder nur ungenau oder überhaupt nicht erfasst. Weil in modernen Volkswirtschaften aber Dienstleistungen rund zwei Drittel zur gesamtwirtschaftlichen Produktion und Beschäftigung beitragen, ist es aus Sicht der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) besonders nachteilig, dass hier Mengen und Preise nur sehr unvollkommen zur Verfügung stehen. Auch Schätzungen zum Wert von Dienstleistungen sind nach dem Deutschen Sachverständigenrat nicht zufriedenstellend.
Entwicklung im öffentlichen Sektors bleibt aussen vor
Von dieser Problematik sind zum Beispiel der für die Schweiz so wichtige Finanzsektor und der F+E-Bereich betroffen. Es gilt aber vor allem für den ganzen nicht-marktproduzierenden staatlichen Sektor (Verwaltung, Gesundheit, Bildung, Sicherheit). Deshalb wird der Output des staatlichen Sektors durch die Kosten der zu seiner Erstellung notwendigen Inputfaktoren bewertet. Produktivitätsveränderungen werden damit explizit ausgeschlossen, weil sich Output und Input ja stets im Verhältnis von eins zu eins verändern. Aussagen über Produktivitätsfortschritte im nicht-marktlichen Bereich machen deshalb im Grunde genommen keinen Sinn. Hinzu kommen weitere Schwierigkeiten, die nur kurz erwähnt werden können. Qualitätsverbesserungen und neue Produkte werden angesichts des schnellen technischen Wandels kaum hinreichend erfasst, was zu einer Unterschätzung der Produktion und damit auch des Wirtschaftswachstums führen kann. Ebenso bleibt die in vielen Ländern grassierende Schattenwirtschaft ein Graubereich. Und unentgeltlich erbrachte Leistungen wie Hausarbeit oder andere freiwillige Aktivitäten im BIP werden überhaupt nicht berücksichtigt.
Aber auch beim Nenner, dem Arbeitsinput, gibt es Messprobleme. Zeugnis dafür ist die lebhafte Kontoverse zwischen den statistischen Bundesbehörden und der KOF ETH über die Entwicklung der Arbeitsproduktivität der Schweiz. Wegen des Fehlens einer widerspruchsfreien, langfristig angelegten Reihe zur Arbeitszeitentwicklung zirkulieren unterschiedliche Daten zum Wachstum der Arbeitsproduktivität in den letzten 50 Jahren. Auch wenn sich die Positionen inzwischen angenähert haben und mit dem Übergang von der Anzahl der Erwerbstätigen zu den tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden (Arbeitsvolumen) die Messung des Arbeitsinputs auf BIP-Stufe verbessert werden konnte, genügen die Daten für Analysen auf Branche- oder Sektorebene nicht.
Trotz ständigen konzeptuellen und methodischen Verbesserungen und verdienstvollen Anstrengungen des Bundesamtes für Statistik (BfS) zur besseren Erfassung der Arbeitsproduktivität verbleibt diese letztlich in einem gewissen Unschärfebereich. Man spricht von Messdifferenzen zwischen 0,3% bis 0,6%. Die Wachstumspolitik des Bundes hat deshalb mit der Arbeitsproduktivität keine exakte Zielgrösse im Fokus. Das spielt der Politik in die Hände, schätzt diese doch unscharfe Ziele, weil sie dadurch einen grösseren Handlungsspielraum erhält. Das gilt es im Auge zu behalten, wenn mit Blick auf die Entwicklung der Arbeitsproduktivität Begehren für mehr staatliche Bildungsausgaben legitimiert werden sollen.
Auch das Kapital macht Fortschritte
Hinzu kommt aber noch ein viel wichtigerer Aspekt. Die Arbeitsproduktivität stellt nur ein partielles Produktivitätsmass dar. Sie bezieht die gesamte Produktion nur auf den Faktor Arbeit, obschon dieser nicht allein zur Wertschöpfung beiträgt. Deshalb ist die Multifaktorproduktivität, welche die kombinierte Effizienz von Arbeit, Kapital und Technologie im Produktionsprozess misst, das umfassendere Produktivitätsmass. Allerdings hat dieser Indikator noch viel komplexere Messprobleme, auf die hier nicht eingegangen werden kann. Immerhin zeigt eine Studie des BFS dessen zentrale Bedeutung. So ist das zwischen 1991 und 2004 registrierte durchschnittliche jährliche Wirtschaftswachstum von 1,1% in erster Linie auf den Anstieg des Beitrags des Kapitalinputs um 0,6% und auf die Zunahme der Mulitfaktorproduktivität um 0,4% zurückzuführen. Letztlich ist aber die Steigerung der volkswirtschaftlichen Produktivität und ein höheres Produktivitätswachstum ohnehin nicht primär eine staatliche Veranstaltung. Entscheidend ist vor allem der Beitrag der Unternehmen, die nur durch erfolgreiche Innovationen auf der Out- und Inputseite Produktivitätswachstum schaffen können.
Lesen Sie nächste Woche über die Tücken internationaler Produktivitätsvergleiche.