Hortung: Nur wenige Wörter sind in der Wirtschaftssprache derart negativ belegt wie dieses. Für Keynesianer alter Prägung stellt die Geldhortung sogar die Quelle allen Übels dar: Von den «Animal spirits» verlassen, bunkern verängstigte Investoren in Krisenzeiten ihre liquiden Mittel und stürzen damit die Volkswirtschaft in die «Liquiditätsfalle» – mit fatalen Konsequenzen für Beschäftigung und Konjunktur.
Ob diese Geschichte Wirtschaftskrisen zutreffend beschreibt, darüber werden noch Generationen von Makroökonomen streiten. Auf alle Fälle wurde das Thema «Geldhortung» seit einer Bekanntgabe von Apple zu Jahresanfang von vielen Medien aufgegriffen. Der Elektronikkonzern hatte seinen Bargeldbeständen mit 137 Mrd. $ angegeben, was international einen Spitzenwert darstellt. Apple ist damit nicht allein. Viele andere Grosskonzerne wie etwa China Electric, Microsoft, Toyota oder Volkswagen sitzen auf Barreserven im zweistelligen Milliardenbereich. Genug für Paul Krugman, den Wirtschaftskolumnisten der New York Times, um den zaghaften Aufschwung in Frage zu stellen.
In den USA beschränkt sich die Anhäufung von Liquidität nicht auf wenige Multis: Laut der amerikanischen Zentralbank haben die liquiden Bestände aller nicht-finanziellen Unternehmen – also Banken ausgenommen – im dritten Quartal 2012 mit 1,7 Billionen Dollar einen neuen Höchststand erreicht. Aussagekräftiger als die absoluten Zahlen sind aber die relativen Vergleiche. Und diese machen deutlich, dass die liquiden Mittel nicht erst infolge der Krise stiegen.
Eine neue Studie des FED von St. Louis zeigt, dass die nicht-finanziellen Unternehmen bereits seit 1990 einen Anstieg des Verhältnisses der flüssigen Mittel zum gesamten Eigenkapital verzeichnen – die Quote stieg seither von 5% auf mehr als 12%. Hinter dieser Entwicklung kann deshalb nicht nur die Sorge um die Konjunktur stecken. Nicht zu unterschätzen sind die steuerlichen Gründe. Viele der international tätigen US-Konzerne häufen liquide Mittel in Form einbehaltener Gewinne im Ausland an. Würden sie diese in die USA zurückführen, müssten sie sie mit einem hohen Satz versteuern. Die amerikanische Tiefzinsphase nach der kurzen Rezession von 2001 und ab 2008 dürfte ebenfalls eine Rolle gespielt haben. In beiden Zeiträumen stieg die Kurve der flüssigen Mittel in Prozent des Eigenkapitals besonders stark an.
Und wie sieht es in der Schweiz aus? Eine in der Öffentlichkeit wenig beachtete SNB-Statistik offenbart Erstaunliches: Das Verhältnis flüssiger Mittel zur Bilanzsumme der nicht finanziellen Unternehmen ist seit 2002 von 30% auf unter 20% gefallen. Mit fast 20% ist dieses Verhältnis aber noch immer wesentlich höher als in den USA. Die Ursachen dafür sind schwierig auszumachen. Mehrere empirische Studien bestätigen zwar, dass die Schweizer Unternehmen international überdurchschnittlich viel flüssige Mittel besitzen, liefern aber kaum hinreichende Erklärungen dafür. Möglicherweise hat die gegenüber den USA etwas restriktivere Kreditvergabe einen nicht unwesentlichen Einfluss.
Aber was auch immer für den aussergewöhnlichen Verlauf verantwortlich ist: Dass das Verhältnis der flüssigen Mittel zur Bilanzsumme nach der Wirtschafts- und Finanzkrise kaum zugenommen hat, sollte die Verfechter der Liquiditätsfallen-Theorie freuen. Offensichtlich ist das Vertrauen der Schweizer Unternehmen in die Zukunft der Schweiz intakt.