Die Aufhebung des Mindestwechselkurses durch die Schweizerische Nationalbank (SNB) wird noch heute als ein Wendepunkt der Schweizer Wirtschaftspolitik kontrovers diskutiert. Kein Wunder, denn der Entscheid hat Bremsspuren in der Schweizer Wirtschaftsentwicklung hinterlassen und die Exportwirtschaft leidet weiterhin unter Wettbewerbsnachteilen. Diese können zwar auch auf regulatorische Unsicherheiten – Stichwort: Umsetzung Masseneinwanderungsinitiative – zurückgeführt werden, sind aber vor allem Konsequenz des starken Frankens. Der geldpolitische Kurswechsel im Januar 2015, aber auch die aktuelle Politik der SNB, wurde denn auch von verschiedenen Gruppierungen und Interessenvertretern deutlich kritisiert. Forderungen nach einer neuen Untergrenze oder gar einem Staatsfonds stehen im Raum. Argumentiert wird prinzipiell damit, dass sich die SNB als Herrin über die «Notenpresse» quasi unbegrenzt gegen eine Aufwertung hätte wehren können. Die Befürworter des Politikwechsels argumentieren im Gegenzug eher defensiv mit Hinweis auf die gewonnene Flexibilität und der Lossagung von der Politik der Europäischen Zentralbank. Dabei wird ein wichtiger Punkt zur Versachlichung der Diskussion oft übersehen: Die Abwägung von Kosten und Nutzen der Konjunkturstabilisierung.
Devisenkäufe sind eben doch nicht kostenlos
In der Regel gehen die meisten Kommentatoren davon aus, dass die SNB Devisenreserven unendlich anhäufen kann, denn die dazu nötigen Franken schöpft sie ja selbst kostenlos. Dies ist jedoch nicht korrekt, denn realisiert sie auf ihren Reserven Verluste, nachdem eine Untergrenze preisgegeben werden musste, sind diese nicht nur Buchverluste, sondern für die Bevölkerung mit Kosten verbunden. Diese äussern sich typischerweise durch tiefere Ausschüttungen der SNB zugunsten der Staatsrechnung von Kanton und Bund, welche dann potenziell durch höhere Steuern oder schlechtere Leistungen kompensiert werden müssen.
Am besten lässt sich das beispielhaft an einem Gedankenspiel aufzeigen: Nehmen wir an, die SNB hätte für 200 Milliarden Franken Devisenreserven zur weiteren Stützung des Mindestkurses von 1.20 CHF/Euro gekauft – nach dem 15. Januar 2015 wäre diese Grössenordnung wohl mindestens nötig geworden und nicht auszudenken, wie hoch die nötige Intervention nach dem Brexit gewesen wäre –, so wäre diese Intervention vorderhand tatsächlich ohne Kostenfolge gewesen. Da der aktuelle «freie» Wechselkurs jedoch rund 10 Prozent tiefer liegt, hätte spätestens bei Preisgabe des Mindestkurses auf eben diesen Reserven ein Verlust in der gleichen Grössenordnung verbucht werden müssen. In unserer Annahme wären das 20 Milliarden Franken – die realen Kosten der Währungsintervention.
Nun mag man erstens entgegnen, dass die SNB den Mindestkurs ja gar nie hätte aufgeben müssen. Dies ist theoretisch korrekt, käme aber einer fixen Anbindung des Frankens an den Euro – inklusive Übernahme aller Risiken der Europäischen Geldpolitik – gleich, was ökonomisch höchst fragwürdig wäre und dem gesetzlichen Auftrag der SNB widersprechen würde. Zweitens kann eingewendet werden, dass sich der Wechselkurs auch wieder erholen und die Verluste damit ausgleichen könnte. Da die Schweiz eine tiefere Inflation als die Eurozone aufweist und der Franken überdies strukturell aufwertet, läuft dem die Entwicklung des gleichgewichtigen Wechselkurses entgegen. Es wäre eine enorme Unterbewertung des Frankens notwendig, damit die SNB ihre Reserven tatsächlich verlustfrei verkaufen könnte, denn mit dem Verkauf ihrer Reserven würde die SNB ja aufwertend auf den Wechselkurs wirken.
Was «kostet» eine Rezession?
Trotzdem ist die Währungsintervention nicht ohne Nutzen, denn wie die Schweiz schmerzhaft erfahren musste, folgt auf einen Aufwertungsschock potenziell eine Rezession mit allen negativen Konsequenzen für die Volkswirtschaft. Aus diesem Grund erwähnt der Gesetzgeber, dass die Nationalbank die konjunkturelle Entwicklung berücksichtigen muss. Doch wie weit soll die SNB – gegeben ihr primäres Mandat der Preisstabilität – eigentlich gehen?
Eine breite makroökonomische Literatur untersucht, wie hoch die Wohlfahrtskosten konjunktureller Schwankungen eigentlich sind. Im Zentrum steht die Frage, wie hoch die Zahlungsbereitschaft der Haushalte ist, um das Schwanken des Wirtschaftswachstums um das sogenannte Potenzial (d.h. die langfristigen Wachstumsaussichten) zu verhindern. Begründet wurde dieser Forschungszweig vom Nobelpreisträger Robert E. Lucas. Mittels aggregierter Konsumdaten errechnete er eine Risikoprämie von 0.2 Prozent der privaten Konsumausgaben bei einer mittleren Abweichung von 2% bis 3% um das langfristige Wachstum. (Auf die Schweiz übertragen wären das – basierend auf Konsumdaten aus dem Jahr 2014 – knapp 700 Millionen Franken.) Diese Zahl ist jedoch klar zu tief, denn sie lässt ausser Acht, dass Konjunktur- und Arbeitslosigkeitsrisiken nicht gleich über alle Haushalte verteilt sind. Prinzipiell dasselbe gilt für Branchen und Unternehmen. So ist das Risiko für einige grösser, von einem strukturellen Anpassungsdruck getroffen zu werden. Jener ist zwar langfristig sinnvoll, verursacht bei einem zu starken Abschwung jedoch auch Kosten, da Know-how und Kapital dauerhaft aus der Schweiz verlagert werden können.
Weiterführende Forschungsarbeiten berücksichtigten diese Tatsachen und kamen auf eine maximale Zahlungsbereitschaft von deutlich unter fünf Prozent des gesamtwirtschaftlichen Privatkonsums. Mit anderen Worten: Eine potenzielle Rezession zu verhindern, sollte aus makroökonomischer Perspektive und im absolut pessimistischsten Fall maximal etwa 17 Milliarden Franken kosten. Dies ist substanziell weniger, als die erwähnten Kosten von 20 oder weit mehr Milliarden, welche eine weitere Stützung des Wechselkurses Anfang 2015 mit sich hätten bringen können. Der Entscheid der Nationalbank erscheint vor diesem Hintergrund wesentlich nachvollziehbarer, als er bis anhin den Anschein machte.
Markt antizipiert Kosten-Nutzen-Kalkül
Die Überlegungen zeigen, dass es auch bei der Bekämpfung einer Währungsaufwertung Kosten-Nutzen-Kalküle zum Tragen kommen, auch wenn die Nationalbank theoretisch unlimitiert Devisen anhäufen könnte. Eine Zentralbank wird bei ihren Entscheidungen entsprechende Überlegungen miteinbeziehen und es ist davon auszugehen, dass dies auch die SNB im Hinblick auf ihren Aufhebungsentscheid über die Wechselkursuntergrenze getan hat. Dies impliziert allerdings, dass sich eben auch die Marktteilnehmer dieser Problematik bewusst sind, was bedeutet, dass ein Mindestkurs – entgegen der Intuition – durchaus angreifbar ist. Dies erklärt, weshalb die SNB im Dezember 2014 mit der Ankündigung von Negativzinsen die Zinsdifferenz zum Euro-Raum wieder vergrössern und damit den Franken trotz Untergrenze unattraktiver machen wollte. Denn provozieren Devisenhändler mit ihrer Nachfrage weitere Marktinterventionen, so treiben sie damit auch die potenziellen Kosten für das Halten der Untergrenze in die Höhe. Gut möglich, dass genau dies in den Wochen vor dem 15. Januar 2015 der Fall war.
Dieser Text ist in gekürzter Version am 28. Juli 2016 in der NZZ erschienen.