Die meisten dürften der folgenden Aussage zustimmen: Steigen die Flugpreise, wird weniger in die Ferien geflogen. Man muss kein Ökonom sein, um diesen Zusammenhang nachvollziehen zu können. Etwas anders sieht die Sachlage aus, wenn es um den Arbeitsmarkt geht. Während auch Löhne von Ökonomen vor allem als Preise verstanden werden, die Angebot und Nachfrage zusammenführen, haben viele Personen Mühe mit dieser Ansicht. Für sie spiegelt die Entlohnung in erster Linie Gerechtigkeitsvorstellungen bzw. soziale Konventionen, die man mit genügend gutem Willen am Grünen Tisch beliebig ändern kann. Bestes Beispiel dafür ist die Mindestlohninitiative des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB), die einen flächendeckenden Mindestlohn von 22 Fr. pro Stunde fordert.

Auswirkungen des Mindestlohns auf die Arbeitslosenquote

Arbeitsnachfrage und Mindestlohn

Doch ob nun Gerechtigkeitsvorstellungen bei der Lohnbildung im Vordergrund stehen oder nicht, ändert dies nichts daran, dass ein derartiger Eingriff in den Arbeitsmarkt immer sichtbare (und weniger sichtbare) volkswirtschaftliche Konsequenzen hat. Über Jahrzehnte hinweg haben Arbeitsmarktökonomen die Auswirkungen einer Lohnmindestgrenze auf die Volkswirtschaft untersucht– einige davon sind eher theoretische Kuriositäten als empirisch relevante Tatsachen. Nach unzähligen Studien steht aber eines fest: je höher der Mindestlohn und je grösser der Anteil der davon betroffenen Personen, desto spürbarer die negativen volkswirtschaftlichen Folgen. Und wie bei den Flügen gilt auch bei der Arbeit: Bei einem starken Preisanstieg geht die Nachfrage zurück, d.h. die Unternehmen werden tendenziell weniger Arbeit nachfragen.

Die Schweiz hätte mit den geforderten 22 Franken den weltweit höchsten Mindestlohn – selbst dann, wenn man die Kaufkraft berücksichtigt. Welche Beschäftigungseffekte wären bei einer Einführung zu erwarten? Als einfache Schätzmethode bietet sich die Verwendung der Lohnelastizität der Arbeitsnachfrage an. Diese Elastizität drückt aus, wie stark die Nachfrage der Unternehmen nach Arbeitskräften auf eine Erhöhung der Lohnkosten reagiert.

Die meisten empirischen Studien schätzen diese Arbeitsnachfrageelastizität auf -0,2 bis -1, d.h. eine Erhöhung der Lohnkosten um 10% führt zu einem Rückgang der Nachfrage der Unternehmen um 2% bis 10%. Während es in Deutschland eine ganze Reihe von Untersuchungen dazu gibt, haben sich die Schweizer Ökonomen bisher nicht direkt damit beschäftigt. Die einzige Ausnahme bildet eine ältere Untersuchung von Peter Kugler von der Universität Basel, der die Arbeitsnachfrageelastizität in der Schweiz auf -0,5 geschätzt hat. Aktuelle Berechnungen der Freien Universität Berlin zu den Auswirkungen des geplanten Deutschen Mindestlohns von 8,5 Euro basieren auf einer Arbeitsnachfrageelastizität von -0,75.

Stellenabbau und Anstieg der Arbeitslosenquote

Schauen wir uns deshalb drei unterschiedliche Szenarien an: Die Beschäftigungseffekte eines Mindestlohnes von 22 Fr. pro Stunde bei einer Arbeitsnachfragelastizität von -0,2 (tiefes Szenario), -0,6 (mittleres Szenario) und -1 (hohes Szenario). Gemäss dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) wären vom geforderten Mindestlohn rund 330‘000 Stellen mit einem derzeitigen durchschnittlichen Stundenlohn von Fr. 18.90 betroffen. Bei Annahme der Mindestlohninitiative müssten die 330‘000 Stellen eine durchschnittliche Stundenlohnerhöhung von Fr. 3.10 erhalten, was einer Zunahme von 16,4% entspricht. In unserem tiefsten Szenario mit einer Nachfrageelastizität von -0,2 würden also 3,3% der 330‘000 betroffenen Stellen, sprich: rund 11‘000 Arbeitsplätze, abgebaut werden. Dadurch könnte die Arbeitslosenquote von heute 3,5% (149‘400 Personen) auf 3,8% steigen. Im mittleren Szenario (Elastizität von -0,6) resultiert ein Stellenabbau von 32‘000 Arbeitsplätzen und ein Anstieg der Arbeitslosenquote auf 4,3%. Im Worst-Case-Szenario (Elastizität von -1) gingen sogar 54‘000 Stellen verloren, wodurch sich die Arbeitslosenquote auf 4,8% erhöhen würde, was einer Zunahme von 1,3 Prozentpunkten entspricht. Es ist jedoch zu erwarten, dass sich nicht alle verlorenen Stellen in der Arbeitslosenquote bemerkbar machen würden. Ein Teil der durch den Mindestlohn «Ausgesteuerten» würde sich wahrscheinlich gänzlich vom Schweizer Arbeitsmarkt zurückziehen. Nicht berücksichtigt in diesen Schätzungen sind – unter anderem – dynamische Anpassungsreaktionen infolge der Änderung der Lohnstruktur. So ist nicht auszuschliessen, dass auch höhere Löhne angepasst werden müssten, wenn die tiefsten angehoben würden. Dadurch könnten weitere Arbeitsplätze verloren gehen.