Einen «historischen Moment» feiere Avenir Suisse, sagte Direktor Gerhard Schwarz: «Wir treten erstmals als Team auf.» Am Buch «Ideen für die Schweiz – 44 Chancen, die Zukunft zu gewinnen» haben alle Projektleiter des Think-Tanks mit eigenen Beiträgen mitgewirkt. Der Band bietet deshalb «einen bunten Strauss von Ideen», wie es Gerhard Schwarz ausdrückte; er will kein Weissbuch und auch kein Schwarzbuch, kein Programm und kein Forderungskatalog sein. Diese Ideen sollen Debatten auslösen. Schon die Gäste an der Vernissage setzten sich denn auch kritisch mit den Vorschlägen auseinander, auf dem Podium der ehemalige Bundesrat Pascal Couchepin, der Unternehmer Jobst Wagner und der Direktor des Landesmuseums, Andreas Spillmann.
Wie lange trägt der Baum noch Früchte?
«Die Parteien stecken in einer schwierigen Lage», stellte Pascal Couchepin fest. «Sie wagen nicht, neue Ideen zu entwickeln, weil es uns so gut geht.» Es sei einfacher, die Vorschläge von anderen anzugreifen und niederzumachen. Insgesamt seien aber die Früchte der Schweizer Politik nicht so schlecht, gab der Freisinnige zu bedenken; wir sollten also den Baum nicht fällen. Allerdings fragte Jobst Wagner, wie lange dieser Baum noch Früchte trage. Der Verwaltungsratspräsident der Rehau-Gruppe, die weltweit Polymere produziert, hält sich oft in China oder Indien auf und sieht dort, dass die Menschen eine klare Vorstellung von der Zukunft haben. Auch die Schweizer Politik müsse sich deshalb fragen: «Wohin führt unser Weg?» Die Schweiz müsse sich als «Opfer der Neidkultur» im Wirtschaftskrieg wappnen, dabei brauche es auch mehr Engagement der Unternehmerschaft.
«Wie reformierbar ist die Schweiz noch?», fragte Jobst Wagner. Als seine Lieblingsidee, die jeder Podiumsteilnehmer vorstellte, wählte er denn auch die Erhöhung der Unterschriftenzahlen für Initiative und Referendum: Mit dieser Verwesentlichung der Demokratie lasse sich dagegen angehen, dass Interessengruppen die Volksrechte zum Blockieren missbrauchen. Er erntete Zustimmung, ebenso wie Gerhard Schwarz, der für die Kumulus-Aktie warb, die loyale Investoren belohnen, also die «Hektik an den Finanzmärkten» etwas beruhigen soll.
Freiwillig Abgabe leisten
Dagegen stiessen die beiden anderen Lieblingsideen – nicht ganz unerwartet – an der Vernissage auf Widerspruch wie in den Medien. Pascal Couchepin entschied sich für einen auf den ersten Blick wenig liberalen Vorschlag: die Abgabe von Unternehmen, die Arbeitskräfte aus dem Ausland holen. «Die Grenzen zu schliessen, wäre Selbstmord», warnte der Alt-Bundesrat. Aber er mahnte auch, die Bedenken ernst zu nehmen, dass die Schweizer Bevölkerung nicht im gleichen Tempo wachsen könne. Deshalb sah er die Abgabe, beispielsweise von den Sozialpartnern ausgehandelt, als weiterführenden Ansatz. «Ich hadere etwas mit dieser Idee», meinte dagegen der Unternehmer Wagner. «Ich möchte wissen, wo diese Abgabe landet.» Gerhard Schwarz betonte deshalb, die nicht ganz glücklich benannte «Abgabe» dürfe eben keine Abgabe an den Staat sein, die Wirtschaft solle sie freiwillig beschliessen und das Geld an die Unternehmen zurückverteilen oder für die Förderung der Erwerbstätigkeit von Einheimischen einsetzen.
Wie zum Milizdienst motivieren?
Und Andreas Spillmann setzte sich für die umstrittenste Idee ein: die Dienstpflicht für alle. Eine Debatte darüber dränge sich auf, wenn einerseits die Armee einen grossen Teil der Stellungspflichtigen gar nicht brauche und anderseits das Milizprinzip in allen Lebensbereichen schwächele. Die Schweiz müsse mit der – nicht mehr durchgesetzten – Wehrpflicht für die Männer nicht die Armee aufgeben, wohl aber sicherheitspolitische Fragen klären: «Die Sicherheit ist das Kapital der Schweiz.» Ein General im Publikum wandte ein, schon heute liessen sich Zivildienstleistende kaum sinnvoll einsetzen: «Wie wollen Sie Leute motivieren, etwas zu tun, was sie nicht tun wollen?» Gerhard Schwarz betonte, dass der Vorschlag es erlaube, für die Verteidigungsaufgaben aus einem grösseren Pool von Menschen zu schöpfen, Männern und Frauen, und dass man sich mehr auf jene mit der grössten Motivation stützen könne. Und dem Einwand fehlender sinnvoller Aufgaben hielt er entgegen, dass man durch den Einbezug von Familienarbeit das Feld weit öffnen könnte. Innerhalb des Bürgerdienstes soll mit den richtigen Anreizen, materiellen wie immateriellen, dafür gesorgt werden, dass der Dienst in der Armee seine Bedeutung behält.
«Welche Idee wird zur grössten Diskussion führen?», fragte Gesprächsleiterin Ellinor von Kauffungen zum Schluss. Nicht eine Idee, sondern eine Frage, meinte Pascal Couchepin: «Ist es die Aufgabe von Avenir Suisse, ein solches Buch zu machen?» Und er gab die Antwort gleich selbst: «Ich glaube, ja.»