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Was läuft schief in der Gesundheitspolitik? Herzchirurg Wolfgang Bertschmann (links) im Gespräch mit Jérôme Cosandey. (Bild: Avenir Suisse)

 

«Die Regulierung hinkt der Entwicklung in der Medizin nach, statt sie zu antizipieren». Wolfgang Bertschmann zeigte anhand von Praxisbeispielen auf, wie er als unternehmerisch denkender Chirurg immer wieder an politische Grenzen stiess, die eigentlich seit der 2012 eingeführten neuen Spitalfinanzierung nicht mehr existieren sollten.

Längere Spiesse für die Kantonsspitäler

Entgegen den ursprünglichen Erwartungen habe das Fallpauschalensystem (SwissDRG) vielerorts nicht zum erwünschten Resultat – effizientere Strukturen, weniger Spitäler, tiefere Kosten und eine Qualitätsverbesserung durch höhere Fallzahlen – geführt. Dass liegt laut Bertschmann auch daran, dass der Wettbewerb Schlagseite zeigt zugunsten der öffentlichen Spitäler. Der Kanton tendiere in seiner Doppel- oder sogar Dreifachrolle als Regulator, Leistungserbringer und Geldgeber dazu, die eigenen Krankenhäuser zu bevorzugen – etwa bei der Vergabe von Leistungsaufträgen für die Herz- oder die hochspezialisierte Viszeral-Chirurgie. Privatkliniken müssten genügend hohe Fallzahlen aufweisen, um einen derartigen Leistungsauftrag zu erhalten und auch allgemeinversicherte Patienten behandeln zu können. Hierfür sind sie jedoch auf Überweisungen der öffentlichen Spitäler angewiesen. Bleiben diese aus – z.B. aus politisch motivierten Gründen – sei dies für Privatkliniken existenzgefährdend. Profiteure von dieser Situation seien die Kantonsspitäler, nicht die Patienten.

Die praktizierte Spitalplanung zementiere ineffiziente Strukturen und benachteilige Privatkliniken. Das könne sogar dazu führen, dass die medizinische Versorgung in bestimmten hochspezialisierten Bereichen nicht mehr optimal gewährleistet sei. Bertschmann, sonst durchaus ein Freund föderaler Strukturen, möchte die kantonale Spitalplanung am liebsten abschaffen: «Weil es einfach nicht funktioniert». Einen Abschied von der kantonalen Spitalplanung hatte auch Avenir Suisse im 2012 erschienen Buch «Ideen für die Schweiz» vorgeschlagen, und sie wurde auf dem Plakat «Patient Schweiz» thematisiert.

Die Technologie verändert die Spitallandschaft

So oder so werde sich die Spitallandschaft stark verändern. Ein Hauptgrund dafür sei neben der alternden Gesellschaft der technologische Fortschritt. Mit dem Internet verbundene mobile Geräte könnten künftig sämtliche zur Diagnose nötigen Daten erfassen. Patienten werden häufiger mit einer fixfertigen Diagnose samt Therapieempfehlung aus dem Internet beim Arzt vorsprechen, um diese dann validieren zu lassen. Diesen letzten Schritt werde es für die Vermeidung von Fehldiagnosen nach wie vor brauchen, zumal die Wissensasymmetrie zwischen Arzt und Patient auch mit dem technologischen Fortschritt nicht verschwinde. Dank der mobilen Überwachung werde auch die Nachfrage nach Intensivstationen stark abnehmen. Der Ärztemangel könnte also insgesamt weniger dramatisch ausfallen, als heute befürchtet wird.

Man könne davon ausgehen, dass bis zur Hälfte der heute stationär behandelten Patienten künftig in Ambulatorien, also in Tageskliniken versorgt werden können. «Das Spital wird wieder zu einem Ort akuter Notfallversorgung». Es werde weniger Spitäler und mehr Ambulatorien brauchen.

Solche Weitsicht vermisst Bertschmann bei den Spitalbetreibern . Davon zeugen nicht zuletzt Bauvorhaben im Umfang von 20 Mrd. Fr. für den Spitalbau und -ausbau – mehrheitlich im stationären Bereich. «Wir sollten doch in der Gesundheitspolitik zehn Jahre vorausdenken, statt fünf Jahre hintendrein». Die gleichentags publizierten Pläne der beiden Basel, das Universitätsspital und die Kantonsspitäler zusammenzulegen und das Bruderholzspital in ein Ambulatorium umzuwandeln, sei immerhin ein mutiger Schritt in die richtige Richtung.