Buchvernissage "Mehr Markt für den Service public" Avenir Suisse René Frey Robert Leu Urs Meister

«Dieses Buch ist inhaltlich richtig und politisch wichtig», sagte Prof. René L. Frey, der Doyen der kritischen Auseinandersetzung mit dem Wirtschaften des Staates. Im umgenutzten Alten Tramdepot in Bern stellte Avenir Suisse die neue Studie «Mehr Markt für den Service public» vor, die der Infrastruktur-Spezialist Urs Meister zusammen mit den Professoren Helmut Dietl, Robert Leu und René L. Frey erarbeitet hat. Zahlreiche prominente Gäste aus der Führung von (halb)staatlichen Unternehmen bewiesen das Interesse an der Stossrichtung des Buches: «Warum die Schweizer Infrastrukturversorgung weniger Staat und mehr Wettbewerb braucht.»

Gerhard Schwarz, Direktor von Avenir Suisse, beruhigte sie bei der Begrüssung: «Wir wollen den Service public gewiss nicht abschaffen – wir wollen ihn besser machen.» Mit einem Anteil von 14 Prozent am Bruttoinlandprodukt und von 17 Prozent der Beschäftigten sei der Service public ein ganz wichtiger Teil der Schweizer Wirtschaft. Deshalb dränge es sich auf, den «schillernden Begriff» auszuleuchten und zu klären. Denn als Service public kann jeder bezeichnen, was er gerade für politisch opportun hält, stellte Xavier Comtesse fest. Der Directeur romand von Avenir Suisse wies darauf hin, dass in der Romandie dieselben nationalen Regeln ganz anders interpretiert würden als in der Deutschschweiz: «L’état protecteur» schaffe und geniesse Vertrauen – die Menschen in der Westschweiz misstrauten dem Markt. Eigentlich könnte der Kantönligeist mit 26 verschiedenen Lösungen zu einem Experimentierlabor führen. Da ausser Avenir Suisse mit dem Kantonsmonitoring niemand Benchmarking betreibe, gebe es aber keinen Wettbewerb, in dem sich die besten Lösungen durchsetzen.

In der schlechtesten aller Welten

«Mehr Wettbewerb würde den Service public nicht bedrohen, sondern verbessern», betonte Urs Meister. Er sieht den Wettbewerb als Mittel gegen den stetigen Anstieg der Infrastrukturkosten und damit der Tarife: «Effizienz und Innovation lassen sich nicht verordnen – der Markt zwingt die Unternehmen dazu.» Bei den Liberalisierungen sei die Schweiz in allen Bereichen «in der Mitte stecken geblieben»: Sie lebe jetzt in der schlechtesten aller Welten; «halbe Marktöffnungen» seien eher schädlich als nützlich, da es wegen der privilegierten Stellung der ehemaligen Monopolisten nicht zu echtem Wettbewerb komme.

Dies zeigten zwei Mitautoren der Studie an Branchenbeispielen. Prof. Helmut Dietl von der Universität Zürich wies darauf hin, dass es bei der Post nur noch bei der Zustellung aufgrund der Grössenvorteile ein natürliches Monopol gebe – aber, im Gegensatz zur teuren letzten Meile bei der Telekommunikation, also den Haushaltsanschlüssen, keine versunkenen Kosten. Auch hier, meinte Dietl, liesse sich also Wettbewerb schaffen. Dafür wäre der Service public aber neu, nämlich technologieneutral zu definieren: Neben der physischen gibt es heute auch die elektronische Zustellung, die Post leidet ja nicht an der Konkurrenz durch Wettbewerber, sondern durch die E-Mail.

Schleichende Verstaatlichung der Spitäler

Der eben emeritierte Berner Professor Robert Leu, Doyen der Gesundheitsökonomie, zeichnete ein düsteres Bild der Schweizer Spitallandschaft nach der Einführung der Fallpauschalen: «Ausländer staunen nur – sie sehen hier Dinge, die man sich in einem Land wie der Schweiz fast nicht vorstellen kann.» Die Strukturen, die man mit dem neuen Abrechnungssystem bereinigen wollte, würden zementiert; die öffentlichen Spitäler, die man dem Wettbewerb aussetzen wollte, würden bevorzugt; die Wahlfreiheit der Patienten werde nicht gefördert, sondern eingeschränkt. Statt zu mehr Markt, sagte Leu, führe die Politik der kantonalen Gesundheitsdirektoren zu einer «schleichenden Verstaatlichung».

«Der Service public wird häufig mit hehren Worten missbraucht», unterstrich René L. Frey, «um bestimmten Gruppen Vorteile und Einkommen zu verschaffen.» Das Sichern der Grundversorgung sei wichtig, betonte der Ökonom, aber die Anliegen des Service public würden nicht immer auf zweckmässigem Weg umgesetzt: «Die Schweiz kann im globalen Wettbewerb nur erfolgreich überleben, wenn sie fit ist, dank Effizienz und Innovation.»