Der untenstehende Text ist die Zusammenfassung eines Referats, das Gerhard Schwarz an einem Kolloquium aus Anlass des 100-jährigen Erscheinens von Sergij Bulgakovs «Philosophie der Wirtschaft» hielt. Die Universität Freiburg wird die Ergebnisse der Konferenz demnächst in einem Buch publizieren.

Sergij Bulgakov

Sergij Bulgakov (Bild: Wikimedia Commons)

Ist die Ökonomie vom Menschen abhängig oder ist der Mensch eine Funktion der Ökonomie? Mit der «Philosophie der Wirtschaft» versuchte der russische Gelehrte Sergij Bulgakov (1871-1944) im Jahr 1912 Antwort auf derlei Fragen zu geben und die damals noch junge Wissenschaft der Ökonomie mit einem philosophischen Boden zu unterlegen.

Inzwischen ist das Werk mehr als 100 Jahre alt – und fasziniert noch immer. Die kraftvolle, fast literarische Sprache und die in die Inkonsistenz kippende Dialektik sind gerade für Nichtökonomen verführerisch – aber sie lassen auch zu schnell vergessen, dass Bulgakovs Schrift kaum als Kritik an den heutigen Zuständen der Wirtschaft taugt. Das Werk ist in einen völlig anderen historischen Kontext eingebettet, der Autor weltanschaulich schwer zu fassen: Der streng religiös erzogene Bulgakov war bis zu seinen Vierzigern Marxist, Wirtschaftsprofessor und Abgeordneter der zweiten russischen Duma. In der Folge wandte er sich der Philosophie und der russischen Orthodoxie zu. Nach seiner Ausweisung aus Russland wirkte er noch viele Jahre als Professor für orthodoxe Theologie in Paris. Und irgendwie ist dieser nicht sehr geradlinige Lebenslauf auch etwas symptomatisch für das Werk.

Dennoch sind einige Aussagen Bulgakovs so treffend und zeitlos, dass sie auch – oder gerade – modernen Ökonomen mit auf den Weg gegeben werden können:

  1. Die nüchterne und realistische Einschätzung des «Homo oeconomicus»: Eine Stilisierung des Menschen sei methodisch notwendig, habe aber ihre Grenzen, heisst es bei Bulgakov: «So mag sich die politische Ökonomie inexistente Menschen ausdenken, die keine Wirbelsäule haben, …, das ist kein Unglück, solange sie selbst es weiss und nicht vergisst, und solange sie nicht aufgrund ihrer Schlussfolgerungen auch noch den Anspruch erhebt, ihr Urteil gerade im Hinblick auf die Wirbelsäule abzugeben.»
  2. Die Forderung, Ökonomie müsse etwas nützen. Sie dürfe, schreibt Bulgakov, nicht Erkenntnis um der Erkenntnis Willen suchen, sondern müsse eine durch und durch angewandte Wissenschaft sein. Auch solle man nicht wahllos empirisches Material anhäufen, denn «in den Fakten liegt nicht mehr Wissenschaft, als durch den wissenschaftlichen Verstand in sie hineingelegt worden ist.»
  3. Das Verständnis von Wirtschaftspolitik als Kunst. Gemäss Bulgakov müssen Wirtschaftspolitiker oft intuitiv und ohne Kenntnis aller Fakten entscheiden. In der Wirtschaftspolitik brauche es daher Menschen mit praktischer Vernunft und gesundem Menschenverstand.

Die detaillierte Kritik von Bulgakovs «Philosophie der Wirtschaft» finden Sie hier.