Dass die starke Aufwertung des Frankens in den letzten Monaten viele Unternehmen mit Sorgen erfüllt hat, versteht sich von selbst. Es erstaunt deshalb auch nicht, dass zu diesem Zweck gerne der Begriff der «Schmerzgrenze» bemüht wird. Das war schon in früheren Aufwertungsphasen des Frankens so.

Am 27. März 2002 konnte man im Zusammenhang mit dem vorhergegangen globalen Konjunktureinbruch in einer SDA-Meldung lesen:«Für diverse Branchen der Exportwirtschaft liegt die Schmerzgrenze des Euro-Wechselkurses bei Fr. 1.50.»  In der Folge schwächte sich der Franken zwischen 2004 und 2007 übermässig ab, und es kam bis zum Ausbruch der Finanzmarktkrise 2008 zu einer fast stürmischen Exportentwicklung.

Am 13. Februar 2010 wurde  ein prominenter Branchenvertreter in der NZZ wie folgt zitiert: «Sinkt der Euro während mehrerer Wochen unter Fr. 1.40, dann tut es weh.» Auch nach dieser Aussage zeigten die Exporte allen Unkenrufen zum Trotz in den Folgemonaten kaum Ermüdungserscheinungen, obwohl der Margendruck ohne Zweifel zugenommen hat.

Diese Beispiele machen zweierlei deutlich:  Einerseits sind Aussagen über die «Schmerzgrenze» nicht einfach für bare Münze zu nehmen. Es sind wohl vielmehr Alarmrufe an die Nationalbank und die Politik, die mehr auf subjektiven Eindrücken als auf harten, überprüfbaren Fakten basieren. Anderseits wäre es eine Illusion, zu glauben, die Wechselkursabhängigkeit der Exportwirtschaft liesse sich trotz der Heterogenität der Branchen und Unternehmen mit einem einzigen Frankenkurs-Niveau ausdrücken.

Was bieten sich aber sonst für «harte» Fakten an, um die Lage seriös zu analysieren?  Im Vordergrund stehen – neben den herkömmlichen Konjunkturstatistiken – zwei Konzepte: Erstens, die Kaufkraftparitäten, die zwischen nominalen und realen Wechselkursen unterscheiden und bei Aussagen über die «Schmerzgrenze» gerne übersehen werden. Zweitens, die Indikatoren zur preislichen Wettbewerbsfähigkeit. Sie stehen im Zentrum dieses Beitrags.

Der Aufschwung im Ausland geht an der Schweiz nicht vorbei

Ein beliebtes und häufig verwendetes Mass für die  Wettbewerbsfähigkeit eines Landes oder einer Branche ist die Wechselkurselastizität. Dabei wird von der Tatsache ausgegangen, dass sich  die Exportentwicklung eines Landes grundsätzlich durch die Wirtschaftsaktivität im Ausland und die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Unternehmen erklären lässt. Letztere gibt die relative Preis- bzw. Kostenentwicklung in der Schweiz im Vergleich zu einem gewichteten Durchschnitt der schweizerischen Absatzländer wieder.

Eine Reihe von empirischen Studien zeigt, dass die langfristige Elastizität  der schweizerischen Exporte gegenüber der Wirtschaftsaktivität im Ausland bei rund  2% liegt, d.h. die schweizerischen Ausfuhren nehmen bei deren Anstieg überproportional zu. Darin spiegeln sich nicht zuletzt der im Rahmen der Globalisierung  zu beobachtende rasante Anstieg der weltweiten Handelsaktivitäten und die gute Integration der schweizerischen Unternehmen in die internationale Arbeitsteilung.

Etwas schwieriger ist  es, den Einfluss der preislichen Wettbewerbsfähigkeit zu erfassen. Je nach Modellspezifikation (Indikatoren auf Basis Konsumenten-, Produzentenpreise oder Lohnstückkosten), Aggregationsstufe (Gesamtwirtschaft bzw. Branchen) und Schätzzeitraum ergeben sich unterschiedliche Ergebnisse, wie jüngst wieder eine Untersuchung der KOF der ETH Zürich gezeigt hat. Die geschätzten Elastizitäten für die Gesamtexporte liegen zwischen -0,2% und  -0,6 %. Auf Branchen- und Länderebene ist die Schwankungsbreite grösser.

Ein guter Branchenmix für den Weltmarkt

Trotz dieser Unsicherheit über die Bedeutung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit deutet vieles darauf hin, dass  die Schweizer Ausfuhren sowohl im Zeitverlauf als auch im Vergleich mit anderen Volkswirtschaften insgesamt etwas resistenter gegen nominale und reale Wechselkursschwankungen geworden sind. Allerdings haben sich auch die Unterschiede zwischen den einzelnen Branchen tendenziell vergrössert. So bewältigt die chemisch-pharmazeutische Industrie Aufwertungsschocks leichter als Teile der Maschinen-, Metall- und Elektroindustrie, die Textilindustrie oder der Tourismus.

Fügt man dieses Puzzle zu einem Gesamtbild zusammen, so kann man wohl sagen, dass  die Schweizer Wirtschaft mit den zahlreichen F&E-intensiven, hochwertigen Gütern einen guten Branchenmix im Weltmarkt aufweist und die Vorteile des internationalen Vorleistungsbezugs positiv zu nutzen weiss. Weil die Elastizität der ausländischen Nachfrage gut fünfmal stärker wirkt als jene des Wechselkurses, konnte sie auch bis zuletzt von der guten Konjunktur in den wichtigen Exportländern profitieren.

Prognosen bleiben schwierig

Obwohl diese empirischen Arbeiten über die preisliche Wettbewerbsfähigkeit wichtige Einsichten vermitteln, können sie nicht einfach als Gradmesser für die Zukunft genommen werden, da sie immer auf ex-post Daten basieren. Die Frage, wie es weiter geht, lässt sich deshalb auch mit Wechselkurselastizitäten nicht ein für allemal beantworten.

So weiss man nicht zum Voraus, wie die Unternehmen auf Wechselkursschocks reagieren. Bleibt die Widerstandskraft der Exportwirtschaft erhalten?  Wird die Anpassung bei einer andauernden Frankenstärke linear ablaufen oder kippt die Lage brüsk und bringt viele Unternehmen und Branchen in Schwierigkeiten? Die Lage ist auch für die Nationalbank schwierig, wie das im Februar 2011 publizierte Diskussionspapier «Der harte Franken» bereits gezeigt hat.

Der nächste Beitrag unserer Reihe zum «harten Franken» erscheint am 24. Juli und befasst sich mit den Kaufkraftparitäten.