Das Schweizer Zollsystem steht im scharfen Gegensatz zur liberalen Wirtschafsordnung der Schweiz und der hohen Anzahl Freihandelsabkommen. Die teils prohibitiv hohen Zölle – vor allem im Agrarsektor – generieren volkswirtschaftliche Kosten von rund 2,4 Mrd. Fr. pro Jahr (OECD 2020).
Doch darüber hinaus hat dieser Grenzschutz weitere negative Auswirkungen: Durch ein dichtes Wirrwarr an Vorschriften erreicht die Schweiz ein geradezu absurd anmutendes Ausmass an Komplexität in Sachen Zoll. Nicht von ungefähr landet unser Land in einer weltweiten Rangierung der Zollvorschriften auf dem 141. und damit allerletzten Platz (WEF 2019). Eine höhere Komplexität hemmt den internationalen Handel, darunter leidet die Schweizer Wettbewerbsfähigkeit.
In der erwähnten Studie des WEF erreicht die Schweiz in der Kategorie «Handelsoffenheit» Rang 87 – zwischen Ghana und Mozambique (WEF 2019). Diese Rangierung zeigt, wie dick die Mauern der Zollburg im internationalen Vergleich sind. Die merkantilistischen Zeiten, in denen sich die Staaten grösstenteils durch Zollabgaben finanzierten, sind aber schon lange vorbei. Auch der Versuch, Zölle zur Aufbesserung der Handelsbilanz zu nutzen, mutet im modernen Diskurs innerhalb der Wirtschaftswissenschaften geradezu mittelalterlich an und kann kein Ziel der Schweizer Handelspolitik sein. Gerade noch 1,5% der Einnahmen des Bundes werden durch Zölle bestritten (vgl. Abbildung 1).
Mit der Einführung der einst provisorischen «Wehrsteuer» von 1940 auf Einkommen, Reingewinn, Umsatz, Kapital und Reserven wurde die damals schon geringe Abhängigkeit der Staatsfinanzen von Zöllen abermals vermindert und machte seit dem Zweiten Weltkrieg nie mehr als ein Viertel des Haushaltes aus. Spätestens ab Mitte der 1970er Jahre, als der Anteil der Zolleinnahmen auf unter 8% Prozent fiel, hat diese Form der Fiskaleinnahmen ihre einst zentrale Bedeutung für den Staatshaushalt verloren. Dennoch tut sich die Schweiz mit der kompletten Abschaffung der Zölle schwer – dies hat vor allem politische Gründe.
Agrarpolitik als Stolperstein
Die Abschaffung der Agrarzölle ist im Schweizer Politikumfeld eine Herkulesaufgabe sondergleichen. Nicht einmal ein Freihandelsabkommen mit einem so attraktiven Handelspartner wie den USA kann die Vertreter der Landwirtschaft zum Einlenken bewegen. Somit bleibt die Schweizer Agrarpolitik das grösste Hindernis für das Vorantreiben von Freihandel und Prosperität (Dümmler und Anthamatten, 2019).
Ein denkbarer Kompromiss könnte hier der Agrarfreihandel mit exotischen Produkten sein. Rund ein Viertel aller Agrarimporte stellen Landwirtschaftsimporte dar, die in der Schweiz nicht angebaut werden (Dümmler und Roten, 2018). Tropische Früchte sind keine Konkurrenz zu einheimischen Produkten. Hinkt schon der sprichwörtliche Vergleich mit hiesigen Äpfeln und Birnen, so versagt ein mögliches Aufwägen von Äpfeln mit Litschis vollumfänglich.
Potenzial für Prosperitätsschub
Anders geartet ist das Potenzial für eine Abschaffung der Industriezölle. Dieser alte Zopf bedient keine politischen Interessen mehr. Der Nutzen ist zu vernachlässigen, der entstehende volkswirtschaftliche Schaden dafür umso gravierender.
Die administrative Belastung für die Unternehmen steht in krassem Missverhältnis zu den niedrigen Einnahmen. Ein Verzicht auf diese Zölle würde den Importeuren, Exporteuren und externen Dienstleistern Einsparungen von etwa 243 Mio. Franken pro Jahr bringen (Seco, 2017). Der Zuwachs des Bruttoinlandprodukts könnte sich mit einem vollständigen Industriezollabbau auf fast 1 Mrd. Franken summieren (Seco, 2017).
Durch den tieferen Güterpreis würde auch die Exportindustrie profitieren, indem die Beschaffung ausländischer Komponenten günstiger wird. Exportorientierte Länder wie Neuseeland, Kanada und Norwegen verzeichneten nach dem Abbau von Zöllen ein signifikantes Wachstum der Ausfuhren. Auch der Status der sogenannten «Hochpreisinsel» käme unter Beschuss. Namentlich wären es Produkte der Bekleidungsindustrie, die durch die Konsumenten merklich günstiger eingekauft werden könnten (Seco, 2017).
Als allfällige Nachteile werden nur auf den ersten Blick stimmige Argumente ins Feld geführt. Der Verlust von Staatseinnahmen ist mit 482 Mio. Fr. überschaubar. Zusätzlich bietet diese Zahl ein unvollständiges Bild. So würden diese Mindereinnahmen des Bundes durch die höhere Wirtschaftsleistung bzw. Einkommens- und Vermögenseffekte teilweise wieder kompensiert. Die volkswirtschaftlichen Gewinne für das Gemeinwohl der Schweiz überwiegen.
Andere Ängste wie der Verlust von Verhandlungsmasse bei neuen Freihandelsabkommen sind ebenfalls unbegründet. Jüngste Abschlüsse belegen die Bedeutungslosigkeit von Industriezöllen (Seco 2018). Um ein Vielfaches hinderlicher sind bei neuen Freihandelsabkommen die erwähnten Agrarzölle.
Gelingt es, die Zollburg zu schleifen?
Geht man davon aus, dass der Kampf zur Abschaffung der Agrarzölle unter gegebenen Umständen beinahe illusorisch ist, drängt sich die Abschaffung der Industriezölle als nächstbestes Mittel, ja gar als Notwendigkeit auf. Der entsprechende Vorschlag des Bundesrates wurde vom Ständerat in der Wintersession ohne Änderungen angenommen. Die «Chambre de réflexion» ist ihrem Namen gerecht geworden. Nun ist der Nationalrat am Zug. Dort allerdings hat das Geschäft einen schweren Stand, nachdem der grosse Rat im Juni 2020 Nichteintreten beschlossen hatte.
Angesichts der anhaltenden Coronakrise muss die Schweiz jede wirtschaftspolitische Gelegenheit nutzen, um die gebeutelten Unternehmen zu entlasten und konkurrenzfähiger zu werden. Es ist zu hoffen, dass auch der Nationalrat diese Opportunität wahrnimmt, um die Prosperität der Schweiz mit einer simplen Massnahme stark zu fördern. Als Zollburg hat die Schweiz keine rosige Zukunft, als Leuchtfeuer für Freihandel dafür umso mehr.