Fast 40 000 Wohnungen sind in der Schweiz nicht vermietet. Aber dieser Leerstand genügt nicht. Denn viele Wohnungen finden sich am falschen Ort oder ziehen keine Mieter an. Und der Leerstand müsste höher sein, damit die Mieten nicht steigen.

Unlängst hat das Bundesamt für Statistik die neusten Zahlen zu den leer stehenden Wohnungen in der Schweiz veröffentlicht. Die Zählung ergab rund 38 400 nicht vermietete Wohnobjekte, gut 5% mehr als ein Jahr zuvor. Wie ist diese Zahl einzuordnen? Auf den ersten Blick tönt sie nach viel, als ob beispielsweise der gesamte Wohnungspark der Stadt St.Gallen leer stünde. Bezogen auf alle Schweizer Wohnungen beträgt der Leerstand allerdings lediglich 0,94%, betroffen ist also nur jede hundertste Wohnung.

Wohnungsnot in den Grosstädten

Hinzu kommt, dass die nicht belegten Wohnungen keineswegs zufällig über das Land verstreut sind. In den Grossstädten Zürich und Genf ist und bleibt der freie Wohnungsmarkt komplett leer gefegt, die Leerwohnungsziffern verharren seit Jahren im untersten Promille-Bereich. In Teilen der Ostschweiz, aber auch im Kanton Solothurn liegt die Ziffer hingegen doppelt so hoch wie im Schweizer Mittel. Das zeigt: Es wird nicht immer da gebaut, wo die Leute am liebsten hinziehen würden. Angebot und Nachfrage decken sich nicht, und die Wohnungssuchenden in der Stadt Zürich weichen in der Regel nicht nach Appenzell aus.

Andere Wohnungen stehen leer, weil sie veraltet, schlecht unterhalten oder zu lärmig sind. Aber es gibt auch das Gegenteil: Appartements, die – weil zu luxuriös und zu teuer – nicht vermietet oder verkauft werden können.

Dieses qualitative und räumliche Auseinanderklaffen von Angebot und Nachfrage ist der eigentlich Grund, warum die Leerwohnungsziffer allein wenig aussagekräftig ist. Es braucht dazu eine Messlatte, die das Ausmass dieses strukturellen «Mismatchs» auf dem Wohnungsmarkt anzeigt: die natürliche Leerwohnungsziffer. Sie markiert die kritische Grenze zwischen steigenden und fallenden Mieten.

Die natürliche Leerwohnungsziffer für den Schweizer Wohnungsmarkt liegt zurzeit bei 1,15%. Möchte man die Mieten heute (real) konstant halten, müssten die Leerstände also um ein Fünftel (von 0,94% auf 1,15%) steigen. Werte über dieser Schwelle bringen die teuerungsbereinigten Mieten zum Sinken. Dies war in den 1990er-Jahren der Fall. In der Dekade davor gab es hingegen Leerstände, die noch tiefer unter der natürlichen Leerwohnungsziffer lagen als heute, die Mieten gingen durch die Decke. Die Immobilienblase von damals hatte also einen sehr realen Hintergrund.

Die Mieten dürften weiter steigen

Die natürliche Leerwohnungsziffer ist selbst keine konstante Grösse. In den 1970er-Jahren stand sie noch bei gut 1,4%. Danach sank sie bis 1995 kontinuierlich auf das heutige Niveau. Dies ist eine erfreuliche Entwicklung, bedeutet sie doch, dass wir den Wohnungsbestand effizienter nutzen als damals. Ermöglicht wurde dies dadurch, dass die Bauwirtschaft näher an der Nachfrage produziert und der Markt transparenter wurde, nicht zuletzt dank den aufkommenden Internet-Marktplätzen.

Der aktuelle Wert von 0,94% zeigt also weiterhin eine Wohnungsknappheit an. Darum ist kurz- bis mittelfristig mit weiter leicht steigenden Mieten zu rechnen. Das könnte sich allerdings schneller ändern, als vielen lieb ist. Wenn die jobgetriebene Immigration wegen des harten Frankens zum Stillstand kommt oder sogar Menschen zurückwandern, werden die Leerstände in die Höhe schnellen. Dass die Investoren eine gewisse Zurückhaltung beim Neubau üben, wird so verständlich.