Der Schweizerische Gewerkschaftsbund will eine Volksinitiative zur Einführung einer 13. AHV-Monatsrente lancieren. Dabei verstehen es die Gewerkschaften, aus ihrem Projekt den grösstmöglichen politischen Profit zu schlagen: Indem sie die Journalisten regelmässig über die Fortschritte ihres Unterfangens auf dem Laufenden halten, sichern sie sich im Wahljahr 2019 eine ständige Medienpräsenz.
Ein Gefühl des Déjà-vu
Der Vorschlag einer 13. AHV-Monatsrente mag neu erscheinen, tatsächlich handelt es sich jedoch nur um einen weiteren Vorstoss zu einer Rentenerhöhung nach dem Giesskannenprinzip für alle Rentenbezüger – ob reich oder arm. Gefordert wird fast bis auf die letzte Kommastelle dasselbe wie 2016 mit der AHVplus-Initiative. Diese schlug eine Erhöhung der Renten um 10 Prozent vor, diesmal sind es «nur» 8.3 Prozent (dem Zwölftel einer Jahresrente).
Auch die Wahl des Zeitpunkts, um diese Kampagne anzustossen, weckt Erinnerungen. AHVplus wurde vor der Reform Altersvorsorge 2020 lanciert und hing wie ein Damoklesschwert über den Häuptern der Parlamentarier, sollten sich diese gegenüber der linken Minderheit zu wenig grosszügig zeigen. Diese Drohgebärde war es, die den Ständerat dazu veranlasste, kurz vor der Abstimmung über die AHVplus-Initiative die berühmten 70 Franken mehr pro Monat für alle AHV-Neurentner in das Reformpaket einzubinden. Diese 70 Franken sollten der Schmierstoff sein, um den Reformmotor zum Laufen zu bringen. Glaubt man den Stimmverhaltensanalysen, so waren sie eher der Sand im Getriebe, der das Projekt zum Stillstand brachte.
Mehr Effizienz bei der Sozialhilfe?
Natürlich bestreiten die Gewerkschaften den rein taktischen Charakter ihrer Initiative im Wahljahr 2019 oder im Vorlauf zu den Diskussionen um die anstehende AHV-21-Reform, die diesen Sommer beginnen werden. Sie unterstreichen lieber das so genannte günstigere Kosten-Nutzen-Verhältnis, das die AHV im Vergleich zur 2. Säule aufweist, weil dort viele Rentner mehr erhalten werden, als sie durch ihre Beiträge finanziert haben. Nur hinkt dieser Vergleich. In einem Umverteilungssystem sind die Nehmer automatisch im Vorteil. Gemäss dieser Logik wäre die Sozialhilfe noch vorteilhafter als die AHV. Menschen, die von der Sozialhilfe leben, werden finanziell unterstützt, obwohl sie keine Steuern bezahlen. Ist das etwa ein Indikator für die Effizienz der Sozialhilfe, eine passende Messlatte für den Vergleich mit anderen Sozialversicherungen? Natürlich nicht.
Das Kosten-Nutzen-Verhältnis unter der Lupe
Um die Rentabilität der 1. und der 2. Säule wirklich vergleichen zu können, muss man die politische Propaganda beiseitelassen und sich ökonomischen Modellen zuwenden. So entspricht die interne Rendite eines Umverteilungssystems wie der AHV der Wachstumsrate der Gesamtlohnmasse eines Landes abzüglich der Verwaltungskosten. Die AHV-Rendite ist also abhängig von der Entwicklung der Anzahl Arbeitnehmer, inklusive der zugewanderten sowie der Einzellöhne. In der 2. Säule ergibt sich die Performance aus der Rendite der Kapitalanlagen, den Zinseszinsen und der Abstufung der Lohnbeiträge über die Jahre abzüglich der Verwaltungskosten.
Roger Baumann und Jan Koller haben die Rentabilität der beiden Systeme in der Schweiz genau untersucht. Das Ergebnis wird den Gewerkschaften nicht gefallen: Von 1985 bis 2015 ergibt sich für die 2. Säule eine Rendite von 3,5 Prozent nach Abzug der Verwaltungskosten gegenüber 1,7 Prozent für die AHV.
Risikodiversifizierung
Klar ist die 2. Säule stärkeren Schwankungen unterworfen. Diese Tatsache haben uns die negativen Ergebnisse von 2018 schmerzlich in Erinnerung gerufen. Aber das Wachstum der Lohnmasse, das für die AHV ausschlaggebend ist, wird sich in Anbetracht der rückläufigen Migration wahrscheinlich verlangsamen. Ausserdem wird die Lohnentwicklung unter anderem von unseren zukünftigen Beziehungen zur Europäischen Union, den Folgen eines global zunehmenden Protektionismus und den Auswirkungen der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt abhängen.
Anstatt eine Säule gegen die andere auszuspielen, täte man gut daran hervorzuheben, dass die beiden Säulen auf längere Zeit gesehen ähnlich leistungsfähig sind, jedoch auf unterschiedliche Weise finanziert werden. Dieser letzte Punkt ist ein Stabilitätsgarant, denn er ermöglicht eine Risikodiversifizierung: Während die AHV dem Risiko des einheimischen Arbeitsmarkts ausgesetzt ist, besteht das Risiko für die berufliche Vorsorge aus den Schwankungen auf dem Schweizer und dem internationalen Kapitalmarkt.
So ergänzen sich die beiden Säulen. Reformbedürftig sind beide, aber wenn die eine auf Kosten der anderen gestärkt wird, trägt das nicht zur Stabilität unseres Vorsorgesystems als Ganzem bei.
Dieser Beitrag ist in der März-Ausgabe der Zeitschrift «Schweizer Personalvorsorge» erschienen.