Vom «grünen Weckruf» bis zur «grünen Flut» war nach den eidgenössischen Wahlen die Rede. Das Politpendel schlug mit voller Wucht auf die links-ökologische Seite aus.

2015 resultierten noch 13 Sitzgewinne für die drei grossen bürgerlichen Parteien mit ähnlich vielen Sitzverlusten links der Mitte. 2019 summierten sich die Sitzverluste der Bürgerlichen auf 19 Sitze; diesen stehen 22 Sitzgewinne von grün-roter Seite gegenüber.

Gestärkt wurden primär jene Kräfte, die der unternehmerischen Eigeninitiative die Staatswirtschaft vorziehen und zu wissen glauben, was das Beste fürs Kollektiv ist. Unabhängig vom Wahlausgang bleibt die Schweiz einem Strukturwandel ausgesetzt, ob sie will oder nicht.

Angesichts der Umwälzungen von Globalisierung, Digitalisierung, Klimawandel und geopolitischen Machtverschiebungen sind parteiübergreifend vier Aufgaben anzugehen:

Das Parlament im Berner Bundeshaus hat Hausaufgaben, die liberalen Lösungen harren. (Jonas Zürcher, Unsplash)

  1. Erhalt der Standortattraktivität: Die Pläne der OECD für eine materielle Harmonisierung der Unternehmensbesteuerung und eine Verschiebung der Steuererträge dürfen nicht nur zu souveränitätspolitischem Wehklagen führen. Die Versuche zur internationalen Steuerregulierung müssen vielmehr Anlass für ein strukturelles Fitnessprogramm sein, gerade wenn Unternehmenssteuererträge weniger üppig ausfallen sollten. Der finanzpolitische Spielraum ist genügend gross. Von Steuersenkungen sollten endlich auch natürliche Personen profitieren. Die Gelegenheit, die Heiratsstrafe mit dem Übergang zur Individualsteuer zu beseitigen, ist zu nutzen und die Reform der Verrechnungssteuer anzugehen. Dazu ist auf Bundesstufe – analog zu den Kantonen – bei der jährlichen Budgetberatung parlamentarisch der Steuerfuss festzusetzen. Das stärkt die finanzpolitische Verantwortung der Bundesversammlung.
  2. Sicherung des Zugangs zu ausländischen Märkten: Potenzialoptimierung anstelle Abschottung muss das Motto lauten. Die Schweiz mit ihrer ausgeprägten internationalen wirtschaftlichen Verflechtung ist besonders abhängig von einem verlässlichen internationalen Regelwerk. Doch der Multilateralismus steht unter Druck. Die Sicherung bisheriger und die Schaffung neuer bilateraler Marktzugänge müssen daher Priorität haben. Anstelle einer Erosion ist der Marktzugang zur EU auszubauen. Zugleich gilt es, das Freihandels-Netz auf Länder mit grossen Binnenmärkten wie die USA oder Indien auszuweiten.
  3. Vermeidung des Generationskonflikts: Auch am Wahltag stieg die Schweizer Lebenserwartung um rund drei Stunden. 2035 wird es nur noch 2,3 Erwerbstätige pro Rentner geben. Wer es mit der Solidarität ernst meint, sollte den drohenden Generationenkonflikt vermeiden. Das heisst Abschaffung der «Altersguillotine 65» und eine dynamische Definition der Beitragsjahre – zwei Drittel der gewonnenen Lebenserwartung für das produktive Leben, ein Drittel für den Ruhestand.
  4. Stärkung der Wettbewerbs- und Innovationskräfte: Nur damit lassen sich Mehrwert schaffen und neue Ideen entwickeln. Dies gilt gerade für neue Umwelttechnogien, vom Aufbau einer klimapolitisch motivierten Industriepolitik ist abzusehen. Zugleich sind Staatsbetriebe aus dem politischen Korsett zu befreien, und der aufgeblähte Service public ist zu modernisieren. Die Stärkung der Wettbewerbskräfte verlangt schliesslich, die aus dem Fabrikzeitalter stammende Arbeitsgesetzgebung zu flexibilisieren und ins digitale Zeitalter zu überführen.

Packt das Parlament diese vier Hausaufgaben beherzt an, werden die Kommentatoren 2023 nicht mehr von einer «verlorenen Legislatur» schreiben.

Dieser Beitrag ist am 24. Oktober 2019 als Gastkommentar in der Handelszeitung erschienen.