Von den rund 120 Millionen Wählenden erhielt die demokratische US-Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton gut 200 000 Stimmen mehr als ihr republikanischer Konkurrent Donald Trump. Mit 290 Elektorenstimmen für Trump gegenüber 232 für Clinton verfügt der Republikaner trotzdem über eine komfortable Mehrheit im Wahlgremium der Elektoren. Am 20. Januar 2017 erfolgt seine Inauguration zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Donald Trumps Wahlerfolg überraschte Demoskopen und Medienschaffende gleichermassen, erwarteten doch die meisten Politbeobachter bis in die Wahlnacht hinein einen Sieg der Demokratin Clinton. Während Minderheiten und urbane Wähler mehrheitlich Clinton ihre Stimme gaben, wurde Trump von Männern – und besonders stark von weissen Männern – gewählt. Eine Mehrheit der Frauen war gegen Trump, die weissen Frauen votierten allerdings in der Mehrzahl für ihn. US-Amerikaner, die die Wirtschaftslage als schlecht einschätzen und Wähler aus Vororten und ländlichen Gebieten befanden sich ebenfalls im republikanischen Lager. Dazu gaben mehr als drei Viertel jener ihre Stimme Donald Trump, die mit «Washington» generell unzufrieden sind. Und einmal mehr trat ein Generationsgraben zu Tage: Die Zustimmung für Trump stieg mit dem Lebensalter stetig an. Trump gewann das Rennen dank den Wählenden über 45 Jahren.
Keine handelspolitische Atempause für die Schweiz
Einer der Schwerpunkte der erfolgreichen Wahlkampagne von Donald Trump war seine fundamentale Kritik gegenüber einer liberalen Handels- und Migrationspolitik, gegen den Freihandel und damit auch gegen globale Wertschöpfungsketten. Solche Absichten – das wird immer wieder vergessen – haben bei der republikanischen Partei eine gewisse Tradition. So verhängte im Jahr 1971 Richard Nixon eine Zusatzsteuer von 10% auf sämtliche Importe, die jedoch wenig später wieder aufgehoben wurde. Trumps 7-Punkte-Plan ist jedoch grundlegender: Trump zielt auf den Rückzug der USA aus laufenden und geplanten Verhandlungen zu neuen Freihandelsabkommen, die Neuverhandlung bestehender Abkommen und auf eine härtere Gangart gegenüber China (mit dem die USA – im Gegensatz zur Schweiz – kein Freihandelsabkommen hat).
Obwohl nicht direkt davon betroffen, würden seine Pläne im Falle einer Umsetzung auch Auswirkungen auf die Schweizer Volkswirtschaft haben. TTIP, das geplante Abkommen zwischen der EU und den USA, wird sich mindestens verzögern. Inwieweit schliesslich Substanzielles zustande kommt, ist zurzeit nicht abschätzbar. Das sind für Unterstützer der Schweizer Prosperität keine guten Neuigkeiten. Denn gerade dieser externe Druck hätte es der Schweiz ermöglicht, notwendige innenpolitische Reformen verstärkt anzustossen. Man denke an die Öffnung des Agrarsektors oder an die Senkung der Barrieren für den Import und Export von Dienstleistungen. War der Bremsklotz für Freihandel mit den USA früher der Agrarsektor der Schweiz, ist es unter Präsident Trump wohl auch die amerikanische Politik und Administration. In diesem Kontext ist davon auszugehen, dass die USA ihre bisherige Rolle im Rahmen des multilateralen Ansatzes ebenfalls zurücknehmen werden, was wirtschaftspolitisch Bad News für die Schweiz sind. Denn die Schweiz ist punkto Wachstum viel stärker als andere Volkswirtschaften vom internationalen Handel abhängig. Die Auswertung zeigt, dass der Anteil des Aussenhandels am Bruttoinlandprodukt (BIP) der Schweiz 82% beträgt, derjenige der USA aber nur 21% (vgl. Grafik) .
Würde die Schweiz einen ähnlich protektionistischen Pfad einschlagen wie er in den USA von Donald Trump während der Wahlkampagne propagiert wurde, wären die wirtschaftlichen Folgen für die Bevölkerung aufgrund der hohen Aussenhandelsabhängigkeit ungleich höher. Die Schweiz ist gut beraten, für sich selbst den global voraussichtlich fehlenden amerikanischen Impuls für Freihandel soweit wie möglich zu kompensieren. Ein handelspolitischer Stillstand dient dem Land nicht.
Normalisierung der Geldpolitik wird verschoben
Von den Märkten nicht antizipierte Ereignisse führen zwangsläufig zu kurzfristigen Turbulenzen auf den Finanzmärkten, manchmal in unerwarteter Weise. Dies zeigte sich auch in der für Marktbeobachter überraschenden Wahl von Donald Trump. So waren positive Kursausschläge bei den Pharmatiteln im SMI zu verzeichnen, während die stark auf den US-Markt ausgerichtete, an der Tokioter Börse kotierte japanische Exportindustrie zuerst heftige Abwärtskorrekturen erlitt. Allerdings haben «politische Börsen kurze Beine», die erhöhte Volatilität wird sich wohl wieder zurückbilden. Angesichts weitgehender Unklarheit über die wirtschaftspolitische Agenda des neuen Präsidenten wird eine erhöhte Unsicherheit zurückbleiben.
In unsicheren Zeiten steigt der Aufwertungsdruck des Schweizer Frankens als «Safe Haven»-Währung. Auch der Goldpreis dürfte weiter anziehen. Eine signifikante Aufwertung des Schweizer Frankens wird durch Interventionen der Schweizerischen Nationalbank (SNB) unterbunden werden, wie dies bereits nach dem Brexit der Fall war. Dies mündet in ein vorübergehend wieder stärkeres Wachstum der Devisenreserven auf der SNB-Bilanz. Der Schweizer Franken wird weiterhin auf einem relativ starken Niveau verharren, der auf der Schweizer Industrie lastende Kostendruck anhalten.
Am schwersten wiegt aber, dass die US-Notenbank (FED) im Dezember wahrscheinlich auf die Weiterführung der Zinswende verzichten oder die Zinserhöhung bescheidener ausfallen wird. Einerseits, um die Märkte nicht noch zusätzlich zu verunsichern, anderseits, um den politischen Machtwechsel abzuwarten. Für die SNB sind das keine guten Nachrichten, denn die weitere geldpolitische Normalisierung in den USA hätte Druck vom Schweizer Franken genommen und den Spielraum für die Schweizerische Nationalbank erhöht. Die Negativzinsperiode wird dadurch verlängert.
Ökonomische Gewichtsverlagerungen zu Lasten Europas und der Schweiz
Relative Gewinner einer aussenwirtschaftlichen Abschottung der USA wären die asiatischen Staaten. Das Momentum der Globalisierung lässt sich durch die amerikanische Politik wohl verlangsamen, aber nicht stoppen. Stärkere wirtschaftliche Bande innerhalb Asiens und geplante Abkommen werden diesen Erdteil zu einem noch wichtigeren Treiber und damit Gewinner der Globalisierung machen. Für die Europäische Union ist der Wahlausgang besonders aus wirtschaftspolitischer Perspektive alles andere als nützlich. Die zu erwartende Abwertung des Dollars gegenüber dem Euro wird die EU-Exporte in den USA drosseln – mit Folgen auch für die Schweiz. Besonders positiv auf die US-Wirtschaftsentwicklung könnte sich die vom neuen US-Präsidenten im Wahlkampf angekündigte Steuersenkung für Unternehmen auswirken. Europa würde dann als Standort für US-Firmen weniger attraktiv. Auch eine forcierte Erneuerung der lange vernachlässigten US-Infrastruktur könnte die amerikanische Konjunktur kurzfristig stimulieren. Mit Blick auf den Schuldenstand sind die finanziellen Spielräume aber eng.
Während Asien geopolitisch an Bedeutung zulegen wird, ist Russland der Gewinner auf dem europäischen Kontinent, auch weil Moskau angesichts des zu erwartenden Machtvakuums strategisch mehr Gewicht erhält. Europa kann sich, sofern Trump die im Wahlkampf angekündigte Isolationspolitik auch in Sicherheitsfragen realisiert, nicht mehr auf den Weltpolizisten USA verlassen. Europa war (zu) lange Trittbrettfahrer der Pax Americana, nun ist es dringend nötig, rasch und massiv in die eigene innere und äussere Sicherheitsarchitektur zu investieren. Neben Investitionen in die Sicherheit sind in der aktuellen, instabilen Weltlage belastbare Institutionen mit politischer Stabilität, Gewaltenteilung und «rule of law» in Europa wichtiger denn je.
Für das Verhältnis Schweiz – EU bedeutet die Wahl von Donald Trump, dass die Schweiz noch mehr als vorher alles daran setzen muss, die Teilnahme am Binnenmarkt, aber auch die politischen Beziehungen zur EU, auf eine stabilere Basis zu stellen. Selbst wenn unser Land in Brüssel angesichts der zahlreichen Handlungsfelder keine Priorität besitzt, dürfte die EU ebenfalls ein Interesse daran haben. Die veränderte geopolitische Lage und der ökonomische Druck könnten dazu führen, dass sich die Europäer vermehrt zusammenraufen.
Institutionelle Vorteile der Schweiz und Folgerungen
Die Frage, was nach der Präsidentschaft Trump kommen wird, mag verfrüht sein, trotzdem muss sie bereits heute gestellt werden. Dass der neue republikanische Präsident seine im Wahlkampf gemachten Versprechen gegenüber der Mittelschicht nicht wird einlösen können, erscheint aus ökonomischer Sicht so gut wie sicher. Wirtschaftlicher Protektionismus, höhere Mindestlöhne und mehr Schulden werden den «Wohlstands-Kuchen» nicht vergrössern. Welches Wahlverhalten werden dann die Enttäuschten in vier oder allenfalls auch in acht Jahren an den Tag legen?
Vor populistischen Strömungen ist auch die Schweizer Politik nicht gefeit. Doch mit unserer halb-direkten Demokratie und dem kleinteiligen Föderalismus ist der Seismograph des «Volksempfindens» für die politischen Entscheidungsträger jederzeit spürbar. Dazu kommt die historisch gewachsene Skepsis gegenüber Eliten. Das Machtgefüge in der Schweiz ist sehr breit verteilt. Populistische Strömungen können daher in der Schweiz nicht dieselbe Durchschlagskraft entfalten, das Überraschungsmoment ist entsprechend kleiner. Einen «Líder Máximo» kann es so nicht geben, ebenso wenig ein Primat der Exekutive. Populismus wird damit zwar nicht aus der Welt geschafft, aber doch effektiv kanalisiert. Populistischen Tendenzen selbst ist entschieden und von Anfang an mit Fakten entgegenzutreten, zugleich sind die Ängste der Bevölkerung ernst zu nehmen.
Auch wenn der Brexit für die Schweiz kurzfristig das bedeutendere Ereignis ist, weil er die Verhandlungsposition der Schweiz gegenüber der EU verändert, beurteilt Avenir Suisse die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten doch als den fundamentaleren Vorgang. Der Brexit mag der ökonomischen Logik widersprechen und ähnlichen populistischen Strömungen entspringen, letztlich ist er aber ein Sachentscheid einer Mittelmacht, dessen Auswirkungen vor allem auf die Dynamik in der EU ausstrahlen und damit regional begrenzt sind. Die Wahl Trumps bedeutet hingegen eine personalpolitische Weichenstellung der einzig verbliebenen Weltmacht. Ihre Auswirkungen sind global und betreffen praktisch alle Politikbereiche. Welche Folgen der Wahlentscheid der US-Amerikaner auf die Entwicklung der westlichen Demokratien haben wird, bleibt abzuwarten.
Hören Sie zu diesem Thema auch den Avenir-Suisse-Podcast #5: Roundtable mit Peter Grünenfelder, Patrik Schellenbauer und Fabian Schnell.